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Respekt. Yankees-Legende Mariano Rivera (r.) bekommt ein Präsent von Bostons David Ortiz überreicht.

© Reuters

Big Four - Die US-Sport-Kolumne: Stehende Ovationen vom großen Rivalen

Baseballstar Mariano Rivera beendet in diesem Jahr seine große Karriere. Auf seiner Abschiedstournee wird er sogar von den gegnerischen Fans gefeiert. Eine seltene Ausnahme in der modernen Welt des Profisports.

Stellen Sie sich einmal vor, Schalkes Julian Draxler tritt im Jahr 2030 letztmals im Dortmunder Stadion an. Am Saisonende wird er seine herausragende Karriere beenden, der große Rivale BVB würdigt die sportlichen Leistungen Draxlers mit einer besonderen Ehrung. Vor dem Spiel werden dem Schalker Andenken überreicht, auf dem Videowürfel laufen noch einmal Draxlers beste Szenen aus den Derbys gegen Dortmund. Das Publikum im Stadion steht auf, klatscht anerkennend Beifall. Sogar von der Südtribüne gibt es Applaus statt Pfiffe. Beinahe unvorstellbar, oder?!

Mit dem Fairplay im Sport ist es inzwischen so eine Sache. Er wird zwar oft gepredigt, aber gerade in den großen Mannschaftssportarten ist davon selten etwas zu sehen. Dabei sollte die Anerkennung der gegnerischen Leistung eigentlich die Regel und nicht die Ausnahme sein. Am vergangenen Sonntag gab es dafür im US-Baseball ein wunderbares, wenn auch seltenes Beispiel. Im Fenway Park von Boston wurde Mariano Rivera verabschiedet, der 19 Jahre lang für den großen Rivalen New York Yankees gespielt hat und vor Beginn der Spielzeit seinen Rücktritt zum Saisonende angekündigt hatte. Die Red Sox nahmen sich vor dem Spiel mehr als zehn Minuten Zeit für ihre Ehrerbietung, die Atmosphäre war locker und gelöst. Spieler und Fans genossen die Zeremonie sichtlich.

Nun ist Rivera allerdings auch ein besonderes Beispiel. Er hat seine gesamte Karriere bei den Yankees verbracht, sich dabei stets vorbildlich verhalten und großartige Leistungen gezeigt. Als letzter Spieler in der Major League Baseball trägt er die Nummer 42, die Jackie Robinson berühmt gemacht hat und die in der MLB nicht mehr vergeben wird. Er ist vielleicht der Baseballspieler mit den besten Nerven überhaupt, denn Riveras Aufgabe ist es, eine Führung nach Hause zu bringen. Er ist der Closer, der Mann, der Spiele zu Ende wirft. Immer dann, wenn "Enter Sandman" von Metallica erklingt, kommt seine Zeit. Im neunten Inning, wenn der Gegner der Yankees noch einmal alles versucht, um einen knappen Rückstand aufzuholen, stellt sich ihm der für Baseballverhältnisse eher schmale Mann aus Panama entgegen. 651 so genannte Saves stehen für ihn zu Buche - Rekord in der Liga. 13 Mal wurde Rivera ins Allstar-Game gewählt, fünfmal gewann er mit den Yankees die World Series. Und hat dabei immer Größe gezeigt, egal ob er für sein Team gewann oder - was selten geschah - doch einmal geschlagen wurde.

Besonders hoch wird Rivera angerechnet, dass er nie abgehoben ist. Er hat keine großen Gesten aufgeführt, jedem Gegner stets Respekt entgegengebracht. Auch wenn er ihn beherrscht hat. Und er war nie ein Mann großer Worte. Darauf angesprochen hat Rivera seinen Job einst wie folgt beschrieben: "Ich bekomme den Ball, ich werfe den Ball und danach gehe ich duschen."

Als Yankees-Spieler hatte er dabei eine besondere Beziehung zu den Red Sox. New York und Boston verbindet die wohl größte Rivalität im US-Sport. Eine, die lange Zeit nur einen Sieger kannte. Dann kam die Saison 2004. Die Yankees spielten in den Play-offs gegen die Red Sox und führten in der Best-of-Seven-Serie schon 3:0. In den Spielen vier und fünf patzte Rivera zweimal hintereinander, Boston kam heran, gewann die Serie noch 4:3 und wurde später erstmals nach 86 Jahren wieder MLB-Champion. In Boston haben das die Fans nie vergessen, genauso hoch schätzen sie aber die Geste ein, die Rivera den Zuschauern im Fenway Park im folgenden Jahr erbrachte. Als er vor einem Einsatz mit hämischem Beifall empfangen wurde, nahm er seine Kappe ab und grüßte die Anhänger mit einem freundlichen, ehrlich gemeinten Lachen. Damit verdiente er sich die Zuneigung seiner eigentlich erbittertsten Gegner für alle Zeiten.

Rivera beherrscht etwas, das nur wenige Profisportler beherrschen. Er kann verlieren. Er weiß, dass Verlieren zu seinem Job gehört. Damit hat er vielen Gegnern und Fans etwas voraus. Und lebt damit den Fairplay-Gedanken vor. Denn dass, was heutzutage in den großen Stadien dieser Welt passiert, hängt eben auch entscheidend damit zusammen, was auf dem Platz geschieht. Spieler und Trainer, die sich angiften, nach einem Foul den Handschlag verweigern oder einen Sieg bejubeln, als gäbe es kein nächstes Spiel.

Rivera erhält den Glauben daran aufrecht, dass das Fairplay eine Zukunft im Sport hat. Vielleicht ja auch irgendwann im Stadion von Dortmund, wenn sich der Schalker Julian Draxler von den gegnerischen Fans verabschiedet – und von ihnen gefeiert wird.

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