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Im Auge der Betrachter. Für Trainer Jürgen Klopp wird beim Spiel Liverpool gegen Dortmund eine eigene Kamera bereitgestellt.

© Reuters/Sibley

Borussia Dortmund gegen den FC Liverpool: Jürgen Klopp und das Comeback

Vor einem Jahr hat Jürgen Klopp seinen Rücktritt erklärt. Jetzt kehrt er zum ersten Mal zu seiner alten Liebe Borussia Dortmund zurück. Doch die hat sich längst von ihm emanzipiert. Ein Besuch in Liverpool.

In Liverpool ist das englische Wetter in diesen Frühlingstagen, wie das englische Wetter nun einmal ist. Kühl, nass, stürmisch. An der Anfield Road, Heimat des städtischen Fußballklubs, setzen Wind und Regen den schiefen Backsteinhäuschen so schwer zu, dass der Putz von den Fassaden bröckelt und der feuerrote Anstrich alle paar Monate erneuert werden müsste. Aber Liverpool ist eine arme Stadt und fügt sich brav den Naturgewalten, der Fußballlehrer Jürgen Klopp richtet sogar seine Taktik nach ihnen aus: „Bei Wind und Regen musst du vor allem einfach spielen. Für Spieler, die nicht von der Insel kommen, ist das schon eine enorme Umstellung“, und für auswärtige Trainer natürlich auch. Am Mittwoch hat er sich mal wieder auf den Weg in die Heimat gemacht. Heute trifft Klopp als Trainer des FC Liverpool auf seine alte Liebe Borussia Dortmund, die Meteorologen prognostizieren einen kühlen, nassen, stürmischen Abend. Die Fußballstadt Dortmund umgarnt ihren an England verlorenen Helden mit englischem Wetter.

Es war eine Losfee mit Dortmunder Vergangenheit, der frühere Stürmer Alexander Frei, der Dortmund, Liverpool und die sonst eher mausgraue Europa League dieses spektakuläre Viertelfinale verdanken. Klopp hat in den vergangenen Tagen oft gesagt, dass er sich schon auf seine Rückkehr nach Dortmund freue, aber nicht so sehr über die Kameras und Mikrofone, „ich hasse den Hype um meine Person“. Das klingt schon ein bisschen seltsam, denn ohne Hype ist so einer wie Jürgen Klopp eigentlich gar nicht vorstellbar. Der Mann, der an der Seitenlinie auf- und abhüpft, mit den Armen rudert und Kommandos auf den Rasen brüllt, immer perfekt in Szene gesetzt von den Kameras. Für das heutige Spiel verspricht der übertragende Sender Sport 1 sogar eine eigene Klopp-Cam, sie wird den Hauptdarsteller des Abends 90 Minuten lang begleiten und danach am liebsten noch auf die Toilette.

Mit leicht ergrautem Bart und deutsch eingefärbtem Englisch kehrt Klopp heim zu einem Klub, der sich verändert hat. Unter dem neuen Trainer Thomas Tuchel profiliert sich die Borussia in Deutschland als unangefochtene Nummer zwei hinter Bayern München. Tuchel hat ihr einen variableren Fußball beigebracht. In ihrer Fixierung auf Ballbesitz erinnert die Borussia viel mehr an Pep Guardiolas Bayern. „Das ist jetzt eine komplett andere Mannschaft“, findet selbst Guardiola. Und: „Tuchel ist einer der besten Trainer der Welt!“

Vor dem Spiel wollen die Fans beider Mannschaften gemeinsam „You’ll never walk alone“ singen

Zum Wiedersehen mit dessen Vorgänger Klopp gesteht Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke den Fans beider Mannschaften gern zu, dass sie vor dem Spiel gemeinsam „You’ll never walk alone“ singen. Jene Hymne, die Liverpools Anhang vor einem halben Jahrhundert für sich entdeckt hat und die später auch von den Dortmundern adaptiert wurde. Aber mit Sympathiebekundungen an den alten Trainer möge sich das Publikum doch bitte zurückhalten, bis das Spiel vorbei sei. „Wir wollen hier keinen romantischen Abend verleben“, sagt Sportdirektor Michael Zorc.

In bemerkenswert kurzer Zeit hat sich die Borussia von dem Mann emanzipiert, dem sie ihre Neuerfindung verdankt. Als Klopp im Sommer 2008 nach Dortmund kam, waren sie dort gerade an der Insolvenz vorbeigeschrammt. Zweimal in Folge hat Klopp sie zur deutschen Meisterschaft geführt und damit auch dem Gesamtkunstwerk Fußball ein Stück Romantik zurückgegeben. Das Gottvertrauen darauf, dass die schwerreichen Bayern auch in Zeiten des globalisierten Kommerzfußballs zu schlagen sind.

