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Lieber Darmstadt als Berlin. Hipster-Ikone Marco Sailer hat mit den Lilien viel vor in dieser Saison.

© Imago/Huebner

Bundesliga-Saisonvorschau (1): Darmstadt 98: Denn sie wissen, was sie tun

Am 14. August startet die Fußball-Bundesliga in ihre 53. Saison. Wir testen Stärken, Schwächen und Vorlieben der 18 Vereine. Folge 1: Darmstadt 98.

Was hat sich verbessert?

Das Gesamtniveau der Bundesliga eher nicht. Nach Fürth, Braunschweig und Paderborn hat sich der nächste krasseste Außenseiter aller Zeiten eingeschlichen: der SV Darmstadt 98. Von den Spaßbeiträgen zur Bundesliga war zuletzt nur Augsburg ernst zu nehmen. Doch Darmstadt ist keine Geschichte fürs Zwerchfell, sondern fürs Herz. 2013 blieb der Abstieg in die Vierte Liga nur erspart, weil Rivale Offenbach die Lizenz verlor. Seitdem haben die Hessen das Saisonziel Klassenerhalt zweimal erfreulicherweise verfehlt, und das ohne angeschlossenes Werk, ohne Mäzen und überhaupt ohne Geld. Eine Wohltat für wolfsburg- und leipziggeplagte Nostalgiker, wie das Stadion am Böllenfalltor, dem man noch ansieht, dass es teils aus Kriegsschutt errichtet wurde. „Auferstanden in Ruinen“, titelte 11 Freunde treffend.

Wer sind die Stars?

Arjen Robben oder Marco Reus. Aber die werden sich kaum wohlfühlen in der Darmstädter Gästekabine, die manchem Dorfverein peinlich wäre. „Die Gegner sollen sich ruhig ekeln“, kündigt Marco Sailer Schimmelbefall an. Der Stürmer mit dem Taliban-Bart taugt zur Hipster-Ikone in Berlin-Mitte, aber so wenig zum Star wie der Rest des Kaders, der sich aus den Verstoßenen des Profibetriebs rekrutiert. Leistungsträger kamen bisher stets ablösefrei von Klubs wie SC Rheindorf Altach (Abwehrchef Aytac Sulu), Alemannia Aachen (Flügelstürmer Marcel Heller), dem FSV Mainz 05 II (Torwart Christian Mathenia) und SV Wehen-Wiesbaden (Stürmer Dominik Stroh-Engel). Es ist zwar nicht so schlimm wie 1979 und 1982, als die Darmstädter mit Feierabendfußballern sofort aus der Bundesliga abstiegen. Die Suche nach erstligatauglichen Neuzugängen zieht sich aber. Viele Kandidaten sagten ab, nachdem sie einmal über das Trainingsgelände geführt worden waren. Mario Vrancic (Paderborn), Fabian Holland (Hertha), Luca Caldirola (Bremen), Konstantin Rausch (Stuttgart) und Jan Rosenthal (Frankfurt) blieben trotzdem. Stars müssen aber trotzdem die Gäste mitbringen. Immerhin: „Für Pep wischen wir einmal durch“, stellt Darmstadts Vizepräsident dem Bayern-Trainer in Aussicht.

Wer hat das Sagen?

Dirk Schuster, muss man leider sagen, für die eigenen wie die gegnerischen Spieler. „Fußball tut weh“, lautet ein Motto des Trainers. Mit dieser Mentalität hatte sich der Verteidiger einst zum Auswahlspieler in DDR und BRD gequält. Neben der Fitness sorgt der Sachse aber auch für einen einmaligen Teamgeist, mit seinem trockenen Humor und seinem Improvisationstalent. Beide Eigenschaften braucht er auch in seinem Zweitjob als Sportlicher Leiter. So spannte der 47-Jährige etwa seinen eigenen Vater und den Vater seines Co-Trainers als Scouts ein. Für solide Finanzen sorgt Präsident Rüdiger Fritsch. Der Wirtschaftsanwalt berät den Verein seit 2008, als nur Spendenaktionen den Hessenligisten vor der Insolvenz retteten. Das Geld aus der Ersten Liga wird zurückgelegt.

Was erwarten die Fans?

Dass sie nicht plötzlich aus einem Traum aufwachen und doch Viertligist sind. Mit einem Klassenerhalt im dritten Anlauf rechnen die wenigsten. Dauerhaft Profifußball wäre den Anhängern genug, aber bitte ohne Profistadion. Neubaupläne sehen sie kritisch, die flachen Betontribünen sollen für sie ebenso Weltkulturerbe werden wie die Holzsitze und der Löwenzahn dort. Nur die weiblichen Fans hoffen, dass die Dixie-Klos in ihrem Bereich durch echte Damentoiletten ersetzt werden.

Was ist diese Saison möglich?

Die Rückkehr des Kick-and Rush-Fußballs in die Bundesliga. Mit langen Bällen und harten Ellbogen feierte Darmstadt seine größten Erfolge, die Defensive war die beste der Zweiten Liga. „Wenn wir versuchen, von hinten heraus Kombinationsfußball zu spielen, werden wir das neue Tasmania Berlin“, sagt Stürmer Stroh-Engel. „Wir wissen, was wir können.“ Und was nicht, Fußballspielen hauptsächlich. Lassen sich die Gegner vom Achtzigerjahrestil der Hessen überraschen, kann Darmstadt es schaffen, wie Paderborn in der vergangenen Saison, erst am letzten Spieltag abzusteigen.

Und sonst?

Achtzigerjahrestil pflegen die Darmstädter auch musikalisch. Der Schlagerbarde Alberto Colucci sang 1987 mit den Spielern Bruno Labbadia, Bernhard Trares und Rafael Sanchez den Song „Die Sonne scheint“ neu ein. Mittlerweile ist das Lied ein Hit, vor allem weil der Spitzname der Darmstädter, Lilien, darin etwa einhundert Mal gesungen wird. Mit dieser Penetranz könnte es der Aufsteiger schaffen, die Pfadfinderschaft als bekanntestes Lilienlogo Deutschlands abzulösen. Gut Pfad in der Ersten Liga, Darmstadt!

Morgen Folge 2: FC Ingolstadt 04

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