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Sport: Brasilianisch: Klartext nur hinter verschlossener Tür

Hinter der Tür mit dem Schild 321 sollte es passieren. Die Preisverleihung.

Hinter der Tür mit dem Schild 321 sollte es passieren. Die Preisverleihung. Gegenüber standen sich ein Team der ARD und Alex Alves, Herthas Stürmer aus Brasilien, der am letzten Septembertag des vorigen Jahres aus 52 Metern Entfernung das "Tor des Jahres" schoss. Eigentlich ein formaler, sich jährlich wiederholender Vorgang für die Damen und Herren des Fernsehens, solch eine Verleihung. Nur mussten sie diesmal nach Marbella fliegen, wo Hertha BSC im Golfhotel Guadalmina zum Zwecke eines Trainingslagers Quartier bezogen hat. Und dann war da noch die Geschichte mit Alcides Perreira, dem Dolmetscher des immer noch nur wenige Brocken Deutsch sprechenden Stürmers. Ohne Perreira keine übersetzten Originaltöne vom Empfänger des güldenen Talers, ohne O-Töne keine Preisverleihung. Es zog sich hin.

Perreiras Sprachkünste nämlich waren zum geplanten Zeitpunkt in einem benachbarten Krankenhaus gefragt, wo der unter einer Magenverstimmung leidende Anthony Sanneh eingehend untersucht wurde. Sanneh ist Amerikaner und des Spanischen nicht mächtig. Perreira, der eigentlich für gar nichts kann, war somit gestern ungewollt der Mann des Tages. Er wird sich wohl beim lieben Gott bedankt haben.

Zu diesem pflegt auch Alex Alves ein besonderes Verhältnis. Alves ist nämlich, seit er denken kann, davon überzeugt, dass Gott wollte, "dass ich als Fußballer auf die Welt komme". Irgendwann hatte sich das bis zu Dieter Hoeneß herumgesprochen. Inmitten vorvergangenen Jahreswechsels brachte der Manager von Hertha BSC viele Flugstunden hinter sich, bis er im Hinterland der Copacabana den damals 25-Jährigen davon überzeugt hatte, seine Gabe in den Dienst des Berliner Bundesligisten zu stellen. Günstig war er nicht. Aber wer etwas zu bestellen haben will in der Bundesliga, braucht so einen. Zur Not auch für 15 Millionen Mark.

Zwölf Monate ist das her. Es war gewiss nicht die schönste Zeit im Leben des Alex Alves. Wohl aber die bestbezahlteste. Runde viereinhalb Millionen Mark soll der Brasilianer jährlich beziehen. Bezogen auf das, was für Hertha dabei heraus kam, eine ganze Menge. Denn der sportliche Bereicherungsfaktor ist mit Ausnahme weniger Ausreißer überschaubar. Selbst bei gewogener Betrachtung ist da sein Capoeira zu nennen, eine Art eingesprungenes Tanzelement, zu vergleichen am ehesten mit einer Schraubenzieherfigur, die er meist nach Torerfolgen vollführt. Und dann ist da noch dieses Tor des Jahres. Ein Tor, das immer wieder im Fernsehen zu sehen war. Ein Tor, über das noch Jahre lang gesprochen wird.

Aber das war es dann schon fast. Zu einem echten Qualitätssprung, für den man den Brasilianer geholt hat, konnte er Hertha noch nicht verhelfen. Auch wenn es zwischenzeitlich immer mal wieder danach aussah. Es blieben letztlich nur Augenblicke, in denen das Potenzial des jungen Mannes aufblitzte. In diesen Momenten schien es, als sei Alves nach unzähligen Irrläufen endlich angekommen. Angekommen in der Stadt, in der Mannschaft, im deutschen Fußball. Manager Hoeneß mag das Wort Irrläufe nicht. Er spricht lieber von den "ganz normalen Problemen der Eingewöhnung". Doch mit "Anpassungsschwierigkeiten in einem völlig neuen Kulturkreis" ist das nur bedingt zu entschuldigen. Die Liste der Alvesschen Probleme mit dem deutschen Kulturkreis ist lang, und sie zwingt Hoeneß, seine Argumentationslinie zur Verteidigung des teuren Einkaufs ständig zu perfektionieren. Das Wort Verteidigung möchte der Manager lieber ersetzt wissen durch das Wort "vermitteln". Mal ist es die Fremde in der Fremde, die dem Brasilianer zu schaffen machte, gelegentlich war es die "typisch deutsche Intoleranz". "Der Alex", sagt Hoeneß, "der ist nun mal so, wie er ist. Aus dem werden wir nie einen Deutschen machen." Und: "Wir wollten nun mal einen Brasilianer und keinen Deutschen."

Die Schonzeit für Alex Alves war schon mehrfach abgelaufen. Im Sommer etwa sagte Trainer Jürgen Röber: "Er muss für die Mannschaft, für jeden Einzelnen arbeiten." Damals glaubte Röber noch, dass sich Alexs Akzeptanz "von ganz allein regelt". Frei nach dem Motto: Wenn die Mannschaft sieht, dass er für sie arbeitet, arbeitet die Mannschaft auch für ihn. Nun, es sieht nicht immer danach aus. Der Prozess der Integration ist nicht abgeschlossen. Auch das Konfliktpotenzial rund um seinen Transfer, der kostspieligste in der Vereinsgeschichte, konnte Alves nur bedingt aufweichen. "Solch ein Transfer bietet eine große Chance, birgt aber auch Risiken", sagt Hoeneß. Auch ihm ist nicht verborgen geblieben, dass "sich Alex oftmals selbst im Weg stand", wie es Hoeneß formuliert, aber "wir sollten ihm in Kleinigkeiten Spielräume einräumen, wenn das Grundsätzliche stimmt. Mit teutonischer Disziplin und Draufhauen erreichen wir nichts."

Irgendwann tauchte dann Perreira auf. Im Zimmer 321 wurden Freundlichkeiten ausgetauscht. Die ARD war froh, weil Alves "vom schönsten Tor meines Lebens" berichtete. Der Schütze selbst präsentierte sich stolz, obwohl er seinen Mittagsschlaf hatte unterbrechen müssen. Hoeneß hatte sich derweil erkundigt, welcher Sender eigentlich die Pressekonferenz des Christoph Daum überträgt und anschließend gesagt: "Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Die Behutsamkeit hat ihre Grenzen. Wir reden schon Klartext mit Alex. Aber hinter verschlossenen Türen."

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