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Nah dran. Beim FC Arsenal schaffte Leander Siemann (links) den Sprung in die erste Mannschaft nicht.

© picture alliance / Marc Atkins /

Berliner Talent Leander Siemann: Der schwierige Weg zum Fußballprofi

Leander Siemann verließ Hertha mit 15, um in England Fußballprofi zu werden. Erfüllt hat sich sein Traum mit 18 Jahren noch nicht. Sein Beispiel zeigt, welche Hindernisse auf dem Weg zum Fußballprofi liegen.

Zuletzt ist Leander Siemann oft ans Meer gegangen. Es bietet sich ja an, das Wetter ist gut und Porto hat viele Strände. Es entspannt ihn, die Sonne, die Freiheit, der Blick auf die Weiten des atlantischen Ozeans.

Alles ist dann ganz weit weg, der Fußball, die Träume, der Druck, aber auch die Heimat, die Freunde, die Familie. Über 2000 Kilometer bis Berlin, ganz schön weit weg von Zuhause für einen 18-Jährigen. Leander Siemann hat schon drei Jahre in London beim FC Arsenal gespielt, nun will der Abwehrspieler es beim FC Porto schaffen, den Durchbruch in die Profikarriere.

Er ist einer von tausenden Jugendlichen mit diesem einen Traum. Die meisten jagen ihm in Deutschland nach, doch nicht wenige gehen ins Ausland, Teenager, Kinder oft noch. Einige schaffen es, werden Stars, die Masse scheitert.

„Talent, das wissen wir alle, reicht nicht aus“, sagt Leander Siemann. Der Weg ist weit und voller Hindernisse.

Die wenigsten reden darüber

Siemanns Vater sitzt in Berlin in einem Café unter den Linden. „Ich habe ein gutes Gefühl mit Porto“, sagt Joachim Wunderlich. „Wir haben aus den Fehlern gelernt.“

Viele Jugendliche verlassen nicht nur für einen Traum die Heimat, sondern auch für Geld. Mit den zehntausenden Euro, die Minderjährige oft schon verdienen, füttern sie ihre Familien durch. Darüber, was ihnen auf ihrer Reise widerfährt, reden die wenigsten. Weil sie es nicht hinterfragen, weil sie Angst haben, alles zu verlieren.

Bei Leander Siemann ist es anders. Seine Eltern sind Ärzte, sie verdienen gut und wollten ihren Jungen in ein Austauschjahr auf eine englische Schule schicken. Leander wollte Fußball spielen.

Wunderlich organisierte über Bekannte ein Probetraining beim FC Arsenal, Siemann überzeugte. Wenn du bleibst, dann für drei Jahre, hieß es. Der englische Spitzenklub zahlte für den 15-Jährigen eine Viertelmillion Euro Ablöse an seinen Jugendverein Hertha BSC. „Mein Junge wird verkauft“, sagte seine Mutter damals. Sie hätte es lieber gesehen, wenn Leander weiter auf eine normale Schule gegangen wäre. Es wurde eine andere Schule, eine Eliteakademie für junge Fußballer.

Der Wechsel mit 15 kam zu früh

Nachwuchsleistungszentren werden gepriesen, nicht erst seit ihre topausgebildeten Absolventen Deutschland diesen Sommer den Weltmeistertitel gewannen. Die wenigsten wissen, was die Jungen von dort mitbekommen, die, die es schaffen, und die, die sich später etwas anderes suchen müssen. Für einige sind es nur einige Kilometer zurück ins vertraute Umfeld, für andere hunderte.

