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Was wollt ihr nun sehen? Seit es die „German Open“ nicht mehr gibt, fehlt es im Steffi-Graf-Stadion an lukrativen Veranstaltungen.

© ddp

Steffi-Graf-Stadion: Untergang in Weiß

Das traditionsreiche Steffi-Graf-Stadion im Berliner Grunewald steht vor dem Verfall und bringt den LTTC Rot-Weiß jedes Jahr in arge Finanznöte

Die Bälle flogen wie kleine Geschosse über den roten Sand. Sie flogen wie an einer Schnur gezogen knapp über dem Boden oder in einer leichten Kurve, aber schnell, immer schnell. Das Ganze heißt ja auch Speedminton, die Hochgeschwindigkeitsversion von Badminton. Und hier, auf dem Gelände des LTTC Rot-Weiß, dem bekanntesten Tennisklub in Berlin, flogen sie besonders schnell, die Bälle. Muss ja so sein, bei einer Speedminton-Weltmeisterschaft, der ersten überhaupt.

Die Finalspiele fanden gestern natürlich im Allerheiligsten des Klubs statt, im legendären Steffi-Graf-Stadion. Hier hatte die Tennis-Legende Graf große Auftritte, als Star der „German Open“, des einstmals bedeutendsten Frauen-Tennisturniers in Deutschland. „Der Name Steffi-Graf-Stadion hat natürlich einen besonderen Klang“, hatte Niels Mester, der Geschäftsführer der Speedminton GmbH, die diese WM organisiert, vor dem Turnier erklärt.

Genauer gesagt hat diese Betonschüssel mit rotem Sand nur noch diesen Klang. Sie lebt vom Mythos, von der verklärten Vergangenheit. Das reale Steffi-Graf-Stadion ist ein schmuckloser Bau, der immer mehr verrottet und verwittert. Die Unterseiten der nüchternen Metall-Klappsitze rosten, die dicken Holzbohlen an der Stirnseite, vor der so- genannten Arkade Ost, sind verwittert, Moos wuchert an einigen Stellen. TV-Stationen könnten hier schon keine Aufbauten mehr für Kameras installieren, die Bohlen hielten das Gewicht nicht mehr aus. Olivgrüne Gartenstühle, seit Jahren wohl nicht mehr abgewischt, die sind nicht zu schwer, die stehen unbeachtet vor der Arkade Ost.

Für 20 Millionen Mark ist das Stadion Mitte der neunziger Jahre von 4 500 auf 7 002 Plätze ausgebaut worden, mit mobiler Zusatztribüne und viel Technik. Das Geld kam aus Lottomitteln, der Ausbau war eine Forderung des Welt-Frauentennisverbands WTA. Ansonsten hätte die WTA Berlin die „German Open“ sofort weggenommen.

Das ist später trotzdem passiert, die Betonschüssel aber steht immer noch da. Manchmal finden dort Verbandsspiele statt, 2010 kämpften auch mal rüstige Athleten bei der Deutschen Senioren-Meisterschaft, auch eine Jugendmeisterschaft wurde ausgerichtet, aber fast das ganze Jahr über steht das Stadion einfach nur da, unbenutzt.

Für den LTTC ist es längst ein finanzieller Klotz am Bein. Allein der Unterhalt, schätzt ein Vereinsinsider, der es wissen muss, kostet pro Jahr zwischen 80 000 und 100 000 Euro. Sanitäranlagen, Abdichtungen, Motoren, und und und, das alles kostet Geld. Der Klub hatte mal mehr als 500 Sitze gegen Korrosion behandeln lassen.

Der Klotz gehört dem Verein, und der hat aufgrund seiner unruhigen jüngeren Geschichte nicht gerade Geld im Überfluss. Die naheliegende Frage lautet selbstverständlich: Kann man denn dieses immerhin mythenbehaftete Stadion nicht anderweitig nutzen? Zeitweise an einen Kultur- oder Sportveranstalter vermieten, damit Geld reinkommt?

Kann man schon, aber jetzt wird's kompliziert. Jetzt kommen genau genommen zwei Geschichten. Die erste geht so: Da wird ein traditionsreicher Verein nicht einfach zu einem x-beliebigen Veranstaltungsort abgewertet. Ehre und Geschichte zählen mehr als schnöder Mammon. Die zweite Geschichte lautet so: Da steht sich ein Verein selbst im Weg, weil er an altehrwürdigen Normen und Vorstellungen festhält und sich lieber Traditionen verklärt als dringend benötigtes Geld einnimmt.

Mit Hochkultur könnten sich diverse Mitglieder ja wohl noch anfreunden, aber so ein Plan scheitert am Lärmschutz. Bei einer Abendveranstaltung zumindest, das Klubgelände liegt in einem Wohngebiet, da sind laute Veranstaltungen ab 20 Uhr verboten. Bleibt Sport, tagsüber selbstverständlich. Es gab mal Überlegungen der Klubführung, ein internationales Beachvolleyball-Turnier im Klub auszutragen, mit dem Finale im Graf-Stadion als Höhepunkt. Das hätte viel Geld eingebracht. Die Klubmitglieder stimmten darüber ab – die Ablehnung war überwältigend.

Mit den Speedminton-Spielern können sich die Vereinsmitglieder gerade noch abfinden, aber es gab schon empörtes Gegrummel. Immerhin: Die WM-Veranstalter füllen die Klubkasse mit einem fünfstelligen Betrag als Miete.

Vielleicht wurde das Gegrummel aber auch deshalb nicht noch lauter, weil natürlich alle Spieler die wichtigste Regel im Klub unterschrieben haben. Mag das Stadion auch vor sich hinbröckeln und verwittern, die Etikette muss stimmen: Alle Spieler haben sich verpflichtet, selbstverständlich nur in blütenweißer Kleidung im Stadion aufzutreten.

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