Bis dann auf einmal gar nichts mehr ging und Borussia Dortmund auf den letzten Platz der Bundesligatabelle abrutschte. Vor ziemlich genau einem Jahr, am 15. April 2015, gab Klopp bekannt, dass er seinen bis 2018 laufenden Vertrag nicht erfüllen und zum Ende der Saison zurücktreten werde. Ein paar Tage lang hat ganz Dortmund geweint, dann rauften sie sich zusammen und brachten die Saison zu einem erfolgreichen Ende, mit dem Einzug ins Pokalfinale und der Qualifikation für die Europa League. Dass Thomas Tuchel und die wieder erstarkte Borussia in diesen Wochen auf einen europäischen Titel hoffen dürfen, verdanken sie auch der Arbeit von Jürgen Klopp, wovon der allerdings nichts wissen will: der Neue sei einfach „ein hervorragender Trainer“ und natürlich hätten sich einige Spieler unter ihm weiterentwickelt.

Auch Tuchel hat sich verändert, er wirkt souveräner und nicht mehr so verkniffen wie noch in seiner Zeit in Mainz, auch dort hatte er Klopp beerbt, als dieser 2008 nach Dortmund wechselte. Als er jetzt, am Tag vor dem Spiel, auf diese doch sehr spezielle Konstellation angesprochen wird, setzt er ein vor Kurzem noch undenkbares Lächeln auf und versucht sich an einer witzig-schlagfertigen Antwort: „Für mich ist es nicht neu, Jürgen bei seinem alten Klub zu empfangen. Es ist schon das sechste Mal, wir haben darin Routine.“

Klopps Nachfolger. Thomas Tuchel.
Klopps Nachfolger. Thomas Tuchel.

© Reuters/Wermuth

Auf seine Arbeit in Dortmund hat Tuchel sich mit einem Sabbatical eingestimmt. So eine einjährige Auszeit vom Fußball hatte auch Klopp im Sinn. Der Vorsatz hielt bis Oktober, nicht mal drei Monate. Denn es gibt Angebote, die kann, die darf man nicht ablehnen. Jürgen Klopp hütet sein Privatleben, aber wenn er denn je von einem Verein geträumt hat, dann dürfte es der FC Liverpool gewesen sein. Das Engagement in Liverpool ist nicht nur eine logische Fortsetzung von Dortmund, es ist eine Erhöhung. Der Job bei einer Legende, der auch der Rückfall ins sportliche Mittelmaß nichts anhaben kann.

Liverpool ist die Heimat der Beatles und war mal eine stolze Industriestadt, heute ist hier jeder dritte Jugendliche arbeitslos. Was bleibt, ist die Aura des Liverpool Football Club. 18 Meistertitel zieren den Briefkopf, und mindestens genauso schwer wiegt, dass der Klub die tödlichen Fan-Katastrophen von Hillsborough und Heysel überstanden hat. Der FC Everton, das blaue Konkurrenzunternehmen innerhalb der eigenen Stadt, spielt ein paar hundert Meter weiter im Goodison Park und ist ebenfalls ein erfolgreicher Klub. Liverpool und Anfield sind ein Mythos.

Zu dieser Kategorie zählt sich auch Borussia Dortmund mit seinem Westfalenstadion. Der schwarz-gelbe Stolz dieser ebenfalls von sozialen Problemen gerüttelten Stadt ist eine nationale Marke. Der FC Liverpool fasziniert sein Publikum weltweit. Wer sich am Vormittag eines Spiels für ein paar Stunden am John-Lennon-Airport die Zeit vertreibt, der staunt über die dort einschwebenden und im Liverpooler Rot gewandeten Touristen aus der ganzen Welt, aus Japan, Amerika, Australien und natürlich auch aus Deutschland. Klopp sprach denn auch gleich bei seiner Vorstellung von der „größten Ehre, die ich mir vorstellen kann“. Dazu pries er sich bescheiden als „The normal one“, als Gegenentwurf zum portugiesischen Kollegen José Mourinho, den sie auf der Insel ein wenig abschätzig „The special one“ nennen. Neulich marschierte Klopp zu einer Pressekonferenz in einem Beatles-Shirt auf, worauf der Reporter von der „Daily Mail“ im Werk der Fab Four schnell eine Analogie fand. Klopp habe ein „Ticket To Ride“ gebucht, über Dortmund bis zum Finale der Europa League am 18. Mai in Basel.

An der Rasenkante begleitet Klopp weiterhin jedes Spiel mit einer Intensität, als würde er am liebsten auf den Platz rennen und selbst mitgrätschen, -dribbeln und -schießen. Am Sonnabend, gleich nach dem 1:1 im Spiel gegen Tottenham Hotspur, fiel er dem gegnerischen Stürmer Harry Kane um den Hals. Ein paar Sekunden lang tätschelte Klopp den verdutzten Kane und beglückwünschte ihn zu einem Tor, das Liverpool um den Sieg gebracht hatte, aber so großartig anzuschauen war, dass auch die einheimischen Fans applaudierten.

