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FC Schalke 04 - Bayer 04 Leverkusen

© dpa

Büskens, Mulder und Reck im Interview: Schalkes Trainer-Triumvirat: "2:1 ist eine Form der Demokratie"

Wie trainiert man zu dritt einen Bundesligisten? Noch dazu Schalke? Vor dem Spiel bei Hertha sprechen Michael Büskens, Youri Mulder und Oliver Reck im gemeinsamen Interview über den Mythos Schalke, Buhrufe gegen die eigenen Spieler, Felix Magath und ihre Arbeit als Triumvirat.

Wie würden Sie den Berlinern, die mit Hertha ja selbst einen großen Traditionsverein haben, den Mythos Schalke erklären?

Mulder: Man sieht das zum Beispiel in dem Schalke-Film mit Uwe Ochsenknecht. Da ist ein ganzes Haus in Schalke-Farben bemalt und voll Schalke-Utensilien. Ich habe ja vielleicht auch einen Schalke-Kugelschreiber oder so was. Aber da ist alles Schalke. Es gibt hier Leute, deren ganzes Leben ist blau-weiß. Das ist der Fan-Mythos, die totale, hundertprozentige Hingabe für den Verein. Aber das hängt natürlich auch mit der Vergangenheit zusammen. Den Bildern, die ja auch hier im Vereinsrestaurant hängen. Wenn der Zug mit den Spielern zurückkommt und alle Leute zum Bahnhof laufen. Schalke ist ja sieben Mal Deutscher Meister geworden. Ernst Kuzorra, der Schalker Kreisel, später Libuda – bei diesem Verein ist die Hingabe größer als bei jedem anderen Verein.

Reck: Schalke ist immer noch der Malocherklub. Früher war es ja so, dass die Spieler unter Tage gearbeitet haben. Sie sind nach der Schicht hochgefahren, haben sich geduscht und sind zum Training und zum Spiel gegangen. Das verbinden wir immer noch mit dem Klub. Auch heute fahren wir ab und an mit den Spielern unter Tage, um den Mythos weiter zu tragen. Die schwere Arbeit, das Mitanpacken, das zeichnet diesen Klub aus.

Mulder: Olli, haben die denn dann auch so Fußball gespielt?

Reck: Ja.

Mulder: Ich glaube, das ist eher schon so ein Klischee, dass die auch auf dem Platz hart arbeiten mussten. Es gab doch den Kreisel, da wurde schön Fußball gespielt.

Reck: Das auch, ja.

Mulder: Genau, das schöne Spiel, das ist Schalke.

Damals fast schon holländisch…

Mulder: Ja, holländisch. Aber mit dem Unterschied, dass Schalke gewonnen hat und Holland nicht (lacht).

Reck: Das mit dem Malocherklub ist aber auch immer noch wichtig. Sie kamen von der Straße, aber sie haben den Kreisel erfunden, das schöne Kurzpassspiel. Da wurde Fußball zelebriert. Diese beiden Seiten zeichnen für mich diesen Klub aus.

Sehen Sie sich als Teil dieses Mythos? Schließlich waren Sie alle auch selbst Spieler auf Schalke.
 
Mulder: Von sich selbst zu sagen, man sei Teil eines Mythos, ist ja eigentlich nicht okay. Aber für jeden, der mal dieses Trikot anhatte und in der ersten Mannschaft gespielt hat, gilt: Einmal Schalker, immer Schalker. Insofern ist er auch Teil des Mythos. Sascha Wolf ist Teil des Mythos.

Reck: Den kennen Sie sicher nicht.

Doch, er ging dann von Schalke zu Rot-Weiss Essen.

Reck: Super!

Mulder: Das ist das Schöne hier. Auch wenn man nicht so viel erreicht hat, gehört man dazu.

Und dass Trainer Büskens öffentlich aus der Vereinshymne zitiert, weil ein Spieler von den Fans ausgebuht wird, ist auch schalketypisch?

Mulder: Genau. Tausend Freunde, die zusammenstehn, dann wird der FC Schalke niemals untergehen.

Reck: Das war nach den Pfiffen gegen Orlando Engelaar. Treffender hätte man das gar nicht sagen können. Das hat jeder verstanden: Ob Fan oder Journalist. Danach habe ich nie mehr einen Pfiff gehört.

War das mit dem Zitat aus dem Vereinslied abgesprochen unter Ihnen dreien?

Büskens (kommt nach seiner Pressekonferenz zum Interview hinzu): Hatten wir das abgesprochen?

Mulder und Reck: Neinneinnein.

Büskens: Diesmal nicht.

Mulder: Das war spontan.

Wie kamen Sie auf die Idee mit dem Vereinslied, Herr Büskens?

