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Bremens Pokalheld: Tim Wiese: Provozierend gut

Torhüter Tim Wiese, der Pokalheld von Werder Bremen, zieht seine Kraft aus der Konfrontation.

Von Karsten Doneck, dpa

Einer Marionette gleich, bei der unkoordiniert und allzu heftig an den Fäden gezogen wird, hampelte Tim Wiese auf der Linie herum. Das sah zwar lächerlich aus, verfehlte seine Wirkung aber nicht. Der Torwart von Werder Bremen stiftete mit seiner seltsamen Zappeligkeit beim Elfmeterschießen die von ihm erhoffte Irritation bei den Schützen des Gegners. Mit drei von vier geschossenen Elfmetern scheiterte der Hamburger SV an Tim Wiese. Einer rechts, zwei links – welche Ecke die HSV-Schützen Jerome Boateng, Ivica Olic und Marcell Jansen bei ihren Schüssen auch wählten, stets wehrte Tim Wiese die Bälle ab. 3:1 gewann Werder das Elfmeterschießen im Halbfinale des DFB-Pokals beim HSV, nachdem es sowohl nach regulärer Spielzeit als auch nach Verlängerung 1:1 gestanden hatte. Die Bremer stehen damit am 30. Mai im Finale im Berliner Olympiastadion gegen Bayer Leverkusen.

Wiese sei Dank. „Das war bestimmt einer der größten Momente in meiner Karriere“, sagte der Torhüter freudestrahlend. Die Bälle hatte er dabei unter erschwerten Bedingungen abwehren müssen. Das Elfmeterschießen fand nämlich vor der Nordtribüne der Hamburger Arena statt, dort also, wo Spiel für Spiel die stehen, die am leidenschaftlichsten ihre Zuneigung zum HSV artikulieren: durch ohrenbetäubende Anfeuerung für die eigene Elf oder Missfallensbekundungen für den Gegner. Aber Tim Wiese ließ sich durch die Anfeindungen von den Rängen nicht verunsichern, das gellende Pfeifkonzert schien ihn eher zu motivieren. „Ich war mir so sicher, ich bin ganz ruhig geblieben“, schilderte er nachher seine Gemütslage in der entscheidenden Phase des Spiels.

So ist Tim Wiese. Aus der Konfrontation zieht der mitunter höchst eitle Torwart seine Kraft. So hielt sich die Verwunderung auch in Grenzen, als er zwei, drei Tage vor dem Nordderby die Stimmung schon mal anheizte, indem er freimütig erzählte: „Am besten, wir geben dem HSV gleich mal eins auf den Sack, dann wackeln die doch.“ Tim Wiese braucht solche Sprüche wie andere ihre glückselig machenden Tabletten. Sie scheinen ihm eine Art inneren Ausgleich zu geben. Seine Freundin Grit hat via „Bild“ unlängst mal tiefschürfend analysiert: „Er hat ein Potenzial für Anfeindungen, und daran ist er sicher nicht ganz schuldlos.“ Grit muss es wissen: Sie ist Psychologin.

Die Elfmeter, die Wiese in Hamburg abwehrte, waren dabei keineswegs unplatziert geschossen. Wiese hielt sie im Stile eines Klassemannes. Klar, er will sich nach wie vor für die deutsche Nationalmannschaft empfehlen – für die WM 2010 in Südafrika. In seinem Ehrgeiz schlägt er freilich manchmal auch über die Stränge. Genie und Wahnsinn: Unvergessen bleibt jene Szene vom 7. Mai vorigen Jahres, als er im Bundesligaduell in Hamburg mit einem Kamikazetritt nur haarscharf den Kopf von HSV-Stürmer Ivica Olic verfehlte. Auch jetzt im Pokalspiel hatte Wiese wieder eine Szene, wo er ohne Rücksichtnahme auf eine mögliche Verletzung des Gegenspielers brutal in einen Zweikampf mit Jonathan Pitropia einsteigen wollte, aber den Hamburger glücklicherweise nicht traf.

Nach dem letzten gehaltenen Elfmeter in Hamburg rannte Wiese wie ein 100-Meter-Läufer los: über den ganzen Platz, immer an der Außenlinie lang, dorthin, wo die Werder-Fans ihn mit „Wiese, Wiese“-Sprechchören frenetisch feierten. „Naja“, sagte Wiese zu seinem Schlussspurt, „mir war schon klar, dass ich vor dem HSV-Fanblock schlecht jubeln konnte.“ Wenigstens auf diese Provokation wollte dann auch ein Tim Wiese verzichten.

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