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Sport: Boxen und Hauen

Nachdem der Russe Nikolai Walujew Weltmeister geworden ist, kommt es im Ring zu Tumulten

Berlin - Als der Kampf gekämpft war, ging es richtig zur Sache. Kurz nachdem Nikolai Walujew zum neuen Schwergewichtsweltmeister ausgerufen worden war, stürmte Norman Stone auf den russischen Riesen zu, riss ihm den monströsen schwarzen WBA-Titelgürtel von den Schultern und flüchtete in die neutrale Ecke. Unter seinen Armen hatte der 54 Jahre alte Vietnam-Veteran das gute Stück verbarrikadiert, das seiner Meinung nach seinem Schützling John Ruiz von den drei Kampfrichtern gestohlen wurde. Trainer Stone machte keine Anstalten, seine frische Beute herauszurücken. Der 2,13 Meter große Walujew drehte mit einiger Verzögerung seinen Schädel in Richtung des Gürtels und blickte verdutzt. Da auch die Bitten der vielen Offiziellen im Ring unerhört blieben, donnerte Hagen Seveke, einer der drei Sekundanten des neuen Weltmeisters, auf Stone zu und erkämpfte im Tumult mit einer rechten Geraden den WM-Gürtel für den Boxstall von Wilfried Sauerland zurück.

Die 10 000 Zuschauer in der ausverkauften Berliner Max-Schmeling-Halle waren vollends in Rage. Solche Szenen spielen sich beim Boxen normalerweise nicht ab, aber ein Teil des Publikums fühlte sich wie die Ruiz-Ecke verschaukelt. „ Ich glaube, für die Zuschauer war es schwer zu erkennen, wer der wahre Sieger ist“, sagte Henry Maske hinterher, „Nikolai hat nicht unverdient gewonnen.“ Der neue Weltmeister selbst brummte zufrieden: „Dass das Publikum meist auf der Seite des Kleineren ist, daran habe ich mich schon gewöhnt. Aber ich war mir sicher, dass ich den Kampf gewonnen habe.“

Der beste Schwergewichts-Weltmeister aller Zeiten, Muhammad Ali, hatte sich den armseligen 12-Runden-Kampf erst gar nicht mitangesehen. Auf einem Elektrokarren war der schwerkranke Ali zum Kampf seiner Tochter Laila unter tosendem Applaus in die Halle gefahren worden. Nach einem Küsschen am Ringpfosten für seine siegreiche Tochter verabschiedete er sich wieder und legte sich schlafen.

116:113, 116:114 und 114:114 votierten die Herren Punktrichter aus Mexiko, Australien und Neuseeland für den Hünen aus St. Petersburg. Wenn nur eine Runde andersherum gepunktet worden wäre, hätte Ruiz seinen WM-Titel behalten. Aber dafür waren seine Anstrengungen zu wirkungslos. „Ruiz hat ein paar Hände drin gehabt, aber Nikolai hat sie einfach so weggesteckt“, sagte Maske. Walujew selbst punktete ordentlich mit seiner linken Führungshand, aber eben nur mit der. Die Rechte des neuen Weltmeisters blieb schwach. Von der Ringmitte aus bestimmte er das Gefecht, aber Ruiz war der aktivere Boxer. Der Amerikaner wühlte sich mutig in den Infight, wo er seinen Kontrahenten einige Male in Verlegenheit brachte. Aber zu oft sprang er den Riesen an und schlug blind Haken nach oben. Seinen Aktionen fehlten Klarheit und Strategie. „Ruiz hat sich mit der Masse Walujews angelegt. Das war sein Fehler. Nikolai bräuchte eine eigene Gewichtsklasse“, sagte Maske. Der Drei-Zentner-Koloss sah immer dann gut aus, wenn er sich Ruiz auf Distanz halten und mit seiner Führungshand, wenn sie schnell kam, punkten konnte.

Auf der Pressekonferenz ergriff ein verspäteter Ruiz das Mikrofon, ohne sich ans Podium zu setzen. Mit bebender Stimme empörte er sich: „Ich wurde heute ohne Waffe beraubt“, sagte er. „Es ist eine Schande, und ich verlange einen Rückkampf.“ Anschließend verschwand er so plötzlich, wie er aufgetaucht war. Dessen Promotor Don King war die eigentliche Überraschung der zweiten Nachthälfte. Anstatt seine blecherne Stimme zu erheben gegen das vermeintliche Fehlurteil, kaute der mächtige Boxzampano auf einer kalten Havanna herum. Dann nahm er die Zigarre aus dem Mund und kreischte los: „Nikolai ist das achte Weltwunder, das Empire-State-Building. Er kann alle vier WM-Titel auf sich vereinigen.“ Vermutlich wird King an das viele Geld gedacht haben, das er künftig mit dem Hünen aus Russland verdienen kann.

Walujews Promoter Wilfried Sauerland hatte für das Zustandekommen des Titelkampfes in Berlin King Optionen abtreten müssen. An den nächsten vier Kämpfen des neuen Weltmeisters ist Don King mit 50 Prozent an allen Einnahmen beteiligt. „Ich werde den Russen in Amerika als King Kong vermarkten, ob er das will oder nicht“, sagte King.

„Für Nikolai wird es schwer, den Titel erfolgreich zu verteidigen, aber für seine Gegner wird es schwer, ihn zu schlagen“, sagte Maske und deutete in den Ring, wo Don King mit seinen Fähnchen wedelte. „Da oben steht der wahre Sieger des Abends.“Seite 11

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