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Ein ganz normaler Spieltag: „Und ihr wollt aufsteigen?“

In Berlin finden an jedem Wochenende rund 1500 Fußballspiele statt. Es wird gekickt und gejubelt, getreten und gepöbelt. Eine Stichprobe an einem ganz normalen Spieltag im Poststadion.

Ein Sonntagmorgen im November, es ist noch still auf dem Gelände des Moabiter Poststadions. Das wird sich bald ändern, 13 offizielle Spiele sollen hier heute angepfiffen werden, dazu kommen Freizeitfußballer, die die Kunstrasenfelder zum Kicken nutzen. Kinder, Frauen und Männer, Dicke und Dünne, Alt und Junge, Charlottenburger und Köpenicker: Jedes Wochenende trifft sich ganz Berlin in rund 1500 Spielen auf den Fußballplätzen der Stadt. Dabei geht es rau zu, manchmal muss man lachen, manchmal möchte man weinen, manches lässt einen ratlos zurück.

9 Uhr, B-Junioren, Bezirksliga:

SC Union 06 - Borussia Pankow 1960

Um kurz nach halb sechs ist Silvio Baumann am anderen Ende der Stadt aufgestanden, „völlig umsonst“, wie der Trainer von Borussia Pankow nun feststellt. Seine Spieler traben gerade vom Warmmachen zurück Richtung Kabine, als Baumann ihnen mitteilt, dass der Gegner nicht antritt. Gerüchte gab es schon vorher, jetzt haben die Pankower Gewissheit, dass Union 06 nicht genügend Spieler hat. „Dann fahren wir eben nach Hause“, sagt Baumann. „Manchmal ham die einfach keen Bock“, sagt der Platzwart. Er selbst war schon um 7 Uhr in seinem muffigen Büro, weil er die Ansetzungen falsch gelesen hat. Seinen Ärger spült er mit Kaffee runter.

10.00 Uhr, Altliga Ü40 A, Kreisliga A:

SC Union 06 - SG Oberspree

„Was heißt hier ,Geh doch nach Afrika‘?“, brüllt die türkische Nummer 8 des SC Union und reißt sich ihr Trikot vom rundlichen Leib. „Was wollt ihr Scheiß-Ossis? Ich bin deutscher als ihr!“ Der Torwart brüllt von hinten, der Stürmer brüllt von vorne, die Zuschauer brüllen von außen. Eine Schlägerei droht, der Schiedsrichter pfeift ab, obwohl noch ein paar Minuten zu spielen sind. „Ich bau euch die Mauer wieder auf, mit roten Legosteinen!“, meckert Nummer 8 vor sich hin, ein Mitspieler legt ihr den Arm um die Schultern.

Die Bewohner der fast fertigen Neubauten am südlichen Ende der Anlage müssen sich auf laute Wochenenden einstellen. Auf sechs Plätzen wird teilweise gleichzeitig gespielt, der Kenner unterscheidet zwischen gummigefülltem und sandgefülltem Kunstrasen. Gebrüllt wird überall.

10.40 Uhr, C-Junioren, Bezirksliga:

Berliner AK - FC Nordost Berlin

Es duftet nach Kaffee und Tee, Gebäck wird gereicht. Eine türkische Familie frühstückt am Spielfeldrand. Daneben hat ein Vater Platz genommen, um seinen Sohn zu beobachten. „Der Junge wohnt bei seiner Mutter am anderen Ende der Stadt“, sagt er. „Ich habe sonst kaum Möglichkeiten, ihn zu sehen.“

12.20 Uhr, C-Jugend, Bezirksklasse:

Berliner AK II - SFC Stern 1900

Hier wird niemand mehr ein Messi. Aber die Jungs rennen und kämpfen, rudern beim ungelenken Sprint mit den dünnen Armen. Am Rand stehen Eltern in der Novembersonne, der Ball klatscht an den Pfosten, ein Vater dreht sich zu seiner Frau um: „Hätt der net nei geh könne?“ Laut ist nur der Trainer des Berliner AK, der abwechselnd auf Deutsch und Türkisch Kommandos („Ich will den ersten Ball!“) brüllt, die Eltern verdrehen die Augen. Als es zur Halbzeit in die Kabine geht, reicht ein Spieler seine verschwitzten Schienbeinschoner zum Trockenwischen an seine Mutter weiter. Der Schiedsrichter ist kaum älter als die Spieler, trotzdem hat er das Spiel im Griff. Erst wenn man näher herangeht, hört man, wie sich die Zwölfjährigen vor dem Eckball zuzischen: „Halt die Fresse! Ich fick dich!“

Alles wirkt so wahnsinnig verbissen. Hat hier überhaupt irgendjemand Spaß?

