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Große Leistung. Cem Yazirlioglu gewinnt in Berlins Amateurligen Ansehen durch seine lockere Art.

© David von Becker

Deutschlands kleinster Schiedsrichter: 138 Zentimeter Autorität

In Berlins Amateurligen pfeift Cem Yazirlioglu, der kleinste Schiedsrichter Deutschlands – wie verschafft er sich den nötigen Respekt auf dem Platz?

Sonntagmittag auf dem Tegeler Fußballplatz Borsigpark, Kreisliga B, Halbzeit. Natürlich wäre es jetzt schön, wenn in der Schiedsrichterkabine eine Holzbank stünde und nicht dieser alte Drehstuhl mit dem abgewetzten Polster, vielfach getränkt durch die schweißnassen Hosen diverser Schiedsrichter-Hintern. Und natürlich wäre es sinnvoller, wenn in der Kabine eine Dusche wäre, und nicht die drei gesplitterten Regenschirme und der eingestaubte Feuerlöscher. „Aber so sieht's aus“, sagt der Schiedsrichter Cem Yazirlioglu, klettert auf den Drehstuhl und nippt an einem Kaffee im Plastikbecher.

„Herr Schiedsrichter!“, ruft es nun. Die Tür geht auf, und ein Betreuer mit einer goldenen Kette um den Hals „hätte mal ’ne Frage“. Vier Spiele Sperre habe einer seiner Spieler vom Sportgericht bekommen, er muss ganz schön zugelangt haben. „Wegen rohem Spiel“, sagt der Betreuer, aber die Strafe gelte erst in den nächsten Wochen, also könnte der Mann doch heute noch eingewechselt werden, oder? „Joa, lass ihn spielen“, sagt Cem Yazirlioglu, „da guck ich dann aber genau hin.“ Die Tür fliegt zu, der Schiedsrichter seufzt.

Alltag in Berlins Kreisliga. Mit einem Unterschied: Cem Yazirlioglu. Er ist mit seinen 1,38 Metern der kleinste Schiedsrichter Deutschlands. Und das in einer Liga, in der Spiele immer wieder durch Polizeieinsätze beendet werden müssen. Rund 80 000 Schiedsrichter gibt es in Deutschland, 1100 davon in Berlin. Yazirlioglu hat Hypochondroplasie, Kleinwüchsigkeit, geerbt von seinem Vater. Seit 2005 pfeift der 25-Jährige in Berlins Amateurligen, von Jugendmannschaften bis zur Kreisliga. Zuvor spielte er zehn Jahre in der Innenverteidigung bei Hertha Zehlendorf, „bis ich irgendwann zu klein war, um Kopfballduelle zu gewinnen“, sagt er. „Ohne Fußball geht es bei mir aber nicht. Und da ich als Aktiver nur noch auf der Bank gesessen hätte, musste ich mir etwas überlegen.“

Eine Überlegung, die dazu geführt hat, dass Yazirlioglu jetzt in einer schlecht ausgestatteten Schiedsrichterkabine sitzt und auf das Ende der Halbzeitpause wartet. „Ich versuche schon vor dem Anpfiff die Situation zu entspannen. Kleine Späße, lockere Sprüche und ein respektvoller Umgang miteinander – bisher bin ich damit immer gut gefahren.“

Richtige Linienrichter hat Yazirlioglu nur selten, oft helfen Spieler aus. Zur zweiten Halbzeit ist einer von ihnen verschwunden, hat die Fahne an jemand anderen weitergegeben. Der aber hat Bedenken, dass seine Vorstellung eines gelungenen Sonntags mit den „Keine Macht den Drogen“-Ansprüchen des DFB kollidieren. „Ich stell mich doch nicht mit Bier und Kippe an die Linie.“ Dann halt ohne Linienrichter. Dafür läuft sich der vierfach Gesperrte warm, zerrissene Stutzen, mit dem bisherigen Spielverlauf unzufrieden: 0:2 liegt seine Mannschaft im Heimspiel zurück.

Das Spiel wird härter, nach dem 0:3 ein Frustfoul im Mittelfeld, gestreckte Beine zur Grätsche. „Beim nächsten Mal bist du weg“, sagt Yazirlioglu und zeigt Gelb. Die Karte reicht dem Übeltäter knapp an die Unterlippe. Der nickt mit dem Kopf.

So einfach haben es die Schiedsrichter in Berlins Kreisliga nicht immer. In der vorigen Saison wurde ein Kollege von Yazirlioglu niedergeschlagen, nachdem er eine Gelbe Karte zückte. Er wurde bewusstlos, verschluckte seine Zunge, drohte zu ersticken. In Friedrichsfelde prügelten sich Zuschauer und Spieler, die herbeigerufene Polizei konfiszierte einen Schlagstock sowie eine Linienrichterfahne, die als Prügel benutzt wurde. Und auch in der laufenden Saison wurde am ersten Spieltag eine Partie abgebrochen; vier Anzeigen wegen Körperverletzung.

Schiedsrichter bei den Amateuren – warum macht man das? Sicher nicht für die 20 Euro Aufwandsentschädigung. Einige Tage vorher, eine Teestube in Kreuzberg. „Wenn man so groß ist wie ich, steht man automatisch im Mittelpunkt. Und mir gefällt das auch. Außerdem bestimme ich gerne, wo es langgeht“, sagt Yazirlioglu. Bisher hatte er seine Spiele immer gut im Griff, die nötige Autorität holt er sich über seine lockere Art. „Wenn man liest, dass Kollegen ins Krankenhaus geprügelt werden, macht man sich schon Gedanken.“ Vielen Spielern fehle die Anerkennung in ihrem Leben, „und dann kommen sie am Wochenende zum Spiel und wollen ihren ganzen Frust abbauen.“

Zurück in Tegel, das Spiel ist gelaufen. 4:0 für die Gastmannschaft. Dennoch: Bis zum Schluss werden harte Zweikämpfe geführt. Als das fünfte Tor fällt, kann auch der vierfach Gesperrte nicht mehr an sich halten, schimpft und pöbelt. „Mensch, halt die Schnauze!“, ruft sein Mitspieler noch, aber zu spät: Yazirlioglu zeigt Gelb. Schwer atmend steht der Spieler vor ihm, dreht ab, läuft wieder zurück zu Yazirlioglu, guckt ihn an und klopft ihm auf die Schulter: „Kommt nicht wieder vor, Schiri“, sagt er. Kurz darauf pfeift Yazirlioglu ab und verschwindet in seiner Kabine. Aufs Duschen verzichtet er, in Tegel duscht man kalt.

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