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© AFP

Bode Miller: Die Show des Angepassten

Um endlich sein erstes Olympia-Gold zu gewinnen, musste sich der Exzentriker Bode Miller ins Team einfügen. Mit Erfolg.

Die US-Nationalhymne ertönte, die Zuhörer aus den USA legten die Hand aufs Herz, wie sich das gehört, und ganz oben auf dem Podest stand Bode Miller und kaute nicht auf seinem Kaugummi. Man muss das als Zeichen größten Respekts vor der eigenen Nation nehmen. Oder als Ergriffenheit angesichts der eigenen Leistung. Egal, Bode Miller jedenfalls ist irgendwie anders geworden. Erwachsener. Reifer. Konventioneller. So wie man sich einen würdigen Olympiasieger in der Super-Kombination vorstellt.

Als er zum Saisonstart im Oktober 2009 in Sölden aufgetaucht war, hatten die Leute dort einen unrasierten Typen in schlabbriger Jogginghose gesehen, natürlich Kaugummi kauend. Bode Miller was back, der schrägste Vogel des Ski-Zirkus, der nach seinem verkorksten WM-Auftritt im Februar 2009 abgetaucht war.

Miller wollte unbedingt das noch fehlende Olympia-Gold

Und jetzt stand er bei den Olympischen Spielen auf dem Siegerpodest. „Es ist unglaublich“, sagte er in Whistler. Er ist schon viermaliger Weltmeister und zweimaliger Gesamt-Weltcupsieger, aber erst seit Sonntag ist er auch Olympiasieger. Im Slalom hatte der 32-Jährige alles auf eine Karte gesetzt, er war riskant gefahren wie so oft, aber diesmal stand mehr auf dem Spiel als im Weltcup. Es ging um diese Goldmedaille. Bronze in der Abfahrt und Silber im Super-G hatte er in Whistler bereits gewonnen.

Er wollte Edelmetall in Whistler, möglichst Gold, nur deshalb ist er Kompromisse eingegangen. Zum Beispiel das Einklinken ins US-Team. Nach der Saison 2006/2007 hatte er sich von der Mannschaft gelöst und war als Ein-Mann-Team von Weltcup zu Weltcup gezogen, mit riesigem Wohnmobil, zwölf Angestellten, darunter einem Fahrer und Koch in Personalunion, der zwar den Van regelmäßig demolierte und an Renntagen das Frühstückmachen vergaß, den Miller aber seit seiner Kindheit kennt. Millers „Team America“ war die Antwort auf den Zapfenstreich, den der US-Cheftrainer nach Olympia 2006 eingeführt hatte. Wegen Miller. Der hatte in Turin locker erklärt, es sei schwierig, nicht nur wie eine Katze auf der Piste unterwegs zu sein, sondern auch mit einem Kater.

Bode Miller ist als Kind von freiheitsliebenden Hippies aufgewachsen, er zog stundenlang allein durch die Wälder von New Hampshire, und daheim, in ihrem Holzhaus, lebten seine Eltern bewusst ohne Strom- und Wasseranschluss; so jemandem zieht man keine Grenzen.

Eigene Definition von Technik und Risiko

Da ist es nur konsequent, dass er eine eigene Technik hat und Risiko anders definiert als andere. Miller fährt zum Beispiel mit ungewöhnlich viel Rücklage, aber das ist ihm egal. „Als ich mit diesem Stil zum ersten Mal in Österreich fuhr“, sagte Miller mal in einem Interview, „haben sich manche ältere Menschen bekreuzigt, wenn ich nach dem Lauf an ihnen vorbeiging.“ In Whistler sagte der Österreicher Benjamin Raich: „Oft fährt er Linien, von denen man denkt, dass sie nicht möglich sind, und dann geht es doch.“

Aber weshalb kam Miller überhaupt zurück? Er hatte sich doch im Sommer so intensiv um seine zweijährige Tochter gekümmert. Weshalb hielt er sich eisern an die Mannschaftsdisziplin? Weil Olympia etwas Besonderes ist und er das Besondere sucht. „Die Art und Weise, wie ich Gold geholt habe, darauf werde ich noch lange stolz sein“, sagte Miller in Whistler.

Heute startet er im Riesenslalom, am Samstag im Slalom. Und wenn er im Slalom auch vorne mitmischt, wäre er noch aus einem weiteren Grund einzigartig. Bode Miller aus Franconia, New Hampshire, wäre dann der erste Skifahrer, der in allen fünf Disziplinen eine Olympia-Medaille gewonnen hat.

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