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Lichtenberg

© promo

Rechtsradikale: Gerade mit denen

Mit Fußball gegen Gewalt und Rechtsradikalismus: Ein Sportklub im Berliner Stadtteil Lichtenberg setzt sich mit Rechtsradikalen auseinander – als einziger in der Hauptstadt. Zum Ausflug ging es ins KZ Buchenwald.

Nicht gleich am ersten Tag der Reise, aber am dritten, da wagte er es. Da stellte er Neonazis und Russlanddeutsche vor eine Wahl: Entweder Unterricht oder Fußball am Strand – in gemischten Mannschaften. Die Sonne schien, auf Vorträge hatte niemand Lust, und so spielten sie, und am Ende gaben sich Russlanddeutsche und Neonazis die Hand.

Diese Geschichte von der Reise an die Ostsee erzählt Peter Steger gern; sie zeigt, was er versucht in dem Haus in der Frankfurter Allee, das eine weiße Fassade hätte, wenn es nicht voller Graffiti wäre. Das Schild draußen weist nur zu einer Arztpraxis, drinnen ist seit 1991 auch der Sportjugendclub Lichtenberg, der jugendliche Neonazis mittels Sport erreichen will. Er ist die einzige Einrichtung dieser Art in Berlin, er ist finanziert vom Senat, er läuft der allgemeinen Erwartung zuwider: Mit Sport, ausgerechnet mit Fußball gegen Gewalt und Rechtsradikalismus – das passt nicht zu dem, was sonst passiert, wie etwa den Morddrohungen, die es zuletzt gegen den Geschäftsführer von Dynamo Dresden gab.

Dass Sport ein sozialpädagogisches Vehikel sein kann, das hat auch Peter Steger anfangs nicht gedacht. In der DDR, wo er lebte, gab es nur Leistungssport, Schulsport und Betriebssport. Bedarf für Hilfe sah er nach der Wende aber genug, gerade in Lichtenberg, Hochburg der Staatsfunktionäre, mit all ihren Söhnen, darauf getrimmt, gute Pioniere zu sein. Drogen und Kriminalität erwartete Steger, als Antwort auf die Umwälzungen, „nur mit den Rechten, mit denen habe ich nicht gerechnet“. Als sie dann kamen in seinen Klub, fragte er sich: Darf ich mit solchen überhaupt arbeiten? Und gab sich die Antwort selbst – gerade mit ihnen, aus einem Land, das sich mit Gründung als antifaschistisch erklärt hatte, das keine 68er-Bewegung hatte, das im Weltkrieg voller Sanitäter oder kommunistischer Widerstandskämpfer gewesen sein wollte.

„Ich lasse mich nicht umkrempeln“

Während Peter Steger so spricht, kommen die Jungen nacheinander in sein Büro, zum Hallosagen, zum Schlüsselholen; sie hören, was er über sie sagt, es stört sie nicht. Dass Menschen widersprüchlich sind, das ist eine Erfahrung an diesem Ort. Jungen, die Wahlkampf für die NPD gemacht haben, Hooligans sind, einem Ausländer nicht die Hand geben würden, kommen freiwillig hierher. „Ich lasse mich nicht umkrempeln“, sagen sie vorneweg und kommen trotzdem wieder, mitunter über Monate und Jahre. Was Steger ihnen anbieten will, ist ein anderer Entwurf, wie Leben gehen kann, nur eine Option, entscheiden sollen sie selbst.

Martin* hat das getan, sein Mitgliedsausweis der Jungen Nationaldemokraten liegt in Stegers Schreibtischschublade. Nein, gegeben habe er ihn Steger nicht, aber mal liegen gelassen, sagt er. Er brauche ihn nicht mehr, die Zeiten seien vorbei. „Da sehe ich ja schlimm aus, pack das mal weg.“ Auf dem Ausweisfoto ist sein Schädel kahl, inzwischen ist sein Haar gewachsen. Sven* hat das, was Menschen mit längeren Haaren gewöhnlich tun, gerade das erste Mal probiert. Ist weitergegangen, als einer ihn anrempelte, anstatt zuzuschlagen. Wie er es findet, weiß er noch nicht. Richtig gut wäre es erst, wenn der Rempler wüsste, dass er trotzdem kein Schwächling ist. Nun geht er erst einmal in den Fitnessraum unten im Haus, zum Pumpen, zum Abreagieren.

