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Eigengewächs. Thomas Tuchel betreute die A-Junioren des FSV Mainz 05, bevor er zum Cheftrainer der Bundesligamannschaft befördert wurde.

© dapd

Bundesliga: Das Prinzip Tuchel

Neue Bundesligatrainer stammen vermehrt aus den eigenen Jugendabteilungen der Klubs. Ein Trend?

Lorenz-Günther Köstner ist ein spezieller Fall. Er ist – einerseits – ein Profiteur des neusten Trends im deutschen Fußball. Andererseits ist er genau diesem Trend am Ende wieder zum Opfer gefallen. Der Trend hat Köstner im Herbst beim VfL Wolfsburg vom Amateurtrainer zum Chefcoach bei den Profis befördert, und der Trend hat ihm diesen Job wieder genommen. Die Bundesliga macht das im Moment ganz gerne: bei einer Vakanz auf dem Trainerposten erst mal im eigenen Haus zu suchen, anstatt sich bei den üblichen Verdächtigen zu bedienen. Im Nachwuchs finden sich spannende Begabungen. Trainer, die den Fußball nicht nur theoretisch durchdrungen haben, sondern ihr Wissen auch zu vermitteln verstehen; die mit der jungen Generation glänzend zurechtkommen, weil sie selbst noch ziemlich jung sind. Das war ein bisschen das Problem von Lorenz-Günther Köstner. Ende dieses Monats wird er 61.

Jung und aufgeschlossen, smart und selbstbewusst, kompetent und kommunikativ – die Bundesliga hat ihr Anforderungsprofil für den Trainerjob schleichend modifiziert. Erfahrung zählt inzwischen weniger als jugendlicher Eifer. Das Prinzip Tuchel ist derzeit schwer in Mode. Vor dreieinhalb Jahren wurde Thomas Tuchel bei Mainz 05 unmittelbar vor Saisonbeginn vom A-Jugend- zum Cheftrainer befördert. Was damals als Wagnis galt, ist fast schon Normalität geworden. Von den sechs Trainerstellen, die die Bundesliga in der Hinrunde neu zu besetzen hatte, wurden vier an Bewerber aus dem eigenen Nachwuchs vergeben: an Köstner, an Frank Kramer (Hoffenheim), Jens Keller (Schalke) und Michael Wiesinger (Nürnberg). Und das muss nicht das Ende sein. „Ich kenne einige A-Jugend-Trainer, die das Zeug für ganz oben haben“, sagt Frank Wormuth, der Trainerausbilder des Deutschen Fußball-Bundes.

Am Anfang seiner Zeit als Cheftrainer hat Tuchel mal erzählt, dass er und seine Kollegen aus den Jugend-Leistungszentren bei ihren Trainertagungen oft diskutiert hätten, wie sie wohl an Jobs in der Bundesliga kämen, ohne 70 Länderspiele bestritten zu haben. Inzwischen scheint das kein Problem mehr zu sein. Im Profifußball arbeiten etliche Trainer, die ihre Erfahrungen ausschließlich im Nachwuchsbereich gesammelt haben: Christian Streich (Freiburg), Sascha Lewandowski (Leverkusen), Stephan Schmidt (Paderborn), Alexander Schmidt (1860 München), Christian Benbennek (Babelsberg), Markus Kauczinski (Karlsruhe) und Claus Schromm (Unterhaching).

Auf den Trend zu Jugendspielern folgt der Trend zu Jugendtrainern

Seit einigen Jahren erlebt die Bundesliga einen permanenten Zufluss junger und gut ausgebildeter Spieler aus den Nachwuchsakademien. Jetzt rücken offensichtlich auch die Trainer nach, die an dieser Entwicklung in hohem Maße beteiligt sind. „Es ist ja naheliegend, dass man aus dem Stall, aus dem die Spieler kommen, auch die Trainer holt“, sagt Wormuth. Trotzdem ist er vorsichtig damit, vorschnell einen Trend auszurufen, „vielleicht ist das auch nur eine Phase, die wir gerade erleben“, sagt er. „Aber die Vereine schauen inzwischen noch mehr darauf: Wofür stehen wir eigentlich?“ Anstatt mit jedem Trainerwechsel die Spielphilosophie komplett über den Haufen zu werfen, haben sie in ihren Nachwuchsabteilungen eine strategische Trainerreserve für den Ernstfall gebildet. „Dass viele Vereine einen Plan B verfolgen und Trainer im Nachwuchs aufbauen, die dann auch einmal für die Profis infrage kommen, das ist ganz sicher ein Trend“, sagt Wormuth.

