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Sport: Boxen: Der schnelle Mann verhindert die verhängnisvolle Rolle rückwärts

In der letzten Runde hat es bei Sven Ottke klick gemacht. Der Profiboxer wollte diesem phantastischen Publikum in der ausverkauften Magdeburger Bördelandhalle "einen Gefallen tun und ein bisschen zaubern" in einem Finale furioso.

In der letzten Runde hat es bei Sven Ottke klick gemacht. Der Profiboxer wollte diesem phantastischen Publikum in der ausverkauften Magdeburger Bördelandhalle "einen Gefallen tun und ein bisschen zaubern" in einem Finale furioso. Ein kleines Dankeschön kurz vor dem letzten Gong. Ein schöner Gedanke, leider aber auch der falsche. "So schnell kann so etwas ins Auge gehen", sagte der alte und neue Boxweltmeister im Supermittelgewicht (IBF-Version) später. Denn für einen Moment war der Titelverteidiger zu übermütig geworden. Und so etwas darf sich einer gegen James Butler, aufgewachsen in den dunkelsten Ecken der New Yorker Bronx, nicht leisten. Ein linker Haken endete an Ottkes Kinnwinkel. "Ich war angeschlagen", sagte Ottke später. Er rettete sich geschickt mit Halten und Klammern aus dieser brenzligen Situation.

Es war der einzige kritische Moment für Ottke. Ganz souverän hatte er ansonsten diesen US-Amerikaner mit seinen wirbelnden Schlagserien, seinen schnellen Beinen, seinen fixen Bewegungen und seinem sicheren Auge nach Belieben beherrscht. Mit höchster Konzentration trat er Butler gegenüber, dem der Ruf eines K.-o.-Schlägers vorausging (12 seiner 18 Siege durch K. o.). Butler bewegte sich meist wie unter Einwirkung von Schlaftabletten durch den Ring. Ottke hingegen war hellwach.

Der US-Amerikaner war frustriert und verzweifelt. Wie vor ihm schon Charles Brewer und Thomas Tate. "Ich kann es nicht glauben", stammelte Butler und war fassungslos, dass er diesen schnellen Mann nicht zu fassen bekommen hatte. Lauerte der Mann aus New York auf eine Blöße, sprang ihn Ottke überfallartig an, schlug ihm blitzschnell links-rechts-links die Fäuste um die Ohren - und weg war er, noch ehe Butler zu seinen weiten Haken ausholte. Von der Wucht seiner wilden Schwinger gezogen, drehte sich der offizielle Herausforderer um die eigene Achse wie ein Betrunkener. Ottke spürte "den Luftzug an der Nase" und ahnte dabei, was ihm geblüht hätte, wenn so ein Hieb voll eingeschlagen hätte. "Ich hätte eine Rolle rückwärts gemacht und wäre nicht mehr aufgestanden." Dieses Gefecht spulte Sven Ottke von der ersten bis zur elften Runde mit demselben mäßig großen Unterhaltungswert ab, sodass die drei Punktrichter ein deklassierendes Ergebnis auf ihre Zettel kritzelten: Jean Williams (USA) 118:109, Luca Montella (Italien) 119:108 und Manfred Küchler (Deutschland) 119:108. Bis auf die letzte hatte Ottke alle Runden gewonnen. Das Erscheinungsbild danach war paradox. Butler hatte keinerlei Kampfspuren im Gesicht. Ottke aber lief noch nachts mit einem Eisbeutel auf dem blauen linken Auge herum und wunderte sich, wie das Veilchen in sein Gesicht gekommen war. "Er hat mich dreimal getroffen. Zweimal habe ich die Schläge gespürt, einmal, in der letzten Runde, mit Wirkung." Sven Ottke hat in seinem 24. siegreichen Profikampf zum elften Mal seinen Titel verteidigt. Selbst Trainer Ulli Wegner ist baff: "Svenni wird mit jedem Kampf taktisch reifer." Es war der vierte WM-Kampf des Spandauers innerhalb der vergangenen neun Monate. Doch eine Pause kommt nicht in Frage. "Je länger die Pause, umso schwerer komme ich in meinem Alter wieder rein."

Also klettert Ottke am 8. Dezember in Nürnberg wieder in den Ring. Auch die Geburt seines zweiten Kindes um diesen Dezember-Termin wird ihn nicht vom Boxring fernhalten und in den Kreißsaal zu seiner Frau Gabi treiben. "Man muss Prioritäten setzen", bemerkte Ottke lakonisch. Boxchampions denken als werdende Väter anders als Fußballnationalspieler, die Länderspiele wegen der Entbindung ihrer jeweiligen Frau absagen. "Die verlieren dann auch 1:5", spottete Sven Ottke.

Hartmut Scherzer

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