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Sport: Betäubt vom Schmerz

Nach der Niederlage über 200 m Freistil lenkt sich van Almsick im Wasser ab – und mit der Staffel

Die linke Hand blieb nur zwei, drei Sekunden ruhig. Ständig spielte Franziska van Almsick mit dem Drehverschluss ihrer Wasserflasche. Dafür waren ihre Gesichtsmuskeln unbeweglich, die Gesichtszüge hart, wie eingefroren. Franziska van Almsick zeigte keine Emotionen. Sie konnte keine zeigen, weil sie keine spürte. „Ich fühle im Moment gar nichts“, sagte sie. „Ich habe keine Zeit zum Trauern.“ Ist das wie eine Betäubung? „Ja“, sagte sie, die Olympiafünfte von Athen über 200 m Freistil, Finalzeit mäßige 1:58,88 Minuten. Sie stand am gleichen Platz, an dem sie zwölf Stunden zuvor mit großer Selbstbeherrschung ihre Tränen zurückgehalten hatte. Ein paar Meter vom Pool entfernt, vor dem sie am Dienstagabend weinend zusammengebrochen war. Platz fünf war ein Desaster.

Und jetzt hatte sie Platz sieben erreicht. Siebte in den Vorläufen über 100 m Freistil, sie stand damit im Halbfinale. Aber daraum ging es gar nicht, denn das Halbfinale wollte sie gar nicht schwimmen, sondern am Abend in der Staffel (siehe Text unten) noch einmal angreifen, um den Schmerz nicht zu spüren. Wichtig war, dass sie an diesem Vormittag überhaupt ein Rennen hatte. Der Sprung ins Wasser, die Konzentration auf den Wettkampf, das lenkt ab. Nichts wünscht sich die Weltrekordlerin über 200 m Freistil mehr, als dass sie nicht ins Grübeln kommt. „Ich habe gar keine Zeit zum Nachdenken“, sagt sie, „und das ist auch gut so.“

Es ist eine andere van Almsick, die hier steht. Eine, die so redet, als fühlte sie sich nicht bloß betäubt, sondern als hätte sie einen Schutzschild um sich errichtet. Am Dienstag hatte sie sich noch mehrfach selbst hart angeklagt und verbittert festgestellt: „Ich bin mal wieder am Erwartungsdruck gescheitert.“ Jetzt löste die Frage, ob sie aus der Distanz Fehler bei ihrem Rennen erkannt hatte, eine Trotzreaktion aus. „Es ist zum ersten Mal in meinem Leben, dass ich mir keine Fehler vorwerfe.“

Die Nacht war gut, sagte sie. Sie habe nicht wach gelegen. Die Familie war bei ihr, der Vater, die Mutter, die so froh ist, „dass die Hatz jetzt endlich vorüber ist“, der Freund, der Handballer Stefan Kretzschmar, der weiß, wie allein man in Momenten der Niederlage sein kann. Und wie man einen aufbaut, ohne groß zu reden. Kein Wort über das Rennen hätten sie verloren, sagte Franziska van Almsick. Direkt nach dem Rennen hatte Ralf Beckmann, der Chef-Bundestrainer, sie in den Arm genommen. Eine seltene Geste bei Beckmann. Er hatte sein Gesicht an ihr Ohr gelegt und etwas gesagt. Franziska van Almsick steht nicht allein, signalisierte diese Geste.

Am stärksten stand Norbert Warnatzsch hinter ihr, der Trainer. Warnatzsch ist ein harter, autoritärer Mann. Er ist nicht bekannt als einer, der im Übermaß Verständnis zeigt. Aber nach dem Rennen stellte er sich vor die Schwimmerin wie ein Vater, der mit aller Macht sein Kind verteidigt. „Man muss in allererster Linie die Fehler bei mir suchen. Meine Methoden muss man überprüfen, Franziska trifft überhaupt keine Schuld.“ Und denjenigen, die es immer noch nicht begriffen hatten, diktierte er streng: „Keiner hat das Recht, jetzt schlecht über Franziska zu schreiben, oder sie zu verunglimpfen.“

Auf die Stimmung der deutschen Mannschaft schien die Niederlage keine Wirkung zu haben. „Franziska hat es jetzt schwer“, sagt Schmetterling-Spezialist Thomas Rupprath. Aber irritieren würde ihn dieser Platz fünf nicht. Und Christa Thiel hebt abwehrend beide Hände, um zu zeigen, wie sehr die Idee, die Niederlage könnte das Team beeinflussen falsch ist. „Hundertprozentig passiert das nicht“, sagt die Präsidentin des Deutschen Schwimmverbands. „Sogar die Physiotherapeuten kommen zu mir und sagen: Wir stehen hinter ihr.“ Ein paar Minuten nach van Almsick klettern die Brustschwimmerinnen Anne Poleska und Birte Steven aus dem Pool. „Uns tut es Leid für Franziska. Aber die Stimmung ist trotzdem gut“, sagt Steven. Poleska findet: „Es ist sehr schade für sie. Aber für uns ist sie eine Schwimmerin wie jede andere. Uns belastet die Niederlage nicht.“

Am Abend aber, bevor die Frauen-Staffel mit van Almsick als Startschwimmerin ins Wasser geht, ist das ganze Team auf der Tribüner dann doch so angespannt wie nie. Van Almsicks Niederlage spukt allen im Kopf umher. Würde die Staffel den Bann brechen?

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