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Kneifen gilt nicht. Der Tagesspiegel-Reporter wollte eigentlich die Steilkurve im Velodrom austesten. Aber dann kam alles ganz anders.

© Georg Moritz

Sechstagerennen aus dem Stand: Wie ein Igel auf der Autobahn

Ist eine Runde beim Sechstagerennen so leicht zu fahren, wie es bei den Profis aussieht? Unser Reporter hat einen Selbstversuch gewagt.

Puff, Puff, Puff. Immer wieder: Puff, Puff, Puff. So klingt die Luftpumpe, die im Nebenraum arbeitet. Wahrscheinlich ist es mein Rad, das da gerade aufgepumpt wird. Irgendwann verstummt das Geräusch. Spätestens jetzt, in der Umkleide, wird mir klar: Kneifen geht nicht mehr. In wenigen Augenblicken werde ich auf der Bahn im Berliner Velodrom ein paar Runden drehen. Am Abend fahren dort die Radrennfahrer beim Berliner Sechstagerennen. Allesamt Profis – wenn sie über die 250 Meter lange Bahn aus nordischer Fichte brettern, sieht das spielerisch. kinderleicht aus. Ist es wahrscheinlich aber nicht.

Ich will das herausfinden. Im Grunde war es Faszination auf den ersten Blick. Als ich vor zwei Jahren zum ersten Mal im Velodrom stand, fielen mir sofort die beiden Kurven auf. 45 Grad steil. Imposant sind sie, wenn man unten im Fahrerbereich direkt vor ihnen steht. An diesen zwei Stellen ist die Bahn beinahe senkrecht. Für die Fahrer kein Problem; sie legen sich in die Kurven, nicht selten gibt es dort Überholmanöver und manchmal passieren sie die schwierigen Passagen sogar freihändig. Etwa bei der La Ola, wenn zwischen den Rennen das Publikum animiert werden soll.

An freihändig fahren denke ich nie und nimmer, mir stellt sich eine ganz andere Frage, als ich von einem Helfer mein Rad bekomme: Wo, bitteschön sind die Bremsen?! Sehen kann ich sie jedenfalls nicht. Wie auch? Bahnräder haben gar keine. Auch eine Gangschaltung fehlt. Man bremst durch geschicktes Gegentreten. Das ist schwieriger, als es sich anhört. Wer bei voller Fahrt plötzlich rückwärts tritt, fliegt vorn über den Lenker. Und das will ich auf keinen Fall. Man muss sich also früh genug überlegen, wo man zum stehen kommen will, um rechtzeitig mit dem Gegentreten zu beginnen. Noch bevor ich meine erste Runde auf dem Oval fahre, erahne ich, wie viel Übung dazu gehört, um so zu fahren wie Robert Bartko, Franco Marvulli und all die anderen Rennstars.

Aus der Halle dröhnt Motorenknattern in die Katakomben, dezenter Benzingeruch liegt in der Luft. Mit dem Fahrrad unter dem Arm nähere ich mich der Bahn. Verdammt! Die Steher üben gerade, wenn ich mich jetzt auf die Bahn wage, ist das, als würde ein Igel auf der Autobahn laufen. Auf diese Erfahrung kann ich gut verzichten. Viel lieber lasse ich mich ausführlich von Dieter Stein einweisen. Der ist Sportlicher Leiter beim Berliner Sechstagerennen. Früher ist er selbst in der Werner-Seelenbinder-Halle Rennen gefahren, Stein war ein berühmter Radfahrer in der DDR. Heute trainiert er den Nachwuchs. Seine lockigen Haare sind inzwischen etwas ergraut, auch sein Bauch hat etwas an Umfang gewonnen. Die Begeisterung für den Radsport ist aber die gleiche geblieben. Stein erklärt: „Um perfekt auf der Bahn zu fahren, braucht es viel Übung.“ Was in meinem Fall heißt: „Besser du hältst dich von dem Parkett fern.“ Diesen Rat befolge ich nun gern, die anfängliche Euphorie ist verflogen.

"Für Quereinsteiger ist das fast unmöglich."

Meine ersten Runden drehe ich unten auf dem Teppich. Stein gibt mir einen Schubs, etwas wacklig absolviere ich die ersten Meter. Die Sache mit dem starren Gang ist – gelinde gesagt – gewöhnungsbedürftig. Dazu kommt, dass meine Füße an den Pedalen mit einer Schnalle festgezurrt sind. Nie war Radfahren so schwierig. Über mir knattern weiter die Motoren, Rad- und Leichtmotorradfahrer überrunden mich. Ich bin froh, dass ich überhaupt auf dem Rad bleibe und keinen Unfall baue. Auf die Bahn, das leuchtet ein, komme ich heute nicht mehr. Morgen auch nicht. Ich mache Pause.

„Für Quereinsteiger ist das fast unmöglich“, sagt Stein. „Die Kinder beginnen im Alter von zehn Jahren mit dem Bahntraining. Später wird es dann immer schwieriger.“ Technik und Geschwindigkeit sind laut Stein alles. Gerade das Überholen will an diesem Punkt der Strecke gelernt sein. Wann breche ich am besten aus dem Windschatten des vor mir Fahrenden aus? Wann fahre ich in welchem Winkel ein, um den meisten Schwung mit auf die Gerade zu nehmen?

Wer zu langsam in die Kurve geht, den würde die Schwerkraft nach unten ziehen. Die meisten Fahrer haben das schon erlebt, die häufigste Folge: Schlüsselbeinbruch. Zum Beweis zieht Stein sein Hemd zur Seite, eine riesige Narbe ziert die Stelle, an der sich sein linkes Schlüsselbein befindet. „Wer etwas mehr Glück hat, zieht sich bei einem Sturz brennende Schürfwunden zu“, sagt Stein. Die brennen höllisch. Wie bestellt steht hinter uns ein Fahrer, dessen Arme und Beine von dieser Art Verletzung übersät sind.

Vorhin hatte ich mich nach ein paar Übungsrunden auf dem Teppich immer sicherer gefühlt. Doch nach dem Anblick von Steins Narbe und den Schürfwunden des Fahrers bleibe ich der Bahn lieber fern. Gerade setzt einer mitten in der Kurve ganz oben zum Überholen an. Die Faszination für die 45-Grad-Neigung bleibt. Der Wunsch, sie selbst einmal zu befahren, ist inzwischen aber verflogen.

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