12.00 Uhr, Männer, Kreisliga C:

SK Türkyurt 01 II - SV Buchholz II

Die Buchholzer haben schnelle Stürmer, Türkyurt nur seine Vergangenheit. Vor zehn Jahren spielte der Klub als SV Yesilyurt noch im DFB-Pokal gegen den SC Freiburg. Nach dem Aufstieg in die Oberliga folgten Insolvenz und Neugründung als SK Türkyurt. Buchholz liegt zurück, die Kraft lässt nach, die Bälle verspringen immer häufiger. „Ist das peinlich. Und ihr wollt aufsteigen?“, ruft ein Türkyurt-Spieler hämisch. Abpfiff. Der Torwart von Türkyurt zündet sich noch auf dem Kunstrasen eine Kippe an.

„Ey, Schiri!“ Jeder Pfiff des Schiedsrichters wird kommentiert, in fast jedem Spiel. „Ey, Schiri!!“ Die Hobbyspieler imitieren die schlechten Angewohnheiten der Profis, bestürmen den Mann mit der Pfeife und bilden eine Traube um ihn. „Ey, Schiri!!!“ Hinter dem Rücken des Unparteiischen wird nachgetreten, Spieler gehen theatralisch zu Boden. „Ey, Schiri! Ey!!!!“

Seite 2: Berliner AK - SSV Köpenick-Oberspree, Berliner AK - FC St. Pauli II, ASV Berlin - SC Teutonia II und ein Trainingskick

14.00 Uhr, Frauen, Bezirksliga:

Berliner AK - SSV Köpenick-Oberspree

Sieben gegen sieben auf dem Kleinfeld. Das Tempo ist gemächlich, Köpenick- Oberspree deutlich überlegen. „Macht doch mal die Augen auf! Mann, Leute! Wir hatten so tolle Chancen“, bettelt die Trainerin des BAK in der Halbzeit, ihre Spielerinnen sind zu Boden gesunken.

Junge Männer kicken in Lederjacken auf ein leeres Tor und riskieren bei gewagten Volleyschüssen, dass ihre Sonnenbrillen aus dem Haar fallen.

14.00 Uhr, Männer, Regionalliga:

Berliner AK - FC St. Pauli II

Der schwarze Bus mit dem Totenkopflogo parkt schon seit Stunden vor dem Stadioneingang, ein Hauch von Profifußball ist zu Gast in Moabit. St. Pauli hat überall Fans, davon zeugen mehrere Dutzend Zuschauer mit Buttons, Punkfrisuren und Piercings sowie ein Transparent der „Braun-Weißen Spreepiraten“. Die C-Jugend-Spieler des BAK haben sich umgezogen und stehen als Balljungen hinter den Banden, auf denen für die „Rechtsanwälte Göktekin und Aygar“ oder das „Autohaus Moritzplatz“ geworben wird. Der BAK ist nach Hertha und Union die drittbeste Mannschaft Berlins, hier spielen disziplinierte Profis, Bierbäuche gibt es nur auf der Tribüne.

Die beiden Damen an der Theke der Würstchenbude haben mit dem Andrang der St.-Pauli-Fans nicht gerechnet, die Brötchen sind längst aus.

14.00 Uhr, Männer, Kreisliga A:

ASV Berlin - SC Teutonia II

Foul. Spieler bleibt liegen, ein Zuschauer sprintet mit Medizinköfferchen auf den Platz. Kurze Behandlung, Sprint zurück, stolzes Grinsen: „Dr. Müller-Wohlfahrt, oder?“ Der ASV verschießt zwei Elfmeter, Teutonia gelingt in der 90. Minute das 2:1, große Trauer, riesiger Jubel.

Immer wieder sieht man Spieler, die fußballerisch herausragen: der bei Flanken unbezwingbare Hellersdorfer Torwart, der spinnenbeinige Dribbler vom ASV, der routinierte Rechtsverteidiger von Teutonia.

16.30, Trainingskick:

Sierra Sport And Culture Club

Die Sonne geht hinter den Hügeln des Fritz-Schloß-Parks unter, auf den Plätzen oberhalb des Stadions kriecht die Feuchtigkeit aus dem Boden. Freizeitfußballer, die meisten aus Sierra Leone, trainieren für ein Turnier afrikanischstämmiger Teams. Ein Deutscher mit aufgetürmten Rastazöpfen spielt mit, barfuß. Der Torwart trägt Jeans, ein Stürmer im kompletten Outfit des FC Bayern verdribbelt sich. „Stupidness! Play di ball in di middle, mon!“, ruft der Trainer belustigt. Der Bayern-Dribbler rutscht auf dem nassen Laub aus und glitscht meterweit über den Rasen, alle lachen.

Das Schlüsselbrett im Platzwart-Kabuff hat sich wieder gefüllt, die Kabinen und Plätze leeren sich. Bald werden nur noch die Hobbyspieler da sein. „Die spielen, bis es stockdunkel ist“, sagt der Platzwart. „Dann hauen sie ab.“ Und kommen am nächsten Wochenende wieder.

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