Büskens: Ich denke, dass unser Verein sich zuletzt nicht so präsentiert hat, wie er sich präsentieren sollte. Nämlich über eine gewisse Geschlossenheit. Wenn wir als FC Schalke 04 Erfolg haben wollen, dann müssen wir näher zusammenrücken. Da darf nicht jeder sein Ding machen. Da gehören alle Leute dazu, die für diesen Verein arbeiten und alle Leute, die an diesem Verein hängen.

Lag es vielleicht auch daran, dass Schalke mit Rudi Assauer eine Identifikationsfigur verloren hat? Ein Gesicht, einen, der von außen alles auf sich gezogen hat?

Mulder: Das vielleicht auch. Aber es hat sich auch anderes verändert. Früher war alles kleiner, noch als ich hier Spieler war. Alle haben angepackt. Jetzt stehen hier ein Riesenstadion und eine riesige Geschäftsstelle. Da gibt es vielleicht so was wie Wachstumsschmerzen. Der Verein ist jetzt mehr wie eine ganz große Firma, habe ich das Gefühl. Und man muss ja auch größer werden. Man möchte die Bayern angreifen. Aber trotzdem muss man immer daran denken, was die Basis ist. Und das wollte Mike ausdrücken.

Büskens: Die Identität ist auch wichtig. Man muss die Balance finden.

Wir haben also gelernt: Michael Büskens kennt das Vereinslied. Aber wie steht es mit Ihnen beiden? Kennen Sie den Text? Können wir das hier überprüfen?

Reck: Können wir machen.

Na dann los.

Reck: Blau und weiß, wie lieb ich dich. Blau und weiß verlass mich nicht. Blau und weiß ist ja der Himmel nur… Ich kann das durchaus.

Sie kennen alle Strophen? Auch die Zeile: Mohammed war ein Prophet, der vom Fußballspielen nichts versteht?

Mulder: Die ist sensationell. Das könnte man in Holland heute so nicht mehr texten.

Das gäbe Ärger. Aber in Deutschland auch.

Mulder: Aber es geht ja weiter: Und aus all der schönen Farbenpracht hat er sich das Blau und Weiße ausgedacht.

Okay, Sie können es auch. Herr Mulder, Sie sprachen vorhin selbst schon von Klischees. Ist die Tradition nicht nur noch Staffage in diesen hochkommerzialisierten Zeiten, in denen Schalke mit Blick auf den russischen Hauptsponsor zuweilen als „FC Gazprom 04“ verulkt wird?

Reck: Natürlich ist für uns nicht nur die Tradition wichtig. Wir schauen ja nach vorn und versuchen, uns weiterzuentwickeln. Aber wer als Spieler nach Schalke kommt, sollte sich schon mit der Tradition befassen und sich damit auseinandersetzen. Das finde ich wichtig. Ich habe damals, als ich hier neu war, versucht, mir das anzulesen.

Mulder: Tradition kann nicht alles sein. Ein modernes Stadion ist wichtig, moderner Fußball, und finanziell muss es eben auch stimmen. Für die Schalker Tradition aber habe ich mich auch von mir aus interessiert. Und das ist sicher auch wichtig, dass dieses Interesse etwas Natürliches ist. Aber da ist vielleicht auch der Verein gefragt. Man sollte das nicht reindrücken. Aber ein kleines bisschen… Vielleicht sollte man einen kurzen Film auflegen mit dem Wichtigsten über Schalke. Und dann rein damit in den Laptop oder in den iPod und hey, schau mal: Das ist Kuzorra und das ist Libuda. Und das haben die geschafft. Die Bilder hängen ja übrigens auch in dem Raum, in dem wir essen. Und zu Gazprom: Die kommen ja genau deswegen hier her. Wegen der Tradition, wegen der vielen Fans, wegen der Ausstrahlung des Klubs. Natürlich wollen sie als Sponsor darüber hinaus heute auch erfolgreichen Fußball sehen.

Schalkes Fans können aber auch ungemütlich werden, wenn sie zum Beispiel die eigenen Spieler auspfeifen, wie eben zuletzt Orlando Engelaar. Der „Kicker“ will darüber hinaus schon einen bundesligaweiten Trend beobachtet haben, dass einzelne Spieler von den Fans gemobbt werden. Sehen Sie da auch eine neue Qualität?

Reck: Ich war da ja auch mal an der Reihe als Spieler. Das Gute ist, man kann selbst dafür sorgen, dass es nicht mehr so ist. Durch gute Leistungen.

Mulder: Tore schießen gegen Dortmund zum Beispiel.

Reck: Man hat es selbst in der Hand.

Und wie reagiert man als Trainer?

Mulder: Manchmal muss man den Spieler schützen, indem man ihn mal rausnimmt.

Reck: Das muss man auch als Spieler selbst erkennen. Sonst dreht man sich immer weiter im eigenen Dreck. Und schadet der Mannschaft.

