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Grauzone Süd. Auf der gigantischen Tribüne von Borussia Dortmund stehen bei den Spielen zwischen 25 000 und 30 000 Menschen nah bei einander. Nach den Ausschreitungen gegen RB Leipzig könnte dieser Teil des Stadions womöglich bald für ein Spiel geschlossen bleiben. Dem BVB droht eine empfindliche Strafe durch das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes. Foto: Bielefeld/Imago

© imago/Thomas Bielefeld

Hetzplakate, Pöbeleien und Gewalt: Oje, mein BVB

Was ist aus den Dortmunder Fans geworden? Sechs Anhänger aus der Tagesspiegel-Redaktion erzählen von der Sorge um ihren Klub.

Einfach mal die Fresse halten

Meine Omma zuhause in Aplerbeck wäre nie ins Stadion gegangen. Dennoch war der BVB ein stetes Thema zwischen uns. So ist es in Dortmund: Borussia erreicht schlicht alle – von Omas bis zu Idioten, die man einfach ignorieren sollte. Oder?

Damit zum Aktuellen: Dass es Ultras schaffen, der gesamten Süd größtenteils dümmliche, teils menschenverachtende Banner unterzujubeln, kann ich gerade noch nachvollziehen. Auch ich war schon Teil von Choreografien, die ich nicht voll umreißen konnte. Und auch ich hätte geholfen, manche der Anti-RB-Banner hochzuhalten.

Nun aber – auch nach der Gewalt – kennen selbst kluge Fanblogs keine größere Sorge als die um das Ansehen des Protests gegen Red Bull. Beim Pokalspiel gegen die Hertha gab es kaum Transparente gegen den Hass. Während Marcel Schmelzers Videobotschaft sangen die Ultras extralaut. Die Unfähigkeit, mal die Fresse zu halten, wenn man’s grandios verbockt hat, kann ich nicht ignorieren. (Johannes Schneider)

Für Dortmund, gegen Gewalt

Mein Lieblings-Teil unter meinen BVB-Devotionalien ist ein Shirt mit dem Aufdruck „Für Dortmund. Gegen Nazis“. Das T-Shirt des kleinen Shops 4600 Dortmund rangiert sogar noch vor dem neongelben Lars-Ricken-Trikot aus der legendären Saison 96/97. Schließlich galt und gilt es als BVB-Fan Flagge zu zeigen gegen die Dortmunder rechte Szene und natürlich gegen Gewalt.

Nun erscheint Flagge zeigen nötiger denn je, auch wenn selbstverständlich nicht alle, die beim Spiel gegen Leipzig auffällig wurden, Rechte sind. Die hasserfüllte Stimmung zog sich offenbar durch alle Fan-Gruppen.

Auch ich mag keine Retortenklubs wie RB Leipzig oder TSG Hoffenheim, aber die Gewalt vom vergangenen Wochenende lässt einen verzweifeln – nicht zuletzt am Verstand einiger sogenannter Fans. Wer als BVB-Fan die Leipziger als „Kommerzschweine“ und schlimmer beschimpft, sollte sich von den Aktien der GmbH & Co. KGaA besser trennen. Nicht die Leipziger sind es, die den Fußball kaputt machen, sondern diese Art von „Fankultur“. Der BVB sollte Shirts wie das von 4600 Dortmund in den Fanshop nehmen. (Carsten Kloth)

Es schmerzt

In meiner Jugend war ich mal für kurze Zeit Bayern-Anhänger, aus purem Opportunismus. Wir hatten neue, aus München zugezogene Nachbarn, die wohnten nebenan in einem großen Haus mit Farbfernseher. Bier durfte man da auch schon trinken. Ich war zwölf. Doch die Leidenschaft galt von Anfang an dem BVB. Meine ersten Fußballhelden hießen Siggi Held und Lothar Emmerich. Ich war sieben. Ein halbes Jahrhundert später immer noch schwarzgelb. BVB ist Synonym für Drama, auch im Erfolg. Dortmund-Fans haben viel durchgemacht. Klopps Talfahrt, Finalniederlagen gegen den Klub aus der Arroganz- Arena, die Beinahe-Pleite des Vereins, der Abgang so vieler Spitzenspieler Richtung Süden. Trotz Börsennotierung und Watzke will man gern an den Wahlspruch „Echte Liebe“ glauben. Die Pöbeleien, die brutalen Angriffe gegen Leipzig-Fans schmerzen jetzt besonders. Dortmunds Fußball ist keine bessere Welt. Sie sind wieder da, die Kaputtmacher: Wenn man die Radikalen schon nicht aus der Politik heraushalten kann, muss man sie wenigstens aus dem Stadion verbannen. (Rüdiger Schaper)

