zum Hauptinhalt

Sport: Das Glück ist eine Scheibe

Die Disc-Golfer sind die Vagabunden der Stadtparks – in Berlin treffen sie sich jeden Sonntag im Wedding

Das Gras ist noch feucht, als im Volkspark Rehberge zum ersten Mal die Ketten rasseln. In sanftem Bogen segelt die Frisbeescheibe über die Wiese, streift eine Tanne und neigt sich dann in Richtung dieser seltsamen Metallkonstruktion, die so aussieht wie ein umgedrehter Regenschirm mit Kettenschmuck. Es ist das Ziel der Ziele für alle Disc-Golfer, der Korb, den es zu treffen gilt. Als sich die rote Frisbee-Scheibe durch die Ketten schlängelt, da ist es wieder zu hören, dieses leise Rasseln, Plastik auf Metall. An einem Sonntagmorgen um neun kann dieses Geräusch Glückseligkeit bedeuten.

Wie eine kleine Gruppe von Verschwörern haben sie sich getroffen, die neun Disc-Golfer im Volkspark Rehberge im Wedding. Sie wollen heute den großen Parcours spielen, 27 Bahnen, den ganzen Vormittag lang. Stephen Defty zieht einen Frottee-Lappen aus der Umhängetasche und wischt damit über die Scheibe. Dreck kann die Flugeigenschaften der Frisbeescheibe beeinflussen, aus einem genau gezielten Rückhandwurf einen Querschläger machen, und dann liegt die Scheibe irgendwo zwischen Brombeerbüschen und Farnen. Defty beugt sich vor, kneift die Augen zusammen und wippt hin und her, dann wirft er die Scheibe ab. Still entschwebt sie Richtung Baumwipfel.

Die Regeln von Disc-Golf sind einfach: Es geht darum, mit der Frisbeescheibe den Kettenkorb zu treffen, wahlweise auch ein markiertes Feld an einem Baum. Am Ende gewinnt derjenige, der für den gesamten Parcours die wenigsten Würfe braucht. Die Praxis ist weit weniger simpel. Weil nicht auf sauber beschnittenen Rasenflächen gespielt wird, sondern in öffentlichen Parks, müssen Bäume umspielt werden, Seen, Brennnesseln, Liebespaare. Es wird immer genau dort weitergespielt, wo die Scheibe liegenbleibt, egal, ob der Werfer im Matsch versinkt, oder sich eine Ameisen-Armee auf die nackten Waden stürzt. Man kann Tiere aber auch zu seinem Vorteil nutzen: Bei den Europameisterschaften in England zielten die Spieler auf den Rücken von Schafen, die auf dem Parcours grasten. Wenn sich die Herde fortbewegte, durfte man an dem Punkt weiterspielen, an dem das Schaf die Scheibe abschüttelte.

Die Disc-Golfer im Wedding haben sich mittlerweile in zwei Gruppen aufgeteilt, die ersten fünf sind schon im Unterholz verschwunden. Deftys Gruppe spielt die erste Bahn, eine „Par 3“: Drei Würfe sind die Norm, um die die 75-Meter-Distanz zu überwinden. Defty braucht nur zwei, ebenso Michael Fröhlich und die anderen beiden. „Großartig, lasst uns ein bisschen Krach machen“, sagt Defty. Es ist Sonntagmorgen 9.30 Uhr: Vier Männer hüpfen Hand in Hand um einen Metallkorb und stoßen lautes Indianergeheul aus.

Das nächste Ziel ist ein mit Sprühfarbe markierter Baum, denn fest installierte Körbe gibt es auf dem gesamten Parcours nur zwei, mehr will die Stadtverwaltung nicht zulassen. „Die zwei hab’ ich vor über 20 Jahren noch selber einbetoniert“, sagt Defty. Der 47-jährige Amerikaner spielte Disc-Golf schon lange bevor er 1981 nach Deutschland kam. Erfunden hat das Spiel mit dem Kettenkorb ein Amerikaner, Ed Headrick. Defty organisierte damals die zwei Körbe über einen Freund in Amerika. Über die Jahre hinweg hat sich dann eine kleine Berliner Szene zusammengefunden, und mittlerweile gibt es Mannschaften die sich Berlin Birdie Bangers und Hyzernauts nennen.

Der Baum, den es zu jetzt treffen gilt, ist von der Abwurfstelle aus nicht zu sehen. „Sehr schwere Bahn“, stöhnt Defty, und prompt landet seine Scheibe im Unterholz. Er hebt die blaue Scheibe vom Boden auf und kramt in seiner Tasche nach einer gelben. Drei Scheiben gehören zur Grundausstattung jedes Disc-Golfers: eine für große Weiten, bei 250 Metern liegt der Weltrekord, eine für die Mitteldistanz und eine zum genauen Zielen, der „Putter“. Der letzte Schrei aus Amerika ist die „Walküre“. Michael Fröhlich zerrt die blaue Scheibe aus seiner Tasche. Sie sieht aus wie alle anderen, „aber sie hat Spitzenflugeigenschaften und eine tolle Kontrolle“, sagt der 29-Jährige.

Eine halbe Stunde und zwei Grundsatz-Diskussionen mit Spaziergängern später steht die Gruppe vor einem echten Problem: Deftys Scheibe ist an der elften Bahn spurlos verschwunden. „Mistding“, knurrt er und stapft in Richtung Brennnesseln. „Wie sah sie denn aus?“, fragt Fröhlich. „Na, rot eben.“ Fünf Männer stochern im Gestrüpp herum, es geht nicht ums Geld – eine Scheibe kostet zwischen sieben und fünfzehn Euro –, aber es geht um die Ehre. „Ich verliere keine Scheiben“, sagt Defty. Nach einer Viertelstunde kann das Spiel weitergehen, doch es gibt schon wieder neue Gegner für die Disc-Golfer: Freizeit-Fußballer haben den Park erschlossen, und auf der nächsten Bahn liegt ein nacktes Pärchen im Weg. Doch diesmal haben Defty und die anderen Glück: Der Mann dreht sich gelangweilt auf die andere Seite, die Frau schaut nur kurz auf und wendet sich dann wieder ihrer Zeitschrift zu – vier Scheiben segeln lautlos über die nackten Oberkörper hinweg.

Berlins Disc-Golfer treffen sich jeden Sonntag um 9 Uhr im Volkspark Rehberge. Mitmachen kann jeder, der Lust hat.

Stéphanie Souron

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false