Mulder: Und dann kann man wieder kommen. Und gibt zum Beispiel die Vorlage zu einem Tor, wie es Orlando Engelaar gemacht hat. Das ist auch wieder typisch Schalke: Die Fans identifizieren sich mit jemandem, der unten durchgeht, bei dem es nicht klappt, der aber kämpft.

Reck: Wir haben ihm gesagt: Orlando, du bist bei uns nicht abgeschrieben. Du wirst noch ganz wichtige Spiele machen.

Glauben Sie, dass Engelaar längerfristig in der Bundesliga bestehen kann?

Mulder: Wenn du Gattuso wegspielen kannst bei einer EM und der beste Mann auf dem Platz bist gegen Italien, dann kannst du auch in der Bundesliga bestehen.

Denkt man als Trainer oder Spieler nicht bei aller Liebe manchmal über die Fans: Freunde, das geht jetzt zu weit?

Mulder: Na ja, ich finde, als Fan hat man immer das Recht zu pfeifen. Aber alle gegen einen – das mag ich nicht so. Schon in der Schule fand ich das nicht gut.

Zum Spiel am Samstag. Für Hertha geht es um alles, die Meisterschaft, und für Schalke um nichts mehr …

Reck: … halt, Einspruch. Es geht immer um etwas.

Aha.

Reck: Wir spielen Bundesliga, und da kann man nicht sagen, es geht um nichts. Eins kann ich den Hertha-Fans schon mal versprechen: Diesen Satz „Es geht für Schalke um nichts mehr“, den können sie streichen.

Mulder: Es werden viele Schalke-Fans da sein. Und es geht immer darum, noch einen guten Platz in der Bundesliga zu erreichen. Das ist wichtig für den Verein.

Reck: Die eigene Motivation der Spieler darf man auch nicht außer Acht lassen. Jeder möchte so ein Spiel gewinnen. Jeder möchte den Zuschauern und den Medien zeigen: Mit uns ist noch zu rechnen. Vielleicht gerade in so einem Spiel ganz besonders.

Geht es auch darum, einen großen Erfolg des Gegners zu verhindern?

Büskens: Es geht nicht darum, Hertha irgendetwas zu verderben. Ein Motiv ist doch: Wir können positiv in den Meisterschaftskampf eingreifen. Das ist unsere Situation. Vielleicht sind in den kommenden Jahren mal andere Mannschaften in derselben Situation und helfen damit dem FC Schalke 04.

In der Vorbereitung aufs Spiel: Wie ist da die Aufgabenteilung unter Ihnen?

Mulder: Mike und ich machen nichts mit den Torhütern.

Reck: Obwohl die das könnten, das wäre kein Problem.

Mulder: Genau, ein bisschen draufballern (lacht). Also: Mike macht die Pressekonferenzen, hält die Ansprachen an die Mannschaft, Olli kümmert sich um die Torhüter, und … ja was mache ich eigentlich? (alle lachen)

Reck: Das Wichtigste ist, dass wir alles zusammen machen. Wir besprechen alles zusammen. Jede Entscheidung wird besprochen. Hier macht keiner irgendeine Einzelaktion. Wir reden darüber und dann wird salomonisch darüber entschieden.

Gibt es da keinen Streit?

Mulder: Das geht eigentlich ziemlich harmonisch. Jetzt weiß ich auch wieder, was ich mache: Den Strafenkatalog (alle lachen). Nein, ich denke, dass unser Einfluss auf die Mannschaft gleich ist, auch taktisch. Es ist ja zu dritt besonders wichtig, dass man mit einer Stimme spricht. Denn sonst versuchen die Spieler, den einen Trainer gegen die beiden anderen auszuspielen. Nach dem Motto: Du sagst das, aber die haben doch das gesagt. Komischerweise passiert das bei uns ganz wenig.

Zwei gegen einen, liegt nicht genau darin die Gefahr beim Triumvirat?

Büskens: Nein, 2:1 ist doch eine Form der Demokratie. Natürlich haben wir auch mal unterschiedliche Auffassungen. Wenn wir aber etwas gegenüber der Mannschaft oder der Öffentlichkeit verkünden, dann stehen wir alle dahinter. Da kann dann auch mal einer denken: Vielleicht hätte ich da anders entschieden. Aber wir vertreten das dann so.

Reck: Es ist doch gerade das Gute, dass bei Dreien immer eine 2:1-Mehrheit drin ist.

Mulder: Und wer in der Einser-Minderheit ist, will es ja auf keinen Fall auf eine Abstimmung ankommen lassen. (alle lachen)

Drei Trainer als Mini-Demokratie.

Mulder: Eher als Oligarchie.

Mussten Sie denn mal abstimmen?

Mulder: Neinneinnein.

