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Herzlichen Glückwunsch, Bundesliga!

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Bundesligaspieler 001 Harry Bähre im Interview: "Ich habe Angst, dass Schmierlappen an Einfluss gewinnen"

Harry Bähre ist offiziell der erste Spieler der Fußball-Bundesliga. Im Interview zum 50. Liga-Geburtstag blickt der Hamburger mit dem Spielerpass 001 zurück auf andere Zeiten.

Von Benjamin Apitius

Harry Bähre, wenn der Hamburger SV im Volksmund ein Dino ist, was sind dann eigentlich Sie?

Na, ich gehöre wohl auch zu dieser Spezies. Und darauf bin ich sehr stolz.

Warum spielt eigentlich der HSV als einziger Verein seit der Gründung der Bundesliga ununterbrochen erstklassig?

Das muss das Hanseatentum sein, Kaufmannsdenke. Der Verein wurde ja vor allem in den Anfangsjahren sehr beständig und seriös geführt. Das änderte sich grundlegend erst unter Bernd Hoffmann (von 2003 bis 2011 HSV-Präsident, Anm. d. R.). Das ist für mich der Totengräber dieses Vereins. Der jetzige Vorstand kann nichts für die 40 Millionen Schulden, die Hoffmann hinterlassen hat, und den derzeitigen Kader. Der Hamburger SV befindet sich in der größten Krise aller Zeiten.

Was würde es bedeuten, wenn mit dem HSV nun auch das letzte Gründungsmitglied der Liga erstmals absteigen würde?

Ich bin nach wie vor ein Insider beim HSV. Und ich sehe, wie die ganze Struktur des Klubs kaputt ist. Vielleicht wäre es also gar nicht so schlecht, wenn wir einmal absteigen würden – um uns dann ganz neu zu sortieren. Es gibt zu viele Gruppierungen innerhalb des Vereins, das ist wohl das größte Problem.

Die Bundesliga feiert am morgigen Samstag ihren 50. Geburtstag. Würden Sie ihr am liebsten die Hand schütteln und sagen „Bleib wie du bist“?

Die Bundesliga ist in den letzten Jahren zu einem riesigen Wirtschaftsunternehmen herangewachsen, da werden Milliarden umgesetzt. Und jetzt kommen natürlich all die Leute wie die Motten zum Licht. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel. Bei der „Sportbild“-Gala am vergangenen Montag in Hamburg waren 70 Prozent der Gäste Vermarkter, Vermittler oder irgendwelche Berater. Es gibt in Deutschland zurzeit wohl keinen anderen Markt, wo für solche Typen so viel Geld zu holen ist. Der Fußball boomt. Und davor habe ich, ehrlich gesagt, große Angst: Dass solche Schmierlappen mit gegelten Haaren und Gucci-Koffern immer mehr an Einfluss gewinnen.

Das war zu Ihrer Zeit sicher ganz anders.

Berater gab es ja damals noch gar nicht. Da hieß es im Essensraum kurz: „Harry, komm doch mal mal eben rüber.“ Und dann wurde gefragt: „Wir machen noch mal zwei Jahre, oder?“ Dann gab es noch 5000 Mark als Sonderzahlung und: „Schick mal den Hans rüber.“ Fertig. War eine schöne Zeit!

Herr Bähre, erinnern Sie sich noch an die Geburtsstunde der Bundesliga?

Der Marschierer vorweg war Franz Kremer, der Präsident des 1. FC Köln. Der wollte die Bundesliga unbedingt haben. Für uns war das ja gar nicht so gut.

Wie meinen Sie das?

Sehen Sie, wir sind bis dahin in der Oberliga fast immer Nord-Meister geworden, so nach dem Motto: Gegen wen spielen wir eigentlich heute? Wir waren alle in Jobs oder Studenten – und eigentlich nicht bereit, Profis zu werden. Fußball war bis dahin unser Hobby gewesen. Und das änderte sich dann schon beim Training. Es fing an mit dreimal die Woche trainieren, dann viermal, fünfmal – und plötzlich hingst du da drin und kamst nicht mehr raus. Begeistert waren wir Spieler darüber nicht.

Aber wie war das für Sie, plötzlich Teil einer Bundesliga-Mannschaft zu sein? Fühlten Sie sich wie der König von Deutschland oder immer noch wie Harry aus Hamburg?

Wie Harry aus Hamburg, der ziemlich überrascht war, dass er da mitspielen durfte. Ich war darauf sehr stolz.

Sie sind laut DFB-Unterlagen offiziell der erste Bundesliga-Spieler. Wie kam es dazu?

Der Hamburger SV war der erste Klub, der eine Lizenz für die Bundesliga beantragte. Und da kein Spieler von uns einen Nachnamen mit dem Anfangsbuchstaben „A“ hatte, erhielt ich vom DFB den Spielerpass 001. Einige Kollegen wurmte das natürlich mächtig!

Tatsächlich?

Uwe Seeler konnte ich damit aufziehen, weil ich endlich mal vor ihm stand. Und Charly Dörfel flachste: „Du bist zwar 001, doch ich bin 007.“ Was gar nicht stimmte, wie ich später herausfand. Charly bekam nach Fritz Boyens und seinem Bruder Bernd die Nummer 004.

"Sie müssen ja mal schauen, wer von unserer Truppe überhaupt noch lebt."

Erinnern Sie sich denn noch gut an den 24. August vor 50 Jahren?

