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Wladimir Klitschko, 38, hält derzeit die Weltmeistertitel im Schwergewicht nach Version der drei großen Verbände IBF, WBO und WBA. Gegen Alex Leapai verteidigt er heute seinen Titel (22.45 Uhr, live bei RTL).

© AFP

Box-Weltmeister Wladimir Klitschko im Interview: "Russland und die Ukraine sind wie Witali und Wladimir"

Box-Weltmeister Wladimir Klitschko spricht im Tagesspiegel-Interview über die drohende Spaltung seines Heimatlandes und seinen heutigen Kampf gegen den "wilden Schläger" Alex Leapai.

Herr Klitschko, wie sehr belasten die dramatischen Ereignisse in der Ukraine die Konzentration auf Ihren 25. Weltmeisterschaftskampf am Samstag in Oberhausen gegen den Australier Alex Leapai?
Mein Kopf ist in der Ukraine, mein Körper ist in den letzten Wochen bei der Vorbereitung gewesen. Das passt eigentlich nicht zusammen. Alle halbe Stunde neue, besorgniserregende Nachrichten. Da durfte ich den Fokus nicht verlieren. Die Gefahr bestand. Mein sportlicher Erfolg aber ist weiterhin ganz wichtig. Wenn ich im Gym war, habe ich es geschafft, mich ganz auf Alex und meine Form zu konzentrieren. Alles andere wäre ein Fehler gewesen. Der Sport verzeiht keine Fehler.

Welche Bedeutung hat der Kampf angesichts des bürgerkriegsähnlichen Konflikts in der Ukraine und der drohenden Spaltung Ihres Heimatlandes?
Ich widme diesen Kampf jetzt nicht speziell der Ukraine. Das geschieht automatisch bei jedem Kampf. Ich bin Ukrainer, die ukrainische Fahne wird in den Ring getragen, die ukrainische Hymne gespielt. Diesmal wird meine Schwägerin Natalia die Nationalhymne singen. Sie ist eine gute Sängerin. Eine gewisse Symbolik wird der Kampf dennoch definitiv haben. Der Boxring in Oberhausen ist meine Bühne. Ich möchte sie am Samstag nutzen, um etwas für meine Landsleute zu tun.

Was denn?
Klitschko-Kämpfe hatten immer höchste Einschaltquoten im Fernsehen der Ukraine, im Osten wie im Westen. Ich hoffe, dass dieser Kampf, wie die Spiele unserer Nationalmannschaft bei der Fußball-EM 2012, den Menschen in der Ukraine Gefühle der Einheit geben wird, dass er eine, wenn auch kurzfristige Ablenkung schafft von all den Problemen, von der Ungewissheit, wie es weitergeht. Denn im Ring wird einer stehen, der die ganze Ukraine vertritt. Ich wiederhole die Worte Nelson Mandelas: "Der Sport hat die Kraft, die Welt zu verändern." Deswegen ist dieser Kampf so wichtig.

Also gewissermaßen auch ein Kampf gegen die prorussischen Separatisten?
Wer auch immer hinter den Separatisten steht, sie werden keinen Erfolg haben, auch wenn die Lage in der Ukraine zur Zeit sehr bedrohlich ist. Ich war von Anfang an auf dem Maidan ständig bei den Demonstrationen. Ich habe meinen Bruder Vitali unterstützt und mit den Menschen friedlich in einer Kette gestanden, als die Polizei anrückte. Dann passierte, kurz bevor ich am 25. Februar ins Trainingscamp nach Miami flog, das Unfassbare. Für mich war unvorstellbar, was da in Europa – und die Ukraine ist Europa – passierte: Scharfschützen erschossen von Dächern schutzlose Demonstranten. Diese Videos waren ein Schock. Wer auch immer die Befehle gegeben hat, der Verantwortliche ist der damalige Präsident. Janukowitsch wird beschuldigt, und das zu Recht. Aber am Ende werden sich die Dinge zum Guten entwickeln. Davon bin ich überzeugt. Wir werden vereint bleiben und selbst unsere eigene Zukunft bestimmen.

Gelten Russen und Ukrainer nicht als Brudervölker?
Die Bevölkerung ist durch die gemeinsame Geschichte verbunden. Mein verstorbener Vater war Ukrainer, meine Mutter ist Russin. Ich bin Ukrainer, viele Verwandte sind russische Staatsbürger. Russland und Ukraine sind wie zwei Brüder, ein großer und ein kleiner, wie Witali und Wladimir. Das bedeutet aber nicht, dass der Kleine machen muss, was ihm der Große sagt. Ich entscheide, wo ich hin will. Der große Bruder darf mir nicht – und ich würde es ihm nicht erlauben – sagen, wie ich mein Leben führen muss. Das aber tut der große Bruder Russland mit der Ukraine. Hier haben sich die Menschen auf westliches Denken eingestellt und die Richtung gewählt, in die sie gehen wollen. Dann darf man ihnen keine Steine in den Weg legen.

Wird Vitali trotz seiner politischen Aktivitäten und des Wahlkampfes für das Amt des Bürgermeisters von Kiew am Samstag wie gewohnt in Ihrer Ecke stehen?
Ja, wenn nichts dazwischen kommt. Mein Bruder hat wirklich einen harten Job. Politik ist tougher als Boxen. Verglichen mit dem, was in der Ukraine geschieht, ist Boxen Kindergarten. Menschen riskieren ihr Leben.

Hatten Sie Angst um Ihren Bruder, der sich mit seiner Partei nicht an der Übergangsregierung beteiligt und auch auf die Kandidatur für das Präsidentenamt verzichtet hat?
Ich finde Vitalis Entscheidungen richtig. Sie zeigen, dass mein Bruder ein kluger und erfahrener Politiker geworden ist, der seine Ambitionen zurückstecken kann. Wirkliche Angst um ihn habe ich nicht, aber ich mache mir um ihn Sorgen, wie um das ganze Land.

Ein Klitschko-Kampf wird in rund 150 Ländern übertragen, aber erstmals seit 14 Jahren nicht in Russland. Wie finden Sie das?
Ich bin sehr enttäuscht, dass meine russischen Fans wegen der Propaganda in Moskau den Kampf nicht sehen können.

Was riskieren Sie gegen Alex Leapai, einen aus Samoa stammenden Nobody?
Ich habe ihn mir nicht als Gegner ausgesucht. Leapai ist der offizielle Herausforderer der WBO. Er wird besser sein, als er je war. Denn dieser Kampf ist die Chance seines Lebens. Er ist ein wilder Schläger. Das macht ihn erfolgreich, aber auch gefährlich. Alex ist der Underdog, der australische Rocky Balboa. Seine Einstellung ist pure Gewalt. Denn von Taktik, Technik und Strategie hat er meiner Meinung nach wenig Ahnung. Aber ich habe aus bitterer Erfahrung gelernt, meine Gegner nicht zu unterschätzen. Durch die Niederlage gegen Lamon Brewster vor genau zehn Jahren …

… seit dem Sie unbesiegt sind…
… hat sich mein Charakter zum Positiven verändert. Ich bin wachsam, erfolgshungrig und die Person geworden, die ich im Ring bin und außerhalb. Ohne diese Niederlage würde ich nicht mehr boxen. Jetzt finde ich spannend, was ich tue. Mit meinen 38 Jahren fühle ich mich besser als je zuvor. Das sage ich jedes Jahr, seitdem ich dreißig geworden bin.

Hartmut Scherzer

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