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Eine Sportart wird auf den Kopf gestellt. Seit dem Warnschuss durch das IOC herrscht im Ringen hektische Betriebsamkeit.

© Reuters

Bleibt Ringen olympisch?: Ein Mann packt an

Am heutigen Mittwoch legt das IOC die Sportarten fest, die Anfang September in Buenos Aires zur endgültigen Abstimmung vorgelegt werden. Der neue Weltverbands-Präsident Lalovic kämpft gegen das drohende Olympia-Aus der Ringer.

Neue Varianten bringt der Ringer bevorzugt ins Spiel, wenn er einen Rückstand kurz vor Ende des Wettbewerbs noch zu seinen Gunsten drehen will. So betrachtet, handelt Nenad Lalovic in diesen Tagen ganz im Sinne seines traditionsreichen Sports. Seit der 55-jährige Serbe im Weltverband Fila das Regiment übernommen hat, staunen Beobachter über innovative Kniffe, mit denen viele Regeln und Strukturen mit sofortiger Wirkung erneuert werden. Angefangen von mehr Gewichtsklassen und mehr Mitbeteiligung für Frauen und ehemalige Aktive bis zu überarbeiteten Regularien, die das Geschehen auf der Matte attraktiver machen sollen.

Lalovic möchte unbedingt punkten, um im Wettbewerb zu bleiben. Es ist in der Tat auch höchste Zeit. Im Februar hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) empfohlen, das Ringen aus dem offiziellen Programm der Spiele 2020 zu nehmen. Das war eine knallharte Warnung, wenn auch noch kein Verweis: Heute erhält der Verband ebenso wie die Vertreter von sieben Neubewerbern die Gelegenheit, sich vor der IOC-Exekutive in St. Petersburg zu präsentieren. Die gewichtigen Herren der Ringe werden eine Shortlist erstellen für die endgültige Entscheidung, die im September bei der Vollversammlung in Buenos Aires bekannt gegeben wird.

Es habe wohl diese Drohung gebraucht, „damit wir in Aktion geraten“, gesteht Lalovic. Der trotz der massigen Erscheinung eher unprätentiöse Funktionär war quasi über Nacht zum kommissarischen Nachfolger des unbeweglich herrschenden Schweizers Raphael Matinetti ernannt worden, bevor ihn ein außerordentlicher Kongress am 18. Mai mit 125 von 132 Stimmen endgültig bestätigte. Seither verändern sich die Dinge im Schweinsgalopp, damit der Menschheit ältester Sport „aufregender“ und „besser nachvollziehbar“ (Lalovic) wird. Schließlich müssten sie das IOC „davon überzeugen, dass wir Fortschritte gemacht haben. Und dann müssen wir sie davon überzeugen, dass wir weitere Fortschritte machen werden.“

In Moskau hat der studierte Maschinenbauer die Delegierten aus 111 Nationalverbänden, darunter der Deutsche Ringerbund (DRB), mit seiner Klartext-Rhetorik problemlos für seinen Schnellkurs gewinnen können. Er überzeugte durch seinen leidenschaftlichen Hinweis auf „Entscheidungen, die den Sport in den nächsten fünfzig Jahren beeinflussen“ würden. Und durch jene denkwürdigen Briefumschläge, die er verteilen ließ: Aus ihnen könnte jeder ersehen, wer ab jetzt für die Umsetzung des neuen Geistes verantwortlich ist. Wer das Kuvert öffnete, sah sich durch einen kleinen Spiegel mit sich selbst konfrontiert.

Das hat in der Summe auch dem amtierenden IOC-Präsidenten Jaques Rogge imponiert. Der neue starke Mann mache „einen exzellenten Job“, bescheinigte der Belgier auf Anfrage des Ringer-Portals „aroundthering“. Die netten Komplimente aus dem gut 20 Kilometer entfernten Lausanne sind jedoch kein Hinweis auf etwaige Präferenzen. Zumal sich für 2020 auch trendige Disziplinen wie das Sportklettern, Wakeboard und Rollschuhsport bewerben, hinter denen ganze Ausrüster-Industrien stehen. „Ich bin zuversichtlich“, sagt Lalovic daher, „aber ich bin auch nervös.“

Es ging ein Aufschrei durch die globale Öffentlichkeit, als die Planspiele des IOC bekannt wurden. Vom russischen Präsidenten Wladimir Putin bis zum US-Romancier John Irving, der als Junior auf der Matte stand, wurden sie einhellig als Kulturverbrechen gegeißelt. Olympiasieger gaben ihre Medaille zurück, Verbände sammelten Unterschriften – allein beim BDR in Dortmund gingen bisher über 110 000 Protestvolten ein. Die Einsicht, dass sich dennoch einiges ändern müsse, kam erst in einer zweiten Welle. Sie brachte Lalovic nach oben, der den Reformkurs für überfällig hält: „Das hätten wir schon vor langer Zeit machen sollen.“

In Petersburg wird der Blitzstarter von vier verdienten Olympioniken seines Sports flankiert. Der US-Amerikaner Jim Scherr (1988), der für Kanada erfolgreiche, in Nigeria geborene David Igali (2000) sowie die Kanadierin Carol Huynh (2012) und Lise Legrand (2004), heute Vize-Präsidentin des französischen Verbandes, werden wie Lalovic vor dem IOC-Gremium zur Sache vortragen. Zusammen sollen sie „die Hingabe und Vielfalt der Ringer und Fans rund um die Welt“ demonstrieren, wie er formuliert – und einen neuen Kampfgeist: „Wir müssen stark genug sein, uns zu verändern.“

Bertram Job

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