„Die zehn Gebote“ steht auf einem Zettel an der Wand des Fitnessraums. „Achte auf den Schmerz“ lautet eins von ihnen. Den Raum haben die Jungen selbst eingerichtet, hier trainieren sie, am Ständer hängt ein Handtuch eines Berliner Gefängnisses. Ein paar Straßen weiter werden sie heute Abend, wie jeden Montag, Fußball spielen, werden den Ball dabei mit solcher Kraft treten, dass er gegen die Basketballkörbe knallt. Mehr Material zur Selbstdefinition als ihre Muskeln bleibt oft nicht, auch lassen sie sich gut herzeigen, vor Mädchen etwa. Als die Rechten jedoch einmal eine Bootstour mit Russlanddeutschen machten, blieben sie allein zurück mit ihren Muskeln, und beobachteten die Russlanddeutschen und deren Schlag bei Frauen, einfach weil sie die Mädchen zum Lachen brachten.

Diktatur als beste Staatsform

Robert*, 23 Jahre und in der Szene, seitdem er mit 13 Jahren nach Lichtenberg zog, macht keine Scherze. Eine Diktatur sei die beste Staatsform, sagt er, und dass die Weißen den Schwarzen überlegen seien. „Warum glaubst du das?“, fragt Peter Steger ihn, besteht auf einer Antwort, Nachdenken, Argumentation. Er sei ein Allesversteher, würfen Leute ihm vor, sagt Steger, und ja, genau das wolle er – verstehen, wohin Menschen ihr Wunsch nach Heimat treiben kann, wie einer zum Gewalttäter wird, alles. Glatzenpflege auf Staatskosten betreibe er, lautet ein anderer Vorwurf; damit konfrontiert erzählt Steger eine Geschichte. Von einer kompletten Kameradschaft, die seine Halle nutzen wollte, der er eine Weile zusah – bei Handstand, Liegestütze, schriller Trillerpfeife, hartem Drill, wie vor einem Kampf – und dann fortschickte. „Wer hierher kommt, muss bereit sein zu reden.“

Dafür nimmt Steger vieles in Kauf. Einmal fuhr er mit den Rechten ins Konzentrationslager Buchenwald, mit dem Leiter der Gedenkstätte war der Besuch abgesprochen, was sie beide nicht wussten, war, dass die Jungen provozieren wollten: Alle hatten sie ihre Uniformen und Springerstiefel an. Der Leiter nahm das hin, nahm auch den Einwurf hin, er solle nicht von Mord an Juden sprechen, schließlich sei Krieg gewesen. Seelenruhig erklärte er, dass im Krieg beide Seiten Waffen hätten, sich verteidigen könnten, hier aber Wehrlose umgebracht wurden. Nichts verbieten, stattdessen alles widerlegen – einen anderen Weg sieht Steger nicht. Zu einem Diskussionsabend übertitelt mit „Deutscher Kultur“ kam Steger mit Musik, einmal Richard Wagner, Hitlers Lieblingskomponist, einmal der jüdische Gustav Mahler. Steger spielte beide, ohne den Komponisten zu nennen, dann fragte er Robert, welches Stück ihm besser gefalle. Und Robert gab Mahler den Vorzug. „Schöne Musik“, sagte er.

Einen „bekennenden Nationalsozialisten“ hat sich Robert früher genannt. Das sei er nicht mehr, sagt er. Was er stattdessen ist, wie er sich nun nennen kann, das weiß er noch nicht.

* – Namen von der Redaktion geändert.

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