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Stadion Wilmersdorf, Heimat der Störche, des BSV 92. Die Ränge des Stadions bestehen aus Kriegstrümmern und sind heute bewachsen.

© Markus Hesselmann

BSV 92: Elf Störche müsst ihr sein

Deutsche Meister und Jugendbuch-Helden: Der Berliner SV 92 aus Wilmersdorf feiert sein 125. Jubiläum - und wurde Zweiter in unserer Sportvereins-Umfrage.

An dieser Stelle stellen wir die Klubs vor, die von unseren Newsletter-Lesern zu den beliebtesten Sportvereinen aus Charlottenburg-Wilmersdorf gewählt wurden. Heute Platz zwei: Der Berliner Sport-Verein 92. Das Porträt über den Drittplatzierten, Tennis Borussia, finden Sie hier. Der erstplatzierte Verein bei der Umfrage, der Berliner SC, wird in der kommenden Woche im Tagesspiegel porträtiert.

Es gibt erfolgreichere Klubs, selbst im doch überschaubaren Charlottenburg-Wilmersdorf. Hertha, TeBe und und und. Es gibt sogar, wie die Umfrage des Tagesspiegels ergab, einen beliebteren Verein. Aber welcher Klub, bitteschön, hat auf seinem Vereinsgelände schon einen Weingarten. Das hat nicht einmal der FC Bayern München. Beim BSV 92 aber wird am Nordhang des alten Stadions die „Wilmersdorfer Rheingauperle“ gezogen, im Moment zwar nicht wegen Frostschäden und Hasenfraß, aber demnächst wieder, und zwar laut Sommelière Claudia Albrecht: „Ein guter Wein in einer modernen, schlanken Flasche.“

Was für sich schon ein Alleinstellungsmerkmal ist. Aber nichts gegen das andere des BSV 92: Wer, bitteschön, hat schon einen eigenen Roman, ein Kinderbuch. Der BSV hat, und zwar nicht irgendeins, sondern eins der berühmtesten Kinderbücher im deutschsprachigen Raum, Pflichtlektüre und Standardwerk eines jeden kickenden Kindes: „Elf Freunde müsst ihr sein“. Sammy Drechsel, Berliner, Journalist, Sportreporter, Kabarettist und Mitbegründer der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, hat es 1955 geschrieben und darin beschrieben, um was sich seine Kindheit und die seiner Kumpel in den Dreißigerjahren rund um die Koblenzer Straße in Wilmersdorf drehte: Um den BSV 92, wegen roter Stutzen, schwarzer Hose und weißem Hemd, auch „Störche“ genannt. Bis heute.

Sogar ein Weinberg wurde angelegt auf den Rängen.
Sogar ein Weinberg wurde angelegt auf den Rängen.

© Markus Hesselmann

Man findet im altehrwürdigen Stadion Wilmersdorf noch einige Sonderheiten, Merkmale, dass dieser Klub ein ganz besonderer ist. Da ist die nahezu komplett bewaldete Tribüne, einst Stehwall, ums Oval, was dem Stadion, eingebettet zwischen Lochowbad und Eisstadion, einen fast schon malerischen Eindruck gibt. Da ist der kleine Flachbau in südlicher Richtung, der den vielleicht etwas hochtrabenden Titel „Sportcasino“ trägt, nun aber vor dem Abriss steht, die Vereinsgaststätte. Sie wird ersetzt werden, aus eigenen Finanzmitteln. Und dann steht man vor einem Grabstein. Er ehrt keinen verdienten Sportkameraden, er ehrt das Viertelfinale um die Deutsche Fußballmeisterschaft im Mai 1903, das ging allerdings 1:3 gegen den VfB Leipzig verloren, vielleicht deshalb der etwas skurrile Gedenkstein. Immerhin aber Zeugnis einer besseren, erfolgreicheren Fußballzeit.

Das Sportcasino, das jetzt abgerissen wird und durch ein neues "Storchennest" ersetzt werden soll.
Das Sportcasino, das jetzt abgerissen wird und durch ein neues "Storchennest" ersetzt werden soll.

