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Sportfreunde, stiller! Beim Blindenfußball stören Nebengeräusche von den Zuschauertribünen, nach einem Tor ist freilich auch Krach erlaubt.

© promo

Blindenfußball-EM in Berlin: Man muss das Spiel hören können

Ruhe bitte auf den Rängen: Im August findet in Berlin die Europameisterschaft im Blindenfußball statt.

Der Stürmer hat sich durchgedribbelt, läuft auf das Tor zu, holt aus. Das Publikum tobt. Der Schütze bleibt stehen. Achselzuckend. Der Ball rollt ins Aus. Chance vertan. Wenn der Spieler eines nicht braucht, sind es johlende Zuschauer. Im Blindenfußball muss man das Spiel nicht nur lesen, sondern auch hören können. Und so ist die geschilderte Szene in verschiedensten Varianten schon passiert, etwa bei den Paralympics 2016 in Rio – als das laute brasilianische Publikum eine gute Torchance zum entscheidenden Treffer unabsichtlich vermasselte. Der Spieler konnte die Rasseln im Ball nicht mehr hören.

Fußballfans wollen singen, krakeelen, schimpfen, feiern. Bei der anstehenden Europameisterschaft im Blindenfußball sollen sie das aber nur dosiert machen: In einem Monat beginnt das Turnier in Berlin am Anhalter Bahnhof, während der Spiele sollen Schilder mit der Aufschrift „Ruhe bitte“ die Zuschauer daran erinnern. Wenn das erlösende Tor gefallen ist, dürfen sie aber natürlich lärmen.

Vier Feldspieler mit Dunkelbrillen, ein sehender Torwart, Spielzeit zwei mal 20 effektive Spielminuten auf einem 40 mal 20 Meter großen Kunstrasenfeld – die Regeln beim Blindenfußball sind einfach, das Spiel ist anspruchsvoll. Der Ball scheint den Spielern am Fuß zu kleben, wenn sie sich durchdribbeln. Diese Technik ist der sicherste Weg, um zum Tor zu kommen. Ein Pass ist immer ein kleines Risiko. Vor zwei Jahren hat Michael Parensen, Profi vom 1. FC Union Berlin, mal mit zwei Mitspielern bei der Blindenmannschaft von Viktoria 89 mitgespielt. Es funktionierte nur so mittelprächtig. „Du hast kaum ein Gefühl für Räume und weißt nicht, wo Gegner und Mitspieler stehen“, sagte Parensen.

Die deutsche Mannschaft ist gut drauf

Das Problem haben die blinden Fußballer nicht. „Kommunikation ist bei uns alles“, sagt Nationalspieler Jonathan Tönsing. „Wir reden, so viel es geht. Der Spieler, der den Ball will, macht sich bemerkbar. Das ist Trainingssache.“ Zudem gebe es hinter den Toren sogenannte „Guides“. Die klopfen zum Beispiel bei einem Sechsmeter an die Pfosten, so dass der Schütze Orientierung bekommt. In Deutschland wird Blindenfußball erst seit gut zehn Jahren gespielt, in Südamerika schon länger. Daher kommunizieren die Spieler auf dem Platz auch mit dem Ruf „voy“ – „ich komme“ auf Spanisch.

Seit 2008 gibt es eine Bundesliga, die sich vier Mal im Jahr zu Spieltagen trifft. Da spielen Teams einiger großer Klubs – Nationalspieler Tönsing ist beim FC St. Pauli –, aber auch Mannschaften aus kleinen Klubs mit. Die Bundesliga wird vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) über die „Sepp-Herberger-Stiftung“ unterstützt, die EM in Berlin findet unter Regie des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) statt. Mit dem DFB hätten sie „Gespräche geführt“, wie Klaas Brose, Geschäftsführer vom Behindertensport-Verband Berlin, sagt. „Aber der DFB hat sich nicht dazu durchgerungen, uns zu unterstützen.“

Die deutsche Mannschaft eröffnet am 18. August das EM-Turnier mit dem Spiel gegen Italien und ist laut Rolf Husman „sehr gut drauf“, denn: „Wir haben in der Vorbereitung gut ausgesehen.“ Wenn der Teammanager des deutschen Teams verbal ins Rollen kommt, dann gibt es kaum ein halten. Über seinen Sport könnte er wohl Stunden sprechen. Sollte er dann aber nicht im laufenden Spiel machen, wenn im August der Ball rollt auf dem Sportplatz am Anhalter Bahnhof. Zehn Teams spielen bis zum 26. August den Titel aus. Die Türkei ist Europameister, England Favorit. Die Tribünen für das Turnier werden schon bald errichtet, denn vor der EM findet der Weltcup im Bogenschießen auf dem Platz statt. 2000 Zuschauer finden in dem temporären Stadion statt – insgesamt 40 000 Karten können für die EM verkauft werden, eine anspruchsvolle Marke.

Die Möckernstraße wird während der EM für den Autoverkehr gesperrt, aber die ruhigste Ecke Berlins dürfte der Platz am Anhalter Bahnhof trotzdem nicht werden, die Autos werden von der Stresemannstraße aus zuverlässig die Veranstaltung akustisch mit ihrem Lärm begleiten. Blindenfußballer Tönsing sagt: „Ich war schon auf dem Platz, man hat die Straße gehört. Aber es geht. Hauptsache es ist so leise wie möglich, wenn der Ball rollt.“

Aber das mit der Ruhe klappt halt nicht immer. „Wenn ein Hubschrauber über das Spielfeld fliegt, wird das Spiel natürlich unterbrochen“, sagt Teammanager Husmann. „Kirchenglocken können auch ein Problem sein. Das habe ich mal in Lübeck erlebt, da musste für zehn Minuten unterbrochen werden.“ Das sollte in Berlin nicht passieren, die Glocken der St. Lukas-Kirche in der Bernburger Straße können zwar lauter lärmen als 2000 Hertha-Fans auf Auswärtsreise, aber bei normalen Windverhältnissen sollten sie mit ihrem Geläute nicht die Angriffe der deutschen Mannschaft beim EM-Turnier stören können.

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