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Ein Dank an die Mächte des Himmels. Gladbachs Aufschwung wirkt wie ein Wunder, hat aber auch ganz irdische Gründe. Einer heißt ter Stegen – und steht im Tor.

© nordphoto

Borussia Mönchengladbach: Die wundersame Auferstehung

Die Tendenz zeigt nach oben. Auch dank Trainer Lucien Favre ist Mönchengladbach wieder ein Kandidat für den Klassenerhalt.

Das Gemüt eines Fußballfans kennt verschiedene Aggregatzustände, vor allem in Zeiten des Misserfolgs. Wut, Trauer, Resignation, Sarkasmus – die Anhänger von Borussia Mönchengladbach haben das alles schon durch in dieser Saison, aber jetzt, da die Spielzeit sich rasant ihrem Ende nähert, sind bei ihnen Anzeichen der Besserung zu erkennen. Sie können schon wieder über sich selbst lachen. Das Spiel bei Hannover 96, dem Konkurrenten der Bayern um einen Platz in der Champions League, war gerade mit einem 1:0- Sieg für ihre Mannschaft zu Ende gegangen, da stimmten die Fans des Tabellenvorletzten ein hämisches Liedchen an: „Gegen Gladbach kann man mal verlier’n.“

Vor nicht allzu langer Zeit hätte der Text noch lauten müssen: „Gegen Gladbach kann man mal vier Tore schießen.“

Lucien Favre klatschte nach dem Abpfiff ein paar Mal in die Hände. Für einen flüchtigen Moment blickte der Trainer der Gladbacher in den Himmel – als suchte er da oben eine Erklärung für das, was schon jetzt als Wunder begriffen wird. Seit Wochen wehren sich die Borussen gegen den Eindruck, ihr Abstieg sei längst besiegelt. Sportdirektor Max Eberl erinnerte daran, dass die Mannschaft bereits nach den Heimniederlagen gegen Stuttgart und Kaiserslautern endgültig abgeschrieben worden sei; das 0:1 bei den Bayern sei dann „der Gnadenstoß“ gewesen. Vier Wochen ist das jetzt her, und seitdem haben die Borussen drei von vier Spielen gewonnen. „Im Moment haben wir sehr erfrischenden Aufwind“, sagt Eberl. „Wir hatten nichts mehr zu verlieren. Das hat die Mannschaft angenommen.“

Zum ersten Mal in dieser Saison haben die Gladbacher zwei Spiele hintereinander gewonnen – gegen den Meister Dortmund und den Dritten Hannover. Sollten sie den Abstieg noch abwenden, wäre das in der Tat eine der wundersamsten Auferstehungen der Bundesliga-Geschichte. Und es wäre vor allem das Verdienst des neuen Trainers Lucien Favre. „Er stellt die Mannschaft perfekt ein“, sagte Marco Reus, der in Hannover das Siegtor erzielt hatte. „Wir haben sehr hart in der Defensive gearbeitet.“ Als Favre im Februar sein Amt antrat, lag die Mannschaft sieben Punkte hinter dem Relegationsplatz, jetzt sind es noch zwei. In zehn Spielen unter seiner Verantwortung haben die Borussen ihre Punktzahl von 16 auf 32 verdoppelt, dabei die Gegentore drastisch reduziert: von mehr als 2,5 unter Favres Vorgänger Michael Frontzeck auf 0,8 pro Spiel.

„Wir kriegen es im Moment sehr gut hin“, sagt der 19 Jahre alte Torhüter Marc- André ter Stegen, der mit seiner souveränen Art entscheidend zur neuen Stabilität beigetragen hat. Der Wechsel im Tor war die einzige signifikante personelle Veränderung, die Favre vorgenommen hat; alle anderen Fortschritte sind taktischer Natur. „Die Mannschaft trainiert mit viel Überzeugung“, sagt er. „Und langsam kommt das Vertrauen.“ Favres Handschrift war in Hannover geradezu idealtypisch zu erkennen. Die Liga hat zuletzt regelrecht vor dem rasendem Umschaltspiel der 96er gezittert, davon war am Samstag nichts zu sehen. Die Gladbacher verbarrikadierten sämtliche Passwege, bis in die vogelwilde Schlussphase hinein ließen sie so gut wie keine Chance zu, spielten aber ihrerseits mutig nach vorne. In der ersten Hälfte benötigte der Außenseiter kein einziges Foul, um Hannover lahmzulegen – auch das Ausdruck einer guten Ordnung und typisch für eine Favre-Mannschaft. Mit Hertha hat es der Schweizer über die Fairplay-Wertung sogar bis in den Europacup geschafft.

Dabei wurde Favres Anstellung in Mönchengladbach mit großer Skepsis begleitet – weil er eben nicht in das typische Retter-Raster passt. Stimmt: Favre hat keine flammenden Reden gehalten, er hat einfach akribisch an der Struktur des Teams gearbeitet. Und er hat erfolgreich all das ausgeblendet, was um ihn herum passiert, auch den internen Machtkampf, der schon seit Monaten tobt. Die Bemühungen um den Klassenerhalt werden hartnäckig von einer Oppositionsgruppe namens „Initiative Borussia“ torpediert, die mit einer Satzungsänderung den Vorstand um Präsident Rolf Königs stürzen will und selbst an die Macht strebt. Sie hat verbalen Terror verbreitet, Borussias Führung mit haltlosen Beschuldigungen überzogen, sie persönlich diffamiert – und vorige Woche, als vermeintlichen Königszug, Stefan Effenberg als Kandidat für das Amt des Sportdirektors präsentiert, der wiederum Ex-Trainer Horst Köppel in seinem Führungsteam mit dabei haben will.

„Das kommt nicht bis in die Kabine“, behauptete Kapitän Filip Daems, und auch Marco Reus sagte, dass es ihn nicht interessiere, „was da mit Effe ist“. Für Borussias Sportdirektor Eberl hingegen ist die Personalie Effenberg „zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt gesetzt worden“. Dass die Initiative sich mit ihrer durchschaubaren Kampagne eher geschadet hat, war in Hannover zu sehen. In der ersten Hälfte wandten sich Borussias Fans mit einem Transparent an Effenberg, ihren Helden von einst: „Tiger, du hast falsche Freunde!“

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