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Fußball in Berlin: Eine Mannschaft aus Flüchtlingen

„Champions ohne Grenzen“, ein Kooperationsprojekt des Vereins „... weil Fußball verbindet“, bietet Flüchtlingen in Berlin die Möglichkeit, gemeinsam in einer Mannschaft Fußball zu spielen - und ihre Angst vor Abschiebung für 90 Minuten zu verdrängen. Ein Ortsbesuch.

Hussein ist 20 Jahre alt, Dortmund-Fan und Flüchtling. Sein Lieblingsort in Berlin ist ein Kunstrasenplatz in Kreuzberg. Einmal wöchentlich kommt er in die Wrangelstraße, Ecke Skalitzer, um Fußball zu spielen und seine Angst, abgeschoben zu werden, für etwas mehr als 90 Minuten zu vergessen.

Vor acht Jahren ist Hussein aus Afghanistan geflohen. Aufgrund von „familiären Problemen“, sagt er. Die genauen Hintergründe seiner Flucht möchte er für sich behalten. Aber wäre er nicht geflohen, wäre er heute wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Außer zu seinem Onkel, mit dem er ab und zu telefoniert, hat er keinen Kontakt mehr zur Familie. Dafür hat er oft Heimweh. „Ein Teil meines Herzens ist hier, der andere in Afghanistan.“

Hussein stammt aus der Provinz Deikondi, einer kargen und bergigen Gegend ohne Internetempfang, sieben Autostunden von Kabul entfernt. Von dort hat er sich vor acht Jahren auf den Weg gemacht. Über den Iran, wo er als Flüchtling keinen sicheren Status hatte, gelangte er in die Türkei, von dort nach Griechenland, wo er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt. Er wollte weiter. Von Deutschland hatte Hussein viel gehört. Seit zwei Jahren lebt er nun in Berlin, seit einem Jahr spielt er Fußball in einer Mannschaft, in der hauptsächlich Flüchtlinge spielen.

Champions ohne Grenzen“ ist ein Kooperationsprojekt des Vereins „... weil Fußball verbindet“ und dem Kreuzberger Klub FSV Hansa 07, für das dieser in diesem Jahr durch den Berliner Fußballverband (BFV) ausgezeichnet wurde. „Dem Klub ist es wichtig, das Projekt trotz akuten Platzmangels im Bezirk so gut es geht zu unterstützen“, sagt die Stellvertretende Vorsitzende Barbara Messow. Am Spielbetrieb des BFV nimmt das Flüchtlingsteam nicht teil – ohne anerkannte Asylanträge keine Spielerpässe. Manche der Spieler haben noch nicht einmal richtige Fußballschuhe. Laut Carolin Gaffron, Mitbegründerin des Vereins „... weil Fußball verbindet“ und Trainerin des Teams, geht es vor allem darum, eine Alternative zum Flüchtlingsalltag anzubieten, der häufig von Behördengängen, Sammelunterkünften und existenzieller Unsicherheit geprägt ist.

Zum Training kommen Spieler aus Afghanistan, Pakistan, der Türkei, dem Iran und Mali

Hussein nimmt dieses Angebot dankbar an. Beim wöchentlichen Training wird auf und neben dem Platz Deutsch, Englisch, Französisch und auch Arabisch gesprochen – mitunter alles gleichzeitig. „Aber irgendwie verstehen wir uns“, sagt Hussein und lacht. Seine Mitspieler kommen aus Afghanistan, Pakistan, der Türkei, dem Iran oder wie sein Teamkollege Didier aus Afrika. Der 20-Jährige ist seit vier Monaten in Berlin. Seinen richtigen Namen möchte er nicht nennen. Didier Drogba ist sein Vorbild. Didier verließ sein Heimatland Mali, um in Libyen als Maler und Lackierer zu arbeiten. Als dort der Krieg ausbrach, saß Didier bereits in einem Boot nach Italien. An die Überfahrt, die fast zwei Tage dauerte, will er nicht mehr denken. „Wir haben unsere Heimatländer nicht freiwillig verlassen. Für uns gab es keinen anderen Ausweg außer Flucht“, sagt Hussein. Die „Aufenthaltsgestattung“, die Hussein wie einen Personalausweis immer bei sich tragen muss, verbietet ihm eine „selbstständige Tätigkeit“ oder ein Studium. Am liebsten würde Hussein arbeiten oder ein Praktikum absolvieren. Auch Deutschland kennenlernen würde er gerne – wenn er denn dürfte. Aber er darf nicht weiter als bis nach Brandenburg. „Manchmal fühlt es sich wie ein Gefängnis an“, sagt er. Im November wird über seinen Aufenthalt neu verhandelt. Die Ungewissheit ist für den 20-Jährigen nur schwer erträglich.

Vor einer Woche hat das Flüchtlingsteam an einem Turnier von Tennis Borussia teilgenommen. Nach Bekanntgabe der teilnehmenden Teams habe eine Mannschaft das Turnier demonstrativ verlassen. „Sie wollten nicht gegen uns spielen“, vermutet Hussein. Es war auch der Samstag, an dem die NPD mit einem Bus fünf Asylbewerberheime in Berlin ansteuern wollte, aber bereits in der Nähe des Flüchtlingscamps am Kreuzberger Oranienplatz auf erheblichen Widerstand traf.

An diesem Wochenende nimmt die Mannschaft an einem Turnier auf Rügen teil. Viele von Husseins Teamkollegen mussten vorher eine Erlaubnis von der Ausländerbehörde einholen. Hussein musste dieses Mal niemanden fragen. In Gruppen darf er weiter als bis Brandenburg reisen. Es heißt, Angela Merkel würde die Veranstaltung auf der Ostseeinsel besuchen. Die Bundeskanzlerin ist gerade auf Wahlkampftour. Sollte Hussein sie am Spielfeldrand treffen, würde er ihr nur eine Frage stellen wollen: „Kannst du uns die Erlaubnis geben, dass wir bleiben können?“

Johanna Behre

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