„Im Rückblick war es für mich zu früh, mit 15 dort hinzugehen“, sagt Leander Siemann und klingt dabei viel älter als 18 Jahre. „Fußballerisch hat es mich auf jeden Fall weitergebracht, die Sprache kann ich jetzt perfekt, das ist ein Pluspunkt. Jetzt kann ich schon besser damit umgehen, nicht zu Hause zu sein.“

Mitspieler begrüßten ihn mit "Heil Hitler"

Damals war es anders. In London wohnte er bei Gastfamilien, hatte Privatunterricht, trainierte ab und an mit der Profimannschaft, aß neben Stars zu Mittag, aber einfach war es nicht. Mit der Verpflichtung eines Minderjährigen riskieren Vereine Transferverbot als Strafe, müssen vorsichtig sein. Mit den Gastfamilien gab es Probleme, Leander zog zweimal um. Für manche Engländer sind die Deutschen immer noch die Krauts oder Hunnen – ein Kulturschock. Auch für dunkelhäutige Nachwuchsspieler war der blonde Deutsche ein Nazi und wurde gelegentlich mit „Heil Hitler“ begrüßt. Die Nachwuchsspieler wohnten über London verstreut, unternahmen wenig zusammen. Die Trainer redeten kaum mit ihnen. Einmal sagte ein Coach in der Kabine, es seien zu viele Krauts in der Mannschaft. Siemann schaute sich um, da saß nur ein Deutscher: er.

Ein Per Mertesacker kann mit so etwas umgehen, der deutsche Weltmeister aus der ersten Mannschaft ließ T-Shirts mit „We have a big fucking German“ bedrucken. Aber ein Teenager?

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie junge Fußballer von Berater und Scouts bedrängt werden.

Nah dran. Beim FC Arsenal schaffte Leander Siemann (links) den Sprung in die erste Mannschaft nicht.
Nah dran. Beim FC Arsenal schaffte Leander Siemann (links) den Sprung in die erste Mannschaft nicht.

© picture alliance / Marc Atkins /

Viele Mitspieler aus aller Welt waren schnell wieder weg, Brasilianer, Afrikaner, Europäer, verliehen ins Ausland, in die siebte Liga oder verschoben in andere Nachwuchsteams, wie die deutschen Talente Serge Gnabry, Gedion Zabalem, Thomas Eisfeld. Siemann absolvierte vergangene Saison 44 Spiele in allen möglichen Wettbewerben, im Erstliga-Kader stand er nie. Die Konkurrenz ist groß.

„Es ist schon professioneller und kein Spaß mehr“, sagt Leander Siemann. „Fußball sollte schon Spaß machen, aber man sollte nicht vergessen, dass alle Konkurrenten denselben Platz wollen. Das habe ich anfangs nicht so realisiert. Freunde gibt es nicht wirklich, zumindest nicht auf deiner Position.“

Es war psychisch nicht einfach, das Heimweh groß. Doch Siemann hatte ein Privileg, die Familie konnte ihn oft besuchen, Vater, Mutter, Schwester, Freunde, jede Woche ein anderer. Leander legte seine A-Levels ab, die Hochschulreife. Die meisten erhielten nur einen Abschluss, der nicht mal der Mittleren Reife entspreche, sagt Joachim Wunderlich.

„Mit dem Abitur in der Tasche hat Leander Sicherheit, ein zweites Standbein, kann studieren“, sagt der 69-jährige Kardiologe. Doch sein Sohn denkt bisher nur an Fußball. Einmal aber fragte er den Vater, was denn mal kommen soll, wenn der Sport mit 35 vorbei sei: „Was mache ich mit den restlichen 50 Jahren meines Lebens?“

Berater versprechen Traumgagen bei der "Fohlschau"

Es kann schnell vorbei sein mit der Karriere, ein falscher Schritt, ein rüdes Foul, ein Schrei. „Für viele Jungs ist dann fast das Leben vorbei“, sagt Wunderlich. Er hat als Rentner Zeit, sich um seinen Sohn zu kümmern. Er liest Bücher, besucht Kongresse, Fortbildungen. Seine Frau ruft an, eine Mail mit PDF-Anhang sei gekommen, Flugtickets, Prämienzahlungen. Er kümmere sich darum, wenn er zu Hause sei, sagt er und legt das Telefon beiseite. Wunderlich ist so etwas wie Leanders Berater. Agenten, die 30 Prozent der Einnahmen wollen und nur an Vereinswechseln verdienen, sind ihm suspekt. Wunderlich erzählt von Spielen, bei denen von 4000 Zuschauern 2000 Berater und Scouts gewesen seien. „Die sitzen dort mit Notizblöcken, tragen in Diagramme ein“, sagt er und nennt es „eine Fohlenschau“. Nach Spielen klingelte sein Telefon, Agenten waren dran, versprachen Traumgagen bei einem Vereinswechsel.