Früher war es oft so, dass ein neuer Trainer vor allem das genaue Gegenteil seines Vorgängers sein musste. Auf einen ruhigen erfahrenen Trainer folgte ein junger dynamischer, auf einen autoritären Knochen ein Kumpeltyp, auf einen Offensivfanatiker ein Defensivfetischist. Inzwischen wird in den Klubs deutlich mehr Wert auf Kontinuität gelegt.

Klaus Brüggemann, Manager des Drittligisten SV Babelsberg, hat vor der Saison ganz bewusst einen Trainer aus dem Nachwuchs gesucht. Am Ende ist er auf Christian Benbennek, 40, gestoßen, der 2008 mit Wolfsburg das Finale um die deutsche A-Jugend-Meisterschaft erreicht hat und zuletzt die U 23 von Eintracht Braunschweig trainierte. Anfangs musste Benbennek gegen eine gewisse Skepsis ankämpfen – „weil er ein No-Name war“, wie Brüggemann sagt. Aber das interessierte ihn nicht. „Der Fußball hat sich komplett verändert“, sagt Brüggemann. Also suchte er jemanden, der mit diesen Veränderungen groß geworden ist.

Die Spieler in der Bundesliga werden immer jünger – und mit ihnen die Trainer. Michael Wiesinger, 40, in Nürnberg von der U 23 zu den Profis aufgestiegen, hat trotz seiner Beförderung kein Problem damit, sich von seinen neuen Spielern duzen zu lassen. Doch noch wichtiger als die altersspezifische Ansprache ist die Trainingsarbeit an sich. Früher endete die Lehrzeit für Fußballer in der Regel beim Übergang von der Jugend zu den Profis, inzwischen geht die Tendenz zum lebenslangen Lernen. Die Trainer aus den zertifizierten Nachwuchsakademien bringen einen neuen Akzent in die Trainingsarbeit. Jens Keller, 42, der vor seiner Anstellung zum Chefcoach die U 17 des FC Schalke trainiert hat, sagt ausdrücklich, er wolle „den Jungs einen Plan mitgeben, damit wir wissen, warum wir gewinnen“.

Nicht nur gewinnen, sondern auch wissen, warum: Vermittlungskompetenz schlägt sportliche Verdienste. In der eher traditionellen Fußballerbranche stehen Trainer wie Streich, Tuchel oder Lewandowski, die als Spieler kaum aufgefallen sind, dafür ein abgeschlossenes Hochschulstudium vorweisen können, tendenziell unter Intellektuellenverdacht – was nicht unbedingt als Kompliment gemeint ist. Was in Mainz oder Freiburg funktioniert, muss daher nicht zwingend auch in Stuttgart oder Schalke klappen. „Einer gestandenen Mannschaft einen Ausbildungstrainer vorzusetzen – das ist auch schon schiefgegangen“, sagt Chefausbilder Wormuth. „Weil gestandene Spieler nicht mehr ausgebildet werden wollen.“

In Leverkusen ist Robin Dutt in der vorigen Saison wohl auch an dieser Haltung gescheitert; trotzdem hat der Klub seine Linie nicht komplett aufgegeben. Mit dem studierten Pädagogen und bisherigen A-Jugend-Trainer Sascha Lewandowski, 41, gibt es weiterhin einen Theoretiker an der Seitenlinie. Unterstützt wird er von Sami Hyypiä, einem ausgewiesenen Praktiker, dessen Autorität vor allem aus den Füßen kommt. Hyypiä hat mit dem FC Liverpool die Champions League gewonnen, Lewandowski ist mit dem VfR Sölde nicht über die Oberliga hinausgekommen. In Leverkusen hat gewissermaßen das Beste aus zwei fremden Welten zusammengefunden.

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