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Boxen: Mit Fell und Faust

Sechs Sekunden vor dem Ende der zwölften Runde schlägt Arthur Abraham den Amerikaner Jermain Taylor schwer k. o.

Berlin - Noch wenige Sekunden bis zum letzten Gong. Noch einmal die Fäuste hoch, noch einmal die Luft rauspressen, damit der Bauch schön hart ist. Noch einmal nach einer Lücke in der Deckung des Gegners suchen, um vielleicht noch einen Schlag anbringen zu können. Jermain Taylor blinzelt aus zwei geschwollenen Augen durch den Dampf der schwitzenden Körper und das gleißende Scheinwerferlicht. Sechs Sekunden noch. Die Muskeln brennen. Gewinnen kann er den Kampf wohl nicht mehr. Dann macht es plötzlich „bumm“, bei ihm, dem tapferen Amerikaner. Dann geht ihm der Strom aus, es wird ihm schwarz vor Augen, er verliert den Halt unter den Füßen und schlägt lang hin auf den Ringboden.

Als Jermain Taylor, 31, eine ganze Weile später wieder zur Besinnung kommt und ihm von zwei Sekundanten auf die Beine geholfen wird, dreht sich im Boxring der Arena am Ostbahnhof Arthur Abraham. Der Deutsch-Armenier, 29, gewinnt den Auftakt des Super Six World Boxing Classic, ein hochkarätig besetztes Turnier prestigebeladener Boxer. 14 000 Zuschauer in der ausverkauften Arena bekreischen den Knock-out kurz vor Ultimo. Abraham hat seine Arme und seine Mundwinkel nach oben gezogen. In seinem Gesicht ist die Anspannung reiner Glückseligkeit gewichen. Ihm wird sein güldener Kampfmantel umgehängt. In diesem Kostüm mit gezackter Halskrause und zotteligem braunem Fell sieht Abraham aus wie ein Fabelwesen irgendwo zwischen einem Neandertaler und Gene Simmons, dem Bassisten der legendären Hard-Rock-Band „Kiss“.

„Er hat mich voll erwischt“, sagt Taylor ins Ringmikro, dann bringt man ihn in ein Krankenhaus. Schwere Gehirnerschütterung, wie es anderntags heißen wird. Derweil nimmt der Sieger den frenetischen Applaus der wogenden Masse entgegen. „Ein Knock muss von allein kommen, man kann ihn nicht erzwingen“, erzählt Abraham dem Publikum. Dann sagt er: „Bei mir ist es so: Wenn ich treffe, geht der Gegner zu Boden – ich bin zufrieden.“ Und wieder johlt die Masse auf.

Der fulminante K.-o.-Sieg des Wahlberliners, der den 31. Sieg im 31. Kampf (25 Knock-outs) feiert, ist ein verheißungsvoller Auftakt in ein Turnier, das sich über eineinhalb Jahre ziehen wird. Der späte K.-o.-Punch vor sechs Millionen Fernsehzuschauern bringt Abraham sogar einen dritten Wertungspunkt ein.

Der etwas größere Taylor hatte die ersten Runden für sich entscheiden können. Sein Stil hat etwas Verführerisches. Dieser Stil sieht gut aus, ist variabel, elegant und bringt Hände hervor, die härter sind als sie aussehen. „Ich war vorsichtig“, erzählt Abraham später, der sich Runde für Runde im Kampf „etabliert“. In der neunten Runde schüttelt eine schwere Rechte Taylor durch. Abraham setzt nicht blind nach, sondern lauert auf die nächste Chance. „Ich habe alles gesehen. Seine Schläge habe ich im Griff gehabt“, sagte Abraham. Inzwischen hat er seinen albernen Kampfmantel längst abgelegt, er bedient die Show, ohne den Firlefanz zu mögen. Selbst in der zwölften Runde noch habe er sich viel bewegt, sich locker gemacht. „Am Ende hat Taylor wohl gedacht, dass ich nicht mehr schlage, weil ich sicher führte. Aber dann sah ich da etwas – dann hat es ,bumm‘ gemacht.“

Arthur Abraham erzählt das unaufgeregt und im höflichen Ton. Nur einmal hätte er Sorge gehabt, als Taylor mehrmals tief schlug. „Ich hatte Angst, dass ich keine Kinder mehr zeugen kann.“

Am 23. Januar wird Abraham in den USA seinen zweiten Turnierkampf bestreiten. Gegner wird Andre Dirrell sein, der gestern in Nottingham Englands WBC-Weltmeister Carl Froch knapp nach Punkten unterlag. „Unser Ziel ist es, das Turnier zu gewinnen“, sagt Trainer Ulli Wegner. „Wenn man so schöne Voraussetzungen hat wie dieser Junge, dann kann man viel daraus machen.“ Arthur Abraham nickt brav und sagt: „Jetzt mache ich aber mal zwei Wochen nichts.“

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