zum Hauptinhalt

Sport: Preussische Etiketten

Das Westberliner Eishockey ist in der Krise – zwei Klubs versuchen nun mit einem angestaubten Vereinsnamen einen Neuanfang

Czeslaw Panek steht an der Bande auf dem Eis der Deutschlandhalle und beobachtet das Training seiner jungen Spieler. Die 14- bis 17-Jährigen flitzen in roten, grünen und schwarzen Trikots über das Eis, jagen dem Puck hinterher, schießen auf das Tor. Ein Neuer ist dabei, aus Bad Kissingen. Er hat ein paar Umzugskartons in das Auto seiner Eltern geladen und ist mit ihnen nach Berlin gefahren. Er weiß noch nicht, wo er übernachten wird. Aber er will professionell Eishockey spielen. Panek nickt anerkennend. „Das ist ein Guter. Den können wir gebrauchen.“

Es ist schließlich nicht mehr selbstverständlich, dass junge Menschen aus Bayern in den Westen Berlins kommen, um Eishockey zu spielen. Panek ist Trainer der Nachwuchsmannschaft des Eishockey-Clubs Charlottenburg (ECC) Preussen-Juniors. Er kennt die guten Zeiten des Eishockeys unterm Funkturm nicht nur aus Erzählungen. Der frühere polnische Nationalspieler hat selbst für den BSC Preussen in der Bundesliga gespielt, war auch Trainer in Berlin, ging dann nach Düsseldorf und Bozen. Vor zwei Jahren kam er zurück nach Berlin, in einer „leider etwas unglückliche Phase“, wie Panek feststellen musste. Das ist untertrieben.

Der Klub nannte sich inzwischen „Capitals“, was so viel wie Hauptstädter heißen sollte. Das sollte weltmännisch klingen und selbstbewusst. Doch der Klub stieg 2002 hochverschuldet aus der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) ab, bekam keine Lizenz für die Zweite Liga und spielte zum Schluss in der drittklassigen Oberliga. Capitals, das klang zuletzt nicht mehr wichtig, sondern nach nicht bezahlten Spielergehältern, nach Intrigen und schließlich nach Insolvenz. Nach der vergangen Saison waren die Capitals – wieder einmal hochverschuldet – Geschichte. Nun heißen Eishockey-Klubs in Westberlin wieder „Preussen“.

Neben den Preussen-Juniors gibt es noch einen zweiten Klub, den Berliner Schlittschuh-Club (BSchC). Der Traditionsverein aus dem Berliner Westen – immerhin 20 Mal Deutscher Eishockey-Meister – wagt nun einen neuen Anlauf in höhere Gefilde. Um den Hauptverein vor einem eventuellen finanziellen Engpass zu schützen, wurde die Profiabteilung ausgegliedert. Sie firmiert nun unter „Berliner Schlittschuh-Club Preussen“.

Beide Vereine, der ECC Preussen und der BSC Preussen, spielen und trainieren in der Deutschlandhalle, beide wollen früher oder später an die guten alten Zeiten anknüpfen – auf unterschiedliche Weise. Dem Schlittschuh-Club hat sich die alte Oberliga-Abteilung der Capitals angeschlossen, den ECC bildet die alte Jugendabteilung. Der Schlittschuh-Club hat eine Lizenz für die Oberliga, deren Saison in der kommenden Woche beginnt. Aber der Verein bekommt nur mit Mühe fünf oder sechs Jugendmannschaften zusammen. Der ECC hat dagegen eine starke Jugendmannschaft, die in der Deutschen Nachwuchs-Liga gegen erstklassige Jugendteams der Kölner Haie, Mannheimer Adler oder Berliner Eisbären spielt. Aber es gibt keine Seniorenmannschaft, in der die teuer ausgebildeten Nachwuchsspieler anschließend professionell spielen könnten. Es existiert nur ein Team in der Regionalliga, in der vierthöchsten Spielklasse. Sie will nicht etwa aufsteigen, sondern laut Mannschaftsleiter und Torwart Sebastian Baader die „sympathischste Mannschaft der Liga“ werden.

Dennoch wird es eine Zusammenarbeit zwischen den Mannschaften, die sich eine Halle teilen müssen, wohl nicht geben – stattdessen gibt es Streit um die Eiszeiten. „Wir dürfen abends nicht aufs Eis, stattdessen trainieren dort Hobby- und Nachwuchsmannschaften", ärgert sich Ernst Köpf, Teammanager des BSchC. „Eine Zusammenarbeit wäre prinzipiell sinnvoll“, sagt zwar ECC-Präsident Alexander Ahrens. Es habe auch schon erste Gespräche gegeben, aber „beide Seiten müssen etwas einbringen“, sagt Ahrens. Andernfalls wolle man lieber eigenständig bleiben. „Die Effektivität der Jugendarbeit bei den Capitals war nicht sehr hoch“, entgegnet BSchC-Geschäftsführer Michael Walter. „Wir müssten im sportlichen Bereich Einfluss haben dürfen.“ Aber da gebe es eben „zu viele Befindlichkeiten aus der Vergangenheit“.

Czeslaw Panek ist in der Tat skeptisch. Es habe einfach zu viel Streit gegeben zu Zeiten der Capitals, und die Verantwortlichen beim BSchC seien dieselben wie bei den Capitals. „Was haben wir von einer Kooperation?“, fragt der Nachwuchstrainer. „Wir wollen hier lieber in Ruhe und Bescheidenheit etwas aufbauen.“ Der Schlittschuh-Club hat dagegen schon wieder Großes vor: Ende August verpflichtete der Klub den bei den Eisbären ausgemusterten Yvon Corriveau. Der 37-Jährige, der immerhin 309 Spiele in der nordamerikanischen Profiliga NHL absolvierte, ist seit 1997 in Berlin, und der robuste Stürmer war bei den Fans der Eisbären und der Capitals, wo er auch zwei Jahre spielte, äußerst beliebt und zudem auch sehr erfolgreich. Ein Superstar für die dritte Liga? „Das ist eine unglaubliche Sache, ein Zeichen nach vorne", glaubt Köpf. Nun wolle man mindestens die Play-offs erreichen.

Natürlich, die Verpflichtung von Corriveau kommt den Schlittschuh-Club nicht eben billig. 2600 Euro haben die Fans gesammelt, den Rest für das Saisonsalär des Kanadiers – es soll bei 25 000 Euro liegen – will ein Sponsor aufbringen. Ein kostenspieliges Abenteuer für einen Drittligisten.

Unter der Pressemitteilung, in der der Schlittschuh-Club die Verpflichtung von Corriveau bekannt gegeben hat, steht ein Zitat von Friedensreich Hundertwasser: „Wenn einer alleine träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, ist das der Anfang einer neuen Wirklichkeit.“ Ruhe und Bescheidenheit scheinen keine Tugenden des Westberliner Eishockeys zu sein.

Steffen Hudemann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false