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Gladbach jubelt, Hertha ärgert sich. So war es beim 2:3 der Berliner im Hinspiel.

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Borussia Mönchengladbach überholt Hertha BSC: Schlafender Riese gegen tiefschlafenden Riesen

Jahrelang war Hertha BSC Borussia Mönchengladbach weit voraus – inzwischen aber haben sich die Kräfteverhältnisse verschoben. In allen Kategorien sind die Gladbacher vorn.

Der 28. Februar 2009 war ein ziemlich guter Tag für Hertha BSC. Die Berliner hatten bei ihrer Pflichtaufgabe gegen den Tabellenletzten Borussia Mönchengladbach zwar mehr Probleme als erwartet. Doch so knapp der Erfolg am Ende auch ausgefallen sein mochte, das 2:1 entfaltete eine große Wirkung. Der Heimsieg brachte Hertha zurück auf den ersten Tabellenplatz in der Fußball-Bundesliga und ließ die Stadt und den Verein weiter von der ersten deutschen Meisterschaft seit 1931 träumen.

Sechs Jahre ist das erst her, gefühlt kommt es einem wie eine Ewigkeit vor. Pal Dardai patrouillierte damals noch bei Hertha durchs defensive Mittelfeld, an der Seitenlinie dirigierte Lucien Favre die Berliner. Beide werden auch an diesem Sonntag (17.30 Uhr, live bei Sky) wieder beteiligt sein, wenn die Gladbacher im Olympiastadion antreten: Dardai als Trainer bei Hertha, Favre in gleicher Funktion beim Gegner. Und nicht nur ihre Rollen werden andere sein. Auch sonst ist nichts mehr, wie es vor sechs Jahren war. Das Spiel im Februar 2009 war das letzte, in dem Hertha den Borussen deutlich voraus war. Inzwischen haben sich die Verhältnisse in ihr Gegenteil gekehrt, in allen relevanten Kategorien.

Hertha BSC, ein tiefschlafender Riese

"Borussia ist ein schlafender Riese", sagt Gladbachs Finanzgeschäftsführer Stephan Schippers. Das ist insofern interessant, als man das vor 15 Jahren auch von Hertha behauptet hat. Doch während Hertha zwischenzeitlich wieder in eine Tiefschlafphase versunken war, scheint bei den Gladbachern gerade der Wecker zu klingeln. In der vergangenen Woche hat der Klub für das Jahr 2014 einen Rekordumsatz von 130 Millionen Euro verkündet, dazu einen Gewinn von zwölf Millionen Euro. Die Borussen mit Schippers und Sportdirektor Max Eberl haben zuletzt offenbar einiges richtig gemacht und den alten Glanz aus den Siebzigern wieder kräftig aufpoliert. Von Hertha kann man das nach zwei Abstiegen seit 2010 nicht unbedingt behaupten.

Mönchengladbach in allen Belangen vor Berlin

Inzwischen stehen die Gladbacher finanziell besser da als die Berliner, sie sind strukturell besser aufgestellt, sie haben doppelt so viele Mitglieder, sind effizienter in ihrer Nachwuchsausbildung – und sportlich hat der Verein aus der niederrheinischen Provinz den Hauptstadtklub inzwischen auch überholt. Während Hertha den Klassenerhalt zumindest rechnerisch noch nicht sicher hat, sind die Gladbacher bereits seit einigen Wochen am offiziellen Saisonziel angelangt: Zum vierten Mal hintereinander werden sie die Spielzeit auf einem einstelligen Tabellenplatz beenden. Viel wichtiger aber: Schon vier Spieltage vor Schluss hat der Klub zumindest die Teilnahme an den Play-offs zur Champions League sicher.

Bis 2009 war es genau umgekehrt: Hertha konnte in der Regel europäisch denken, qualifizierte sich nach dem Aufstieg in zwölf Jahren insgesamt neun Mal für den Europapokal, die Gladbacher hingegen mussten stets den Abstieg fürchten – wenn sie nicht in der Zweiten Liga spielten. Zwischen 1997 und 2009 war die Borussia nur einmal (2004 wegen der Tordifferenz) besser platziert als Hertha, seit 2010 immer.