Sie sagen, jede Entscheidung wird besprochen, also auch, wenn in der 92. Minute noch mal taktisch ausgewechselt wird?

Büskens: Das geht dann schnell. Das dauert natürlich dann keine dreieinhalb Minuten.

Reck: Das Meiste hat man sich ja vor dem Spiel überlegt. Man fragt sich: Welche Alternativen hat man? Wie kann man einwechseln? Wenn man da gut vorbereitet ist, dann geht alles ganz schnell.

Mulder: Man arbeitet mit bestimmten Szenarien im Kopf. Außerdem war es ja vorher auch schon so mit Fred Rutten. Eigentlich haben wir da sogar noch mehr diskutiert.

Reck: Wir haben aber dann später nicht alles über den Haufen geworfen. Das wäre auch nicht gut für die Mannschaft gewesen.

Büskens: Als Assistent ist man auch eingebunden. Natürlich gibt es auch Trainer, die einfach sagen: So wird’s gemacht. In unserer Zeit hier haben wir das aber so nicht kennen gelernt. Man wurde immer gefragt.

Gab es einen Punkt, an dem Sie in dieser Saison mal so richtig gestritten haben?

Büskens: Ich kann mich nicht erinnern, dass wir mal die Boxhandschuhe rausholen mussten. Wir kennen uns ja auch schon seit ein paar Tagen.

Also es ist wichtig, dass Sie schon zusammen Fußball gespielt haben?

Büskens: Das ist eigentlich sekundär. Wichtig ist zu wissen, wie der andere tickt.

Wenn bis jetzt alles eher demokratisch lief, steht ja jetzt ein Umschwung bevor. Felix Magath wird immer als Alleinherrscher geschildert. Machen Sie sich keine Sorgen, wenn Sie lesen, wie Magath jetzt im „Stern“ sinngemäß zitiert wird, dass Schalke schlecht geführt sei und er vieles ändern wolle?

Büskens: Ich kam noch nicht dazu, das zu lesen.

Mulder: Ich auch nicht.

Reck: Ich auch nicht.

Planen Sie denn nicht schon gemeinsam für die neue Saison?

Mulder: Natürlich planen wir schon. Aber Felix Magath hat ja mit Wolfsburg noch was vor in dieser Saison.

Büskens: Wir bereiten für den 1. Juli vor, was wir können. Trainingslager, Freundschaftsspiele. Wir wollen ein bestelltes Feld hinterlassen.

Wieso hinterlassen? Es heißt doch, Sie bleiben alle dabei.

Büskens: Wir wissen aber noch nicht, in welcher Funktion.

Juckt es Ihnen nicht in den Fingern, jetzt mal allein irgendwo die Verantwortung zu haben?

Büskens: Ich denke, dass wir alle von Felix Magath viel lernen können. Aber wann hört das Lernen auf? Es hört ja auch nicht auf, wenn man irgendwann Cheftrainer ist. Wir drei sind am Anfang unserer Trainerkarriere. Bei uns liegt das Hauptaugenmerk noch auf dem Lernen.

Der „Kicker“ schreibt, Sie seien jetzt bewusst schon auf Magaths Spielsystem eingeschwenkt, 4-4-2 statt 4-3-3.

Mulder: Wir haben zwischenzeitlich auch schon mal 4-4-2 gespielt. Aber das hat niemand gemerkt.

Büskens: Erst hat jeder Journalist geschrieben: Das 4-3-3 muss weg. Das bringt keinen Erfolg. Und jetzt sagt man: Wir spielen 4-4-2 wegen Felix Magath. In Wirklichkeit haben wir für uns gesagt: Wir wollen in der Endphase einen neuen Impuls geben an die Mannschaft. Deswegen haben wir uns dazu entschieden.

Für scheidende Amtsträger in der Politik gibt es den Begriff der „lahmen Ente“. Kriegt man das aus den Köpfen der Spieler raus, dass ihre Trainer jetzt „lahme Enten“ sind?

Reck:. Natürlich reden die Spieler über das, was kommt, was sich ändert. So was spielt im Unterbewusstsein immer eine Rolle.

Büskens: Für uns geht es jetzt darum, den Fokus auf die noch laufende Saison zu ziehen. Das ist nicht einfach, aber so ist die Situation.

Sind Sie persönlich froh, bald Urlaub zu machen und erst einmal nichts mehr mit einander zu tun zu haben?

Reck: Wir können uns ja verabreden und dann noch zusammen zur U-21-EM fahren. Nein, natürlich freut sich jeder von uns darauf, mit der Familie in Urlaub zu machen. Aber jetzt liegt der Fokus auf dem Verein. Wir wollen uns professionell verabschieden. Das werden wir auch tun. Auch am Samstag in Berlin.

Das Gespräch führte Markus Hesselmann.

 

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