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Ein Bolzplatz in Berlin. In der Hitze des Gefechts um den Ball können auch die Aggressionen hochkochen.

© dapd

Sport und Aggression: Fußball - Ventil oder Aufputschmittel?

Beim Fußball kommt es immer wieder zu Streitigkeiten und Gewalttaten, nicht zuletzt der Fall Jusef El-A. begann auf einem Bolzplatz. Hat der Sport, insbesondere Fußball, vielleicht auch eine aufputschende Wirkung?

Die Auseinandersetzung in der Neuköllner "Weißen Siedlung" am Sonntag vor einer Woche, die zum Tod des jungen Jusef El-A. führte, steht auch mit Fußball in Verbindung. Obwohl sich erste Meldungen über einen Zusammenhang mit dem Abbruch eines Kreisliga-Spiels am selben Tag in der Pflügerstraße später als falsch erwiesen, so begann der Streit mit tödlichem Ausgang doch beim Fußballspielen, auf dem kleinen Bolzplatz am Dammweg.

Allgemein wird angenommen, dass Jugendliche, die ihre Zeit und Energie in den Sport stecken, weniger anfällig dafür sind, aus Langeweile und Perspektivlosigkeit gewalttätig zu werden. Gerne werben Sportvereine damit, "die Jugendlichen von der Straße zu holen". Doch scheinbar wird auch der Sport selbst öfter mal dazu genutzt, um Aggressionen herauszulassen, wie immer wiederkehrende Negativ-Meldungen aus dem Amateurfußball zeigen. Hat der Fußball vielleicht auch eine aufputschende Wirkung?

"Die Hypothese, nach der Frust und Aggression sich anstauen und dann durch körperliche Aktivität wieder abgebaut werden, gilt als widerlegt", erklärt Prof. Dr. Henning Plessner vom Institut für Sportpsychologie der Universität Heidelberg. Unter bestimmten Bedingungen könnten die Aggressionen beim Fußball sogar noch ansteigen, nicht umsonst gebe es Begriffe wie "Frustfoul". Für den Sportpsychologen sind sportliche Wettkämpfe "grundsätzlich hervorragende Bedingungen, um Gruppenkonflikte zu schüren". Um das einzudämmen, gäbe es aber Spielregeln.

Oft werden die Regeln erst intern ausgehandelt, wie zum Beispiel auf dem Bolzplatz, wo es keine Schiedsrichter gibt, so Plessner weiter. Entscheidend sind aus seiner Sicht aber die beteiligten Individuen und nicht die Sportart. "Wenn eine Auseinandersetzung auf dem Fußballplatz zu Gewaltexzessen eskaliert, dann liegt das nicht am Fußball. Die hätten sich dann auch beim Schach in die Haare gekriegt."

Auch Kevin Langner, Pressesprecher beim Berliner Fußballverband (BFV), sieht das Problem vor allem dort, wo es die Strukturen und den regeltechnischen Rahmen durch die Fußballvereine nicht gibt bzw. wo diese nicht ausreichend umgesetzt werden. Trotzdem kommt es auch auf der Vereinsebene hin und wieder zu entsprechenden Vorfällen, wobei laut Langner die Zahl der Fälle von körperlicher Gewalt rückläufig ist, die verbale Gewalt jedoch zugenommen hat.

Problemfälle gibt es immer wieder, unter anderem beim NFC Rot-Weiß an der Pflügerstraße im Reuter-Kiez in Nord-Neukölln, direkt neben dem Rütli-Campus. Dort also, wo es am Sonntag zum Spielabbruch kam. Im Vergleich zu den dramatischen Ereignissen nach dem Bolzplatz-Streit am selben Tag, muten die Vorfälle hier vergleichsweise harmlos, zumindest nicht unüblich an. Eine Rote Karte wegen unsportlichem Verhalten, gefolgt von einer verbalen Auseinandersetzung. Dann Handgreiflichkeiten, Zuschauer stürmen aufs Spielfeld, ein Gästespieler wird von einer Gruppe verfolgt und ergreift die Flucht. Die Ausganglage ist ähnlich wie die, die nur wenige Stunden später und nicht weit entfernt zum Tod von Jusef El-A. führt. Aus einer Nichtigkeit während dem Fußballspiel wird ein handfester Streit, die Dinge schaukeln sich hoch. Doch an der Pflügerstraße beruhigt sich die Lage wieder, hinterher sitzen Spieler beider Mannschaft noch friedlich beieinander.

Ist es vor allem auf den Bolzplätzen problematisch?

Ahmet Sözen ist Zweiter Vorsitzender beim NFC, er kennt das Dilemma zwischen sozialem Engagement im Problemkiez und dem Einfordern von Respekt und Disziplin. "Einerseits versuchen wir, die Jugendlichen von der Straße zu holen und ihnen eine soziale Perspektive zu geben, andererseits müssen sie sich dann auch den Regeln unterordnen. Und wenn sie es nicht schaffen, müssen sie wieder gehen", erzählt er.

Ähnlich geht es Zejlko Ristic, Streetworker bei "Outreach" in Friedrichshain, dem selben Träger, der auch in der "Weißen Siedlung" den Jugendklub "Sunshine Inn" betreibt. Der Berliner mit bosnisch-serbischen Wurzeln ist außerdem seit über 20 Jahren als Jugendfußballtrainer in Berlin aktiv. Auch er findet den Vereinsfußball wichtig, weil die Jugendlichen so in feste Strukturen eingebunden sind und das Gefühl haben, gebraucht zu werden.

Ist es also vor allem auf den Bolzplätzen problematisch, wo es keine festen Regeln und Strukturen gibt? Nein, meint der erfahrene Streetworker, im Gegenteil. "Gerade dort passiert am wenigsten. Jeder Bolzplatz hat seine eigenen Regeln, eine Art Kodex, die Jungs sind alle aus der Nachbarschaft und kennen sich". Ristic zumindest hat nach eigenem Bekunden noch nie von einem schlimmen Vorfall auf einem Bolzplatz gehört.  Gerade weil es hier kein offizielles Regelwerk und keinen Schiedsrichter gebe: "Die Jungs müssen in den Dialog miteinander gehen, damit das Spiel funktioniert. Und es geht auch nicht um irgendeinen Turniersieg, sondern einfach nur ums Zocken. Den reinen Fußball eben. Je mehr Wettbewerbsform das Ganze annimmt, desto problematischer wird es."

Die Einbindung in Fußballvereine alleine ist natürlich nicht ausreichend, um die Jugendlichen von der schiefen Bahn fernzuhalten. Nicht wenige der Jungen, die Ristic in den 90er Jahren bei einem Moabiter Fußballklub trainierte, legten später eine "Knastkarriere" hin, wie er es nennt. "Im Verein haben die aber immer funktioniert", fügt der 38-jährige an.

Ahmet Sözen meint, dass diejenigen, die von früh an im Fußballverein integriert wurden, in der Regel friedlich sind, oft aber Gefahr laufen, durch falsche Freunde außerhalb des Vereins in Schwierigkeiten hineingezogen zu werden. Der 40-Jährige ist neben seiner Vereinstätigkeit in verschiedenen sozialen Projekten im Kiez engagiert und leitet ehrenamtlich die Fußball-AG der Rütli-Schule. Und er betont, dass er und seine Kollegen auch bei den problematischsten Fällen nicht aufgeben. Dass Sie versuchen, den Jugendlichen beim NFC auch immer wieder in persönlichen Dingen zu helfen, ihnen entgegen zu kommen, Ansprechpartner für Schulprobleme und andere Dinge zu sein. Nur manchmal hilft das alles nichts.

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