Alte Ordnung. Andrej Woronin bringt Hertha BSC gegen Gladbach in Führung. In diesem Spiel vor sechs Jahren waren die Berliner den Borussen noch deutlich voraus. Inzwischen haben sich die Verhältnisse umgekehrt.
Alte Ordnung. Andrej Woronin bringt Hertha BSC gegen Gladbach in Führung. In diesem Spiel vor sechs Jahren waren die Berliner den Borussen noch deutlich voraus. Inzwischen haben sich die Verhältnisse umgekehrt.

© imago sportfotodienst

"Es hat sich viel verändert", sagt Pal Dardai. Er erinnert sich noch daran, wie es zu seiner Zeit als Spieler war: "Die Gegner hatten bei uns schon Angst, bevor es losging." Gerade im Olympiastadion begann Hertha mit Wucht, schoss im Idealfall ein, zwei frühe Tore und fürchtete vor eigenem Publikum weder Gott noch die Bayern. Die Gladbacher waren dieser Wucht immer besonders hilflos ausgeliefert. Zwischen 1997, als Hertha in die Bundesliga zurückkehrte, und 2009 gewannen sie nur ein einziges Mal in Berlin. In dieser Zeit waren sie kein gleichwertiger Gegner. Von insgesamt neunzehn Spielen entschied Hertha zehn für sich, was einer Siegquote von 52 Prozent entspricht. Seit 2009 gewannen die Berliner von acht Duellen (inklusive Pokal) nur noch eins (Quote 12,5 Prozent) – und verloren fünf.

Die Gladbacher sind so etwas wie das neue Werder Bremen

In der Bundesliga habe die Gladbacher inzwischen Werder Bremen als Rollenmodell abgelöst. Sie dienen der Konkurrenz als Vorbild, weil sich sportliche Konstanz bei ihnen mit wirtschaftlicher Solidität paart. Seitdem Lucien Favre vor vier Jahren Trainer geworden ist und die Mannschaft in der Relegation vor dem Sturz in die Zweite Liga rettete, hat der Klub mit dem Abstiegskampf nichts mehr zu tun gehabt. Zur neuen Saison wird Favre der Trainer in der Bundesliga sein, der am längsten im Amt ist. Im selben Zeitraum durften sich bei Hertha (mit Interimslösungen) insgesamt sieben Trainer versuchen. Mit wechselndem Erfolg.

Bei den Gladbachern weist der Weg kontinuierlich nach oben. Und während sich der sportliche Aufschwung auch finanziell niederschlägt, hat Hertha sich Erfolge in der Vergangenheit vor allem viel kosten lassen. Zwischenzeitlich lagen die Verbindlichkeiten bei 54 Millionen Euro. Dass der Klub ab dem Sommer schuldenfrei ist, hat er allein dem Einstieg des Investors KKR zu verdanken. Ohne dessen 61,2 Millionen Euro hätte Hertha wohl vor einem Jahr nur mit Mühe die Lizenz erhalten. Ohnehin haben es die Berliner fast nie geschafft, einen positiven Geschäftsabschluss hinzubekommen – egal ob sie europäisch spielten oder gegen den Abstieg. Die Gladbacher hingegen mussten in zwölf Geschäftsjahren seit 2003 nur zwei Mal einen Verlust ausweisen.

"Wirtschaftliche Unabhängigkeit ist die Basis dafür, dass man gegenüber äußeren Einflüssen widerstandsfähiger ist und seinen Plan durchziehen kann", sagt Borussias Finanzgeschäftsführer Schippers. Die Gladbacher sind schuldenfrei, vor allem sind sie anders als Hertha noch im Besitz sämtlicher Rechte. Die Berliner haben 9,7 Prozent ihrer Anteile an KKR veräußert, bis auf 33,3 Prozent kann der Investor seine Anteile erhöhen – ohne dass Hertha dafür noch einmal Geld bekommt. Die Berliner haben zwar die Möglichkeit, die Anteile zurückzuerwerben. Die Erfahrung aber zeigt: Was weg ist, ist weg. Auch deshalb schließen die Gladbacher ein solches Modell für sich aus. Nicht zuletzt, weil sie es nicht nötig haben.

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