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Autsch. Im Berliner Amateurfußball geht es zur Sache – hier ein Zweikampf im Spiel Tennis Borussia gegen SC Staaken. Foto: Imago/Wells

© imago/Sebastian Wells

Blutgrätschen-Report 2: Die Bezirksliga ist die unfairste Spielklasse im Amateurfußball

Die Kreisliga C gilt im Berliner Amateurfußball als "Klopperliga". Doch zumindest was gelbe und rote Karten angeht, wird in der Bezirksliga viel härter gespielt. Teil 2 unseres Blutgrätschen-Reports.

Die Kreisliga C gilt in Amateurfußballkreisen als regelrechte „Klopperliga“. Doch was ist dran an den Vorurteilen über die vermeintlich harte Gangart in den unteren Ligen und wie stehen die Berliner Spielklassen im Vergleich zur Bundesliga da? Eine Analyse der in der Hinrunde der laufenden Saison verteilten Karten gibt Antworten auf diese Fragen. Dafür wurden die Gelben, Gelb-Roten und Roten Karten aller Berliner Männerspielklassen von der Kreisklasse C bis zur Berlin-Liga sowie der überregionalen NOFV-Oberliga Nord, Regionalliga Nordost, Dritte Liga, Zweite Bundesliga und Bundesliga statistisch ausgewertet – alle Daten sind auf fussball.de einzusehen.

Dabei fällt auf, dass die Kreisliga C (Elfte Liga) entgegen ihrem Ruf verhältnismäßig fair ist: Im Durchschnitt werden hier sogar weniger Karten gezeigt als in der Bundesliga. Nur die noch tiefer gelegenen drei Kreisklassen kommen mit noch weniger Verwarnungen und Platzverweisen aus. Dagegen steigt die Zahl der Karten bis zur Bezirksliga stetig an. Die achte Liga ist statistisch die unfairste und hat mit 0,22 Platzverweisen pro Mannschaft pro Spiel einen dreimal so hohen Wert wie die Bundesliga (0,07). Zum Vergleich: Der VfB Stuttgart liegt dort in der Fairness-Tabelle auf dem letzten Platz, ist gemessen an der Zahl der Karten aber fairer als der Bezirksliga-Durchschnitt.

Ab der Landesliga nimmt die Anzahl der vom Schiedsrichter verhängten Strafen kontinuierlich ab, obwohl der Erfolgsdruck weiter steigt. Für den Sportsoziologen Gunther A. Pilz kommt das nicht überraschend: „Je höher die Liga, desto höher das Körpergefühl. Für Spieler, die zum Teil vom Fußball leben, geht es um mehr, deshalb ist die eigene Unversehrtheit und die des Gegners ein hohes Gut.“ Ein weiterer Einflussfaktor ist die mit dem Grad der Professionalisierung steigende Bedeutung von Disziplin. Während im Amateurbereich noch relativ viele Karten wegen Meckerns, Tätlichkeiten oder Beleidigungen verteilt werden, ist dies in den semiprofessionellen und professionellen Ligen kaum noch der Fall. Gerade glatt Rote Karten sind hier deutlich seltener und bei den geahndeten Vergehen handelt es sich meist um Foulspiele. Ein Blick auf die zwei Berliner Profiklubs zeigt: Hertha BSC kassiert fast eine Gelbe Karte weniger pro Spiel als der 1. FC Union und befindet sich damit – zumindest was die Fairness-Statistik angeht – in etwa auf dem Niveau der Kreisliga C.

Zusammenhang zwischen Fairness und sportlichem Erfolg

Was bei der Analyse der Daten besonders ins Auge sticht, ist ein Zusammenhang zwischen Fairness und sportlichem Erfolg: Mannschaften aus den oberen Tabellenregionen stehen tendenziell auch in der Fairness-Tabelle besser da. Zahlt sich faire Spielweise also auf Dauer in sportlichem Erfolg aus? Klar ist, Platzverweise und Sperren schwächen die eigene Mannschaft. Umgekehrt ließe sich behaupten, dass hin und wieder ein taktisches Foul oder Zweikampfhärte an der Grenze des Legalen zu den Grundbedingungen für sportlichen Erfolg zählen – das ist dann die nötige Aggressivität.

Wer spielt wie fair? Der durchschnittliche Fairnessquotient in den Berliner Amateurligen und im überregionalen Fußball. Der Quotient ergibt sich aus den in der Hinrunde verteilten Karten, wobei gelbe Karten einfach, gelb-rote dreifach und rote fünffach gewichtet werden. Der sich ergebende Wert wird durch die Anzahl der Spiele geteilt.
Wer spielt wie fair? Der durchschnittliche Fairnessquotient in den Berliner Amateurligen und im überregionalen Fußball. Der Quotient ergibt sich aus den in der Hinrunde verteilten Karten, wobei gelbe Karten einfach, gelb-rote dreifach und rote fünffach gewichtet werden. Der sich ergebende Wert wird durch die Anzahl der Spiele geteilt.

© Tsp/Bartel, BFV/fussball.de

Doch hängt die Fairness eines Teams selbstverständlich auch von ihrem Tabellenplatz ab. „Realistisch gesehen kommen diese Ergebnisse jedoch eher zustande, weil die besseren Mannschaften oft so überlegen sind, dass sie nicht zu unfairen Mitteln greifen müssen“, vermutet Forscher Pilz. Wer selbst die ganze Zeit den Ball hat, kommt gar nicht in die Verlegenheit zu foulen. Wer deutlich führt, begeht kaum Frustfouls und beschwert sich normalerweise auch nicht allzu emotional beim Schiedsrichter. Das deckt sich mit den Erfahrungen von Michael Fuß, der seit 20 Jahren im Berliner Amateurfußball aktiv ist. „Es ist klar, dass die fußballerisch bessere Mannschaft meistens auch fairer ist“, sagt der 38-Jährige. „Du bist technisch besser, schneller am Ball und der Gegner weiß sich nur noch mit einem Foul zu helfen.“

Und dieser Zusammenhang wird umso stärker, je höher die Spielklasse ist: In den unteren Ligen kassiert der Tabellenführer im Schnitt genauso viele Karten wie eine Mannschaft aus dem Mittelfeld oder das Schlusslicht. In der Kreisliga B ist der Korrelations-Koeffizient – ein Maß für den Zusammenhang zwischen zwei Merkmalen mit einem Maximalwert von eins – beispielsweise bei 0,03. Je höher die Liga, desto eher gleichen sich im Schnitt die Reihenfolgen in der sportlichen und in der Fairness-Tabelle – in der Bezirksliga ist der Korrelationskoeffizient schon bei 0,33, in der Bundesliga dann bei 0,55. Hier liegt zum Beispiel Tabellenführer FC Bayern auf dem dritten Rang der Fairness-Tabelle, Werder Bremen rangiert in beiden Tabellen auf dem 16., dem Relegationsplatz. „Das merkt man immer mehr, je höher man spielt“, bestätigt auch Fuß, der selbst immerhin in fünf verschiedenen Spielklassen aktiv war.

Auch wenn sich die Daten nur auf eine Hinrunde beziehen, lassen sich also durchaus klare Trends ablesen. Der schlechte Ruf der Kreisliga C ist jedenfalls kaum gerechtfertigt – Schienbeinschoner sollte man dennoch besser nicht vergessen.

Sind Ost-Berliner schlimmere Treter als Spieler aus dem Westteil? Haben sich Spieler mit Migrationshintergrund nicht im Griff? Spielen Frauen immer fairer? Weitere Ergebnisse unseres Datenprojekts finden Sie in unserer interaktiven Analyse!

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