Auf das deutsche Publikum mag das aufgesetzt-anbiedernd wirken, denn der Klopp-Stil hat sich abgenutzt im Lauf der Jahre. Aber auch in der Bundesliga ist er für diese ganz eigene Form der Selbstinszenierung ja mal geliebt worden oder zumindest geschätzt. In England geben sich die Trainer für gewöhnlich staubtrocken (Arsène Wenger), zugeknöpft (Alex Ferguson) oder arrogant (José Mourinho). Das von Klopp vorgelegte Fantum ist neu. Kritische Anmerkungen sind die Ausnahme und klingen nur dezent an. Etwa in einer Kolumne im Liverpool Echo zum Hype vor der Heimkehr nach Dortmund: „Für Klopp ist es nicht die Zeit, ein alter Romantiker zu sein. Für ihn geht es darum, einen Job zu erledigen.“

Noch aber werden vor dem Stadion an der Anfield Road, wo das heruntergekommene Liverpool besonders heruntergekommen wirkt, mehr Klopp-Masken verkauft als von John, Paul, George und Ringo rund um das Beatles-Museum im für die Touristen herausgeputzten Zentrum. In Anfield sieht es nicht anders aus als in Wembley oder am Maracana von Rio de Janeiro. Die Kathedralen des Fußballs liegen allesamt an wenig lauschigen Plätzchen.

In improvisierten Fanshops verkaufen Händler Tassen, Hemden, Basecaps oder Kapuzenpullover mit dem berühmtesten Dreitagebart Deutschlands. Das größte Kompliment sind die Schals mit der Aufschrift „Jürgen Klopp, King of the Kop“ oder, schwarz-rot-gold unterlegt: „Jürgen Klopp, der Kaiser von der Kop“. Beim Kop handelt es sich um Anfields legendäre Stehplatztribüne, sie fasste mal 30.000 Zuschauer, ist längst durch einen modernen Zweckbau ersetzt worden und lebt doch fort im kollektiven Fangedächtnis. Es ist schon etwas Besonderes, wenn ein Deutscher zum König des Kop ernannt wird. Auch Liverpool ist im Zweiten Weltkrieg von Hitlers Bombern schwer zerstört worden.

Klopp lässt in Liverpool so spielen, wie er einst in Dortmund spielen ließ

Der Fußballtrainer Klopp macht in Anfield, was sein Kollege Tuchel im Westfalenstadion weitgehend abgeschafft hat. Klopps Spiel basiert auf hohem Gegenpressing, einem frühen Anlaufen auf den Gegner, auf dass er zu fatalen Fehlern verleitet werde. Das fügt sich bestens in die Erwartungshaltung des englischen Publikums, das sich seit jeher mehr am Spektakel erfreut denn an taktischen Finessen.

Was noch fehlt, ist der Erfolg. Als Klopp im Oktober kam, standen die Liverpooler auf Platz zehn. Jetzt sind sie Neunter. Der Trainer bittet um Geduld, auch in Dortmund hat es drei Jahre gedauert bis zur ersten Meisterschaft. Was er nicht sagt, ist: Für Klopp-Fußball braucht es auch Klopp-Spieler. Er hat diese Mannschaft nicht zusammengestellt, die eigentliche Attacke mit neuem Personal kann erst in der kommenden Saison beginnen. Dafür hat Klopp schon den Schalker Joel Matip akquiriert, und er hätte wohl auch ganz gern seinen früheren Schützling Mario Götze, der auf der Münchner Ersatzbank nicht glücklich wird.

„Jeder weiß, dass ich Mario mag“, sagt Klopp. Aber jeder weiß auch, dass Spieler wie Götze neben dem Liga-Alltag schon ganz gern gegen Real Madrid oder den FC Barcelona spielen würden. Deswegen ist auch die Europa League so wichtig für den FC Liverpool und seinen ambitionierten Trainer. Über diesen international nur zweitklassigen Wettbewerb kann Klopp schaffen, was über die Premier League kaum mehr möglich ist, nämlich die Qualifikation für die Champions League. Auch der Europa-League-Sieger ist in der kommenden Saison automatisch dabei. In diesem Sinne stellt der Exil-Dortmunder auf der Liverpooler Bank schon mal klar, dass er bei Toren seiner neuen gegen seine alte Mannschaft selbstverständlich jubeln werde, auch wenn das ein ungeschriebener Verhaltenskodex eigentlich verbietet. „In den vergangenen Jahren haben wir zusammen gefeiert, diesmal wird nur einer feiern“, sagt Jürgen Klopp. „Besser als gar keiner.“

- Der Free-TV-Sender Sport1 überträgt das Spiel ab 21.05 Uhr.

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