„Geld spielt für den Jungen keine Rolle, er will Fußball spielen“, sagt Wunderlich, Leander habe kein Luxusauto, nicht einmal Führerschein, teile sich Benzingeld in Fahrgemeinschaften. Arsenal baten sie, kein neues Vertragsangebot vorzulegen, damit Siemann im Sommer London ablösefrei verlassen konnte. „Klar, ich habe auch taktische Fehler gemacht bei Verhandlungen“, sagt Wunderlich. Leander sagt: „Ich weiß, dass wir auf jeden Fall ehrlich sind, dass ich ihn immer haben werde als Ansprechpartner.“ Doch auch Wunderlich kann sich der Faszination des Fußballgeschäfts nicht entziehen. Er schwärmt vom FC Porto: „Die haben eine unglaubliche Durchlässigkeit in die erste Mannschaft, Stars wie Hulk und James Rodriguez herausgebracht, die höchsten Transferüberschüsse Europas, Mourinho hat dort eine irre Trainingsanlage entworfen.“ Siemann hat sich auch beim FSV Mainz und dem VfL Bochum vorgestellt, doch der Durchbruch, er soll in Portugal gelingen, wieder weitab der Heimat.

Nach Probetrainings erhielt Siemann einen Einjahresvertrag, im Dezember soll über eine Verlängerung geredet werden. Er spielt jetzt bei Porto B, in der zweiten portugiesischen Liga.

Auf dem Platz komplett anders werden, wie Thomas Müller

Aus dem schüchtern Jungen mit der Pianistenmähne vor drei Jahren ist ein kräftiger junger Mann geworden. Die blonden Haare hat er sich kürzer geschnitten. Er fühlt sich wohl in Portugal, wohnt mit vier Mitspielern in einer Apartmentanlage, der Co-Trainer und ein Spieler sprechen Englisch, er soll bald Portugiesischunterricht bekommen. Er kennt Italien und kann Italienisch, das sei ähnlich. „Die Portugiesen sind aber nicht so laut und extrovertiert, eher ruhig und bescheiden.“ Leander mag das, das mit dem Selbstbewusstsein sei für ihn auch nicht immer einfach gewesen. Auf dem Platz muss er das ändern, er hat oft mit seinem Vater darüber geredet. „Man darf nicht mit hängenden Schultern auf den Platz kommen, sondern zeigen: Ich bin bereit. Wie Thomas Müller, der wird auf dem Feld auch komplett anders.“ Siemann weiß, worauf es ankommt, um Profifußballer zu werden: „Man muss mental stark sein, im Kopf spielt sich mehr ab als in den Füßen, ein Fähigkeitenpaket mitbringen. Das ist ein Automatismus bei mir, dass ich auf die Ernährung achte, meinen Körper pflege, ausreichend schlafe, nicht blöd auffalle durch Partys oder Nachtklubs.“

Sich einfach mal hängenlassen, das geht nicht

Ganz schön viel zu beherzigen für einen 18-Jährigen. Manchmal sind Freunde bei ihm zu Besuch, die sich nach der Schule ein Jahr Auszeit genommen haben. „Sich einfach mal hängenlassen, nicht nur ans nächste Spiel denken, das wäre schön“, sagt er, „aber das geht im Fußball natürlich nicht.“

Andere Jungs leben auch danach und schaffen schon mit 16, 17 Jahren den Sprung in die erste Mannschaft. Leander Siemann will sich Zeit geben zu reifen und glaubt, er bekommt sie. „Ich will mich nicht zu sehr unter Druck setzen, sonst vergesse ich, mich zu verbessern.“ Ob es je reicht, um ganz nach oben zu kommen, keiner weiß es. Am Trainingsplatz sieht Siemann oft einen Sportpsychologen stehen, er könne gerne mal vorbeikommen, habe der gesagt.

2000 Kilometer weiter sitzt sein Vater in Berlin und sagt: „Ich wünsche mir, dass der Junge glücklich wird mit seinem Fußball.“

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