Jetzt sind wir die Proleten

Mein früherer Chef, ein Fußballfan, aber kein Dortmunder, brachte mir vor rund zwei Jahren einen Bierdeckel aus dem Stadion mit. „Kein Bier für Rassisten“ stand darauf. Ich war stolz, auch weil er von der tollen Atmosphäre im Stadion schwärmte. Im Ausland ist mir das mehr als einmal passiert: Die meisten finden irgendwie, dass die Bayern unschlagbar sind, aber die BVB-Fans noch unschlagbarer. Ich bin ungefähr zwischen Dortmund und Schalke aufgewachsen, unanfechtbar stand fest: Die Proleten, das sind die Blau-Weißen. Am vergangenen Spieltag hat sich das geändert. Ich meine nicht die Halbstarken, die vor dem Stadion auf Frauen und Kinder losgehen. Das sind keine Fans, das sind Witzfiguren, die mit Sport nichts gemein haben, nur früher blieben sie wenigstens unter sich und schlugen sich im Wald ihre Holzköpfe ein. Aber geschmacklose Hetzplakate auf der Süd, die nichts mit Kritik zu tun haben – wo waren die anständigen Fans, die hätten einschreiten können, müssen? Ich habe keine gesehen. Es scheint, als seien nun wir die Proleten. (Christian Vooren)

Dortmunder sind nicht so

Dortmunder sind bodenständig, unaufgeregt, lokalpatriotisch und selbstironisch. Die Mentalität ist der Berliner Lebenseinstellung durchaus nicht unähnlich. Wobei die ganz große Klappe in Dortmund nicht so verbreitet ist. Wenn ein Dortmunder sagt: „Dortmund ist die schönste Stadt der Welt“, dann ist dieser Satz einerseits so gemeint, enthält aber gleichzeitig auch die Möglichkeit, dass es für den Außenstehenden anders aussehen könnte. Und klar, dass, sagen wir ein Hertha-Fan, nur grauen Asphalt sieht, wo wahre Liebe doch im Auge des Betrachters liegt. Zweimal war ich im Westfalen-Stadion vor vielen, vielen Jahren. Einmal zu einem Popkonzert, und ein zweites Mal hat mich ein in der Wolle schwarz-gelb gefärbter Freund mitgenommen, der bei mir eine Bildungslücke schließen wollte. Von Fußball verstehe ich nichts, aber ich weiß, dass die hässlichen Fratzen der Ausschreitungen kein bisschen zum Dortmunder Naturell passen. Mit Ausbeutung für falsche Zwecke und entsprechender Verschmutzung seines guten Namens muss ein Fußballverein heutzutage wohl rechnen. (Elisabeth Binder)

Nicht fein

Die individuelle Schwerbehindertenbetreuung ist facettenreich und für einen jungen Zivildienstleistenden anspruchsvoll. In den 1980er Jahren in Dortmund hatte der Job auch angenehme Seiten. Zum Beispiel alle zwei Wochen am Sonnabend. „Mein“ Behinderter war BVB- Fan und durfte mit Begleitung umsonst ins Stadion. Direkt vom Spielfeldfeldrand sahen wir Jürgen „Kobra“ Wegmann Tore schießen. Es ging friedlich zu im kleinen Westfalenstadion, das damals, also vor diversen Erweiterungen, mit gut 50 000 Leuten schon voll war. Heute brodelt es ganz anders in dem Cirus Maximus des deutschen Fußballs. Auf der Süd habe ich auch schon gestanden und vielleicht sogar mitgemacht, wenn Zehntausende nach jedem Abstoß von Manuel Neuer „Arschloch, Wichser, Hurensohn“ brüllen. Das ist nicht fein, aber so artikuliert der schwarz-gelbe Fan bisweilen den Respekt vor der Leistung ehemaliger Schalker. Krawall habe ich nie erlebt. (Alfons Frese)

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