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Bundesliga: In aller Ruhe

Stefan Markolf von Mainz 05 spielt als erster Gehörloser im deutschen Profifußball.

In einem harten Zweikampf während des Testspiels des Zweitligaklubs Mainz 05 gegen Eintracht Northeim knallen die Köpfe zweier Spieler heftig aneinander. Der Mainzer Stefan Markolf bleibt benommen liegen. Bemerkenswerter als die Bemühungen des Physiotherapeuten um die Verfassung des Spielers ist das Verhalten des Mannschaftskameraden Milorad Pekovic. Der Serbe sucht den Rasen nach einem Hörgerät ab, das Markolf bei dem Zweikampf verloren hat. „Da wären vielleicht 1500 Euro flöten gegangen, wenn Pekovic nicht gesehen hätte, dass das Ding rausgefallen ist“, sagt Markolf später lachend.

Der 22 Jahre alte Profi ist auf zwei solche speziell für den Sport ausgelegte Geräte angewiesen, weil er von Geburt an taub ist. Selbst mit den Hörhilfen nimmt er die Geräusche seiner Umwelt nur bedingt wahr. Markolf ist mit seiner Nominierung für den Mainzer Profikader der erste Spieler in Deutschland, der mit einer solchen Beeinträchtigung den Sprung in den bezahlten Fußball geschafft hat. „Ich bin schon stolz darauf, dass ich das erreicht habe“, sagt Markolf. Jetzt will er den nächsten Schritt schaffen: Stammspieler werden.

Dem Defensivspieler kommt dabei zugute, dass er trotz seiner Behinderung anders als die meisten Gehörlosen über einen intakten Gleichgewichtssinn verfügt. Im Verhalten auf dem Platz sieht man dem linken Verteidiger seine Beeinträchtigung dennoch an – im positiven Sinn: Markolf blickt sich deutlich mehr um als anderen Spieler, er sucht öfter den Augenkontakt zu Mitspielern und stimmt mit Gestiken das Verhalten im Abwehrspiel ab. Manchmal überhört der Mainzer einen Schiedsrichterpfiff und spielt unbeirrt weiter. Sanktionen unterbleiben aber, weil sein Klub vor dem Spiel den Schiedsrichter in Kenntnis setzt. Vor allem aber fällt der Jungprofi dadurch auf, dass er während eines Spiels in sich zu ruhen scheint, selbst wenn es mal etwas hektisch zugeht auf dem Platz. „Ich habe gegenüber anderen Spielern den Vorteil, dass ich die ganzen Rufe von Mitspielern und von der Seitenlinie nicht höre“, sagt Markolf. „Da rufen ja teilweise drei auf einmal, weil sie alle denken, dass sie am besten positioniert sind.“ Markolf sucht sich dann in aller Ruhe die seiner Meinung nach beste Anspielstation aus. „Stefan hat tatsächlich eine sehr gute Spielübersicht , weil er darauf mehr angewiesen ist als andere Spieler”, sagt sein Trainer Jürgen Klopp.

Diese Qualität könnte dem im hessischen Witzenhausen geborenen Fußballer helfen, in den kommenden Wochen seinen Traum von der Profikarriere mit den ersten Einsätzen im Zweitligateam des FSV Mainz 05 vollends zu verwirklichen. Für den Sprung in die Nationalmannschaft der Gehörlosen braucht Markolf diesen Status nicht unbedingt. Im Nationalteam ist er nämlich gesetzt. Das hat Frank Zürn, der Bundestrainer der Gehörlosen-Auswahl, dem möglichen Debütanten für eine Teilnahme an der WM 2008 zugesichert. „Wenn ich das terminlich schaffe, werde ich da auf jeden Fall mal mitspielen“, sagt Markolf. Außerdem hofft er, mit seinem Weg in den Profifußball seinen Nationalmannschaftskollegen und anderen Gehörlosen vermitteln zu können, dass vieles machbar ist, was erst einmal unmöglich erscheint.

Seinen eigenen Weg in den Profisport führt der Linksfuß auf sein heimisches Umfeld zurück. Sein Vater ist Pädagoge und hat den Sohn schon früh besonders gefördert. Nach dem Besuch einer Kindergartengruppe für Hörbehinderte, wo er mit Hilfe von Logopäden seine nahezu einwandfreie Aussprache erlernt hat, besuchte er nur noch normale Schulen. „Meines Erachtens gebühren der Familie die Lorbeeren für Stefans tolle Entwicklung”, sagt Klopp. „Sie sind offenbar immer ganz normal mit ihm umgegangen und haben ihm immer alles zugetraut trotz der Behinderung.“ Markolf selbst bestätigt das und führt einen weiteren familiären Grund für seine gute Entwicklung an. Er hatte zwei ältere Brüder, denen das Nesthäkchen nacheifern konnte. „Wäre ich ein Einzelkind oder das älteste Kind, wäre meine Entwicklung sicher viel schwieriger geworden. So habe ich gelernt, mich durchzusetzen.“

Eine ähnliche Strategie will er nun auch auf dem Weg vom Ergänzungsspieler zum Stammspieler anwenden. „Ich schaue mir bei den erfahrenen Kollegen soviel ab wie nur möglich.“ Außerdem klebt Markolf seinem Trainer an den Lippen – nicht aus übertriebener und kritikloser Hörigkeit gegenüber Jürgen Klopp. Nur durch diesen Blick auf den Mund des 40 Jahre alten Fußballlehrers bekommt Markolf genau mit, was sein Vorgesetzter fordert.

Daniel Meuren[Mainz]

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