© Markus Hesselmann

Die begann vor 125 Jahren (weswegen am Samstag ab 10 Uhr im Stadion Wilmersdorf die umfangreichen Feierlichkeiten zum Jubiläum stattfinden). Damals, genau am 2. Juli, bekam eine kleine Gruppe von Schülern des Friedrich-Wilhelm- und des Askanischen Gymnasiums die polizeiliche Erlaubnis, auf dem Tempelhofer Feld an festgelegten Tagen und festgelegten Stunden Fußball zu spielen. Der „Berliner Thor- und Fußball-Club Britannia 1892“ entstand. Im Ersten Weltkrieg wurde auf Befehl von oben das an Kriegsgegner England gemahnende Britannia gestrichen, der Thor ebenso, und der BSV entstand. Widerstände haben auch Drechsels elf Freunde um Held Heini Kamke zu brechen bis zum Gewinn der Berliner Schulmeisterschaft.

Heute ist der Verein ein Berliner Großverein, hat mehr als 3000 Mitglieder, 20 Abteilungen für Breiten- und Leistungssport, wovon die Tennisabteilung 800 Mitglieder hat, war dreimal Deutscher Handballmeister, wurde Hockey-Meister, war auch im Rugby nicht schlecht, und zog sich freiwillig aus dem professionellen und kommerzialisierten Fußball zurück. Na ja, die Sache mit der Freiwilligkeit steht so zumindest in der Chronik.

Auch die Nebenplätze sind imposant von der Lage her. Im Hintergrund das Kraftwerk Wilmersdorf.
Auch die Nebenplätze sind imposant von der Lage her. Im Hintergrund das Kraftwerk Wilmersdorf.

© Markus Hesselmann

Aber welchen Wert dieser Verein hat, kann man täglich auf der großzügigen Anlage zu Füßen der „Wilmersdorfer Rheingauperle“ beobachten. Da wird Fußball gespielt, Hockey geübt und auf dem Rasen des Hauptplatzes trainieren viele kleine Kinder für die „Spaß-Olympiade“ und die „Sprint- und Schuss-Speedmessungen“, zwei der zahlreichen Festaktivitäten. Ein Kiezverein, Integrationsort und Station des sozialen Lebens. Mithin weit mehr als ein Fußballverein mit höheren Ambitionen. Am Samstag geht es um 16 Uhr für die erste Mannschaft auch lediglich gegen Herthas Amateure.

Das Jugendbuch, in dem der BSV 92 eine wichtige Rolle spielt, als Hörbuch, gelesen von Dieter Hildebrandt, mit dem der Autor Sammy Drechsel lange zusammenarbeitete.
Das Jugendbuch, in dem der BSV 92 eine wichtige Rolle spielt, als Hörbuch, gelesen von Dieter Hildebrandt, mit dem der Autor Sammy Drechsel lange zusammenarbeitete.

© promo

Für Heini Kamke aus der zweiten Klasse der 5. Volksschule Berlin-Wilmersdorf in der Koblenzer Straße und seine Idole, die großen Störche, ging es damals bei Sammy Drechsel auch gegen Hertha BSC, gegen Viktoria 89, Minerva 93 und andere Vereine, die eher zu den verblassten Mythen zählen. Aber Sozialleben pflegte der Klub damals auch schon. Und leistete missionarische Arbeit. Die Widerständler gegen die „Fußtümler“ wurden überwunden. Am Ende bekommt Lehrer Peters, Befürworter und Förderer der leidenschaftlichen Kicker von den Jungs einen Pokal überreicht, kleine Nachbildung der Viktoria, der Statue, die der Deutsche Meister vor der heutigen Schale in den Himmel strecken durfte. Darauf der Buchtitel gebende Spruch in Gänze.

Sammy Drechsel (1925 - 1986)
Sammy Drechsel (1925 - 1986)

© MoSchle/Wikipedia

Angesichts des heutigen Geschäfts mit dem Fußball, mit dem Transfergebaren von egomanischen Profis mutet der Spruch sehr altbacken, sehr weltfremd, sehr turnväterlich an. „Heinis klare Stimme drang durch den großen Raum: ’Elf Freunde müsst ihr sein, wenn ihr Siege wollt erringen!’“. Puh, ja, und früher war alles viel früher. Aber dennoch kein schlechtes Motto für einen Sportverein wie den BSV 92.

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