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Sport: Bloß nicht loben

Der FC Bayern bemüht sich, keine Euphorie um Sebastian Deisler aufkommen zu lassen

Eine einzige Szene genügte, um auf den Tribünen ängstliches Schweigen auszulösen. Nach einer Grätsche des Bremer Abwehrspielers Valérien Ismael blieb Sebastian Deisler mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Rasen liegen. Manchem Zuschauer ereilte eine böse Ahnung. Am 18. Mai 2002, beim 6:2 im Länderspiel gegen Österreich, war Sebastian Deisler ebenfalls mit einer Knieverletzung auf dem Rasen liegen geblieben. Es folgte die fünfte schwere Operation am rechten Knie, Deisler war um die WM 2002 und eine ganze Saison gebracht. „Ich habe sofort geschaut, welches Knie es war. Gott sei Dank das linke“, sagt Uli Hoeneß. Der Manager vom FC Bayern München teilte seine Gefühle mit 13 200 Augenzeugen beim Ligapokal-Finale im Mainzer Bruchwegstadion.

Bis zu dieser Minute hatte Sebastian Deisler beim 3:2-Sieg der Münchner gegen Werder Bremen eindrucksvoll demonstriert, dass er zurück ist. Neben raffinierten Flanken (wie die zum 1:0), scharfen Schüssen (wie beim 2:0) und feinen Vorlagen (vor dem 3:0) überzeugte Deisler mit Einsatzwillen. „Vom Potenzial her gibt es keinen besseren“, sagt Franz Beckenbauer.

Nach so einer Leistung wird der 24-Jährige wieder leben müssen mit den Beschreibungen, die ihm so fremd sind. Mit den Begriffen Heilsbringer und Hoffnungsträger. Sofort nach der Übergabe des Pokals versuchte der FC Bayern deshalb, seinen Star zu schützen. Auch wenn es sich im ersten Moment nicht danach anhörte.

So erhöhte Bayern-Trainer Felix Magath den Druck auf Deisler. „Er muss sein Können noch mehr für die Mannschaft einbringen. Ein Spieler mit seinen Fähigkeiten kann unser Spiel noch mehr prägen.“ Soll heißen: bitte keinen Starkult. „Nicht schlecht“, sagte der auf Deislers Vorzüge angesprochene Uli Hoeneß, „wir wollen doch nicht wieder von einem Extrem ins andere fallen.“

Deisler war von November vergangenen Jahres an für drei Monate lang in der Psychiatrie des Max-Planck-Instituts in München wegen Depressionen behandelt worden. Die Erfolge dieser Therapie sind nun offensichtlich. Wie ein Freigeist bewegt er sich auf dem Platz, schwierige Situation löst er einfach – einmal mit einem leichten Lupfer über gestreckte Beine. Er gestikuliert, grätscht, trickst und schießt auch noch Tore – damit verkörpert er genau jenen Typus Fußballer, der in Deutschland so vermisst wird.

Beckenbauer hat Deislers Bravourstück „leider nur im Radio verfolgen können“. Doch seine Empfehlung an den neuen Bundestrainer Jürgen Klinsmann ist eindeutig. „Er sollte mit ihm reden: Wenn Deisler sich das zutraut, gibt es keinen Grund ihn nicht zu nominieren.“ Klinsmann könnte Deisler im nächsten Länderspiel am 18. August in Wien gegen Österreich einsetzen, „denn mit guten Technikern sind wir ja nicht gesegnet“. Da auch Joachim Löw die 71-minütige Deisler-Gala erlebte, dürfte das Comeback in der Nationalelf beschlossene Sache sein. Der neue Kotrainer der Nationalelf sagte: „Was er gezeigt hat, war imponierend.“

Als Deisler wieder aufgestanden war, wurde er sofort ausgewechselt und von den Fans beider Teams gefeiert. Schon auf dem Weg zur Ersatzbank gab er Entwarnung. Und nach dem Duschen blieb Deisler mit der Sporttasche über der Schulter kurz stehen und sagte: „Alles halb so schlimm.“

Ein kleines Pflaster saß auf der mit einem Stich genähten Risswunde, belanglos und doch Besorgnis erregend. „Die Leute haben das noch im Kopf“, sagte Deisler, lächelte verlegen und versicherte: „Es kann endlich wieder losgehen. Es passt alles gut zusammen.“ Ja, er fühle sich gut, die Mannschaft trage das Verdienst daran, man wolle nicht nur diesen Titel gewinnen. Allgemeinplätze. Deisler hob den Kopf, sah die Mikrofone und Menschen, fühlte sich umzingelt und suchte den Ausweg. „War es das?“

Keine weiteren Fragen, Abgang. Mittelpunkt möchte er nur an dem Ort sein, den er Zeit seiner Karriere zu seinem liebsten erhoben hat: auf dem Rasen.

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