Der allererste Bundesliga-Spieltag, natürlich. Wir spielten auswärts bei Preußen Münster – aber bei dieser Begegnung kam ich leider nicht zum Einsatz. Es gab damals ja noch keine Auswechselspieler. Die elf Spieler, die aufliefen, mussten draufbleiben bis zum Ende. Und wenn jemand nicht mehr konnte, spielte man halt mit einem weniger. Wenn einer Mannschaft weniger Spieler als acht zur Verfügung standen, wurde das Spiel abgebrochen.

Harry Bähre, 72, bestritt für den HSV 32 Oberliga- und 78 Bundesligaspiele. Nach seiner Karriere war er ehrenamtlich unter anderem als Co-Trainer und im Vorstand tätig.
Harry Bähre, 72, bestritt für den HSV 32 Oberliga- und 78 Bundesligaspiele. Nach seiner Karriere war er ehrenamtlich unter anderem als Co-Trainer und im Vorstand tätig.

© Mirko Hannemann

Sind Sie denn mitgereist nach Münster?

Ja, natürlich. Das Stadion befand sich mitten im Umbau, und wir Spieler, die zusätzlich mitdurften, standen ganz oben auf einem Schutthaufen und schauten uns das Spiel an.

Herr Bähre, lassen Sie uns noch einmal diesen Schutthaufen betreten und eine kleine Zeitreise wagen. Erinnern Sie sich noch, wie viele Kameras es im Stadion gegeben hat und in wie viele Länder das Spiel gegen Münster live übertragen wurde?

(Lacht) Eine Kamera hat es tatsächlich gegeben, schwarz-weiß. Aber mal im Ernst. In derselben Saison mussten wir im Europapokal gegen den FC Barcelona ran. Und nach zwei Unentschieden folgte ein Entscheidungsspiel in Lausanne. Und dieses Spiel wurde im dritten Programm live übertragen – aber jeweils nur die letzte Viertelstunde der ersten und zweiten Halbzeit. Das müssen Sie sich einmal vorstellen. So ein Spiel würden heute zehn Millionen Menschen gucken.

Von welcher Firma wurden in Münster die Eckstöße präsentiert?

Ach, von gar keiner. Da wurde kurz die Aufstellung durchgegeben und Schluss.

Hatten die Ultras denn damals schon Pyrotechnik?

Ultras? Es gab früher keine Probleme oder Randale beim Fußball. Und das ohne Absperrungen. Als Spieler mussten wir uns noch durch die Zuschauer arbeiten, um auf das Spielfeld zu gelangen. Im Europapokal in Lyon musste ich mich sogar einmal zum Pinkeln anstellen, in einer Reihe mit den Zuschauern.

Wie viele HSV-Fans waren denn nach Münster gereist?

Die konnten wir fast alle per Handschlag begrüßen. 500 waren es vielleicht, wenn überhaupt.

Forderte denn die „Bild“-Zeitung zu Wochenbeginn die Entlassung von Trainer Martin Wilke, nach dem mageren 1:1 gegen den späteren Absteiger Münster?

Nein, dieses Reißerische gab es noch nicht. Da interessierte noch, ob sich der Harry Bähre den Fuß verknackst hatte – und nicht, mit wem Sylvie van der Vaart essen geht. Fußball war damals noch die schönste Nebensache der Welt.

Heutzutage hätte es den Harry Bähre dann wohl mindestens als Figur in einem Playstation-Spiel gegeben.

Ja, selbstverständlich (lacht).

Wie müsste man denn einen solchen digitalen Bähre konzipieren?

Ich war ja früher immer leicht o-beinig. Die roten Haare noch dazu – das könnte man also gut darstellen (lacht).

Gibt es zum morgigen Jubiläum ein Wiedersehen mit der Mannschaft von damals?

Sie müssen ja mal schauen, wer von unserer Truppe überhaupt noch lebt. Unseren Torwart Horst Schnoor sehe ich immer noch bei jedem Heimspiel. Unser rechter Verteidiger Erwin Piechowiak ist gesundheitlich schwer angeschlagen. Der linke Verteidiger Jürgen Kurbjuhn ebenso. Unser letzter Mann Jochen Meinke lebt noch. Links, Jürgen Werner: tot. Dieter Seeler, rechts: tot. Fritz Boyens, Rechtsaußen: lebt. Horst Dehn: tot. Uwe lebt, Dörfel lebt, ich lebe. So sieht das leider aus.

Herr Bähre, die Bundesliga und ihre Protagonisten scheinen sich verwandelt zu haben. Glauben Sie denn, die Liga steckt nach 50 Jahren nun in der Pubertät oder ist bereits erwachsen?

Ich denke, der Boom ist noch nicht ganz zu Ende. Die 70 Prozent Gegelten von der „Sportbild“-Gala drängen ja nicht auf einen Markt, der sinkend ist. Aber es bleibt für alle Beteiligten ein Drahtseilakt. Die Gefahr der Überschuldung der Vereine auch in Deutschland wird immer größer. Siehe Hamburger SV.

Playstation, Gucci-Koffer, Sylvie van der Vaart – ist Fußball heute noch das Spiel, das Sie früher gespielt haben?

Das Einzige, das mich noch an früher erinnert, sind die Bockwurst und ein symbolisches Gläschen Bier, das ich mit Uwe Seeler bei jedem Heimspiel trinke.

Das Gespräch führte Benjamin Apitius.

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