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Silvia Neid, 47, ist seit sechs Jahren Bundestrainerin. Unter ihrer Leitung gewannen die deutschen Frauen 2007 die Welt- und 2009 die Europameisterschaft. In ihrer aktiven Laufbahn absolvierte sie bis 1996 111 Länderspiele, in denen sie 48 Tore schoss.

© dpa

Bundestrainerin Neid: "Oft denke ich wie Felix Magath"

Bundestrainerin Silvia Neid spricht einen Monat vor Beginn der Frauenfußball-WM über Professionalität und Nachhaltigkeit, Parallelen zu Joachim Löw und ihr Faible für Felix Magath.

Frau Neid, sind Sie schon vorbereitet auf all die dummen Fragen, die in den kommenden Wochen zum Frauenfußball hören müssen?

Glauben Sie, dass die dümmer werden als die im vergangenen Jahr?

Wahrscheinlich kommen viele Menschen in diesem Sommer mit der WM in Deutschland zum ersten Mal mit Frauenfußball in Berührung.

Das stimmt, aber ich gehe da von Professionalität aus: dass die sich vorher einlesen und wir nicht mehr darüber reden müssen, was vor dreißig Jahren war.

Sie haben einmal gesagt, dass es Sie besonders nervt, wenn Männer dumme Fragen über Frauenfußball stellen.

Kann sein. Aber ob Mann oder Frau, das ist eigentlich egal. Mir fällt auch gar keine dumme Frage ein….doch, zum Beispiel: Spielen die Frauen auch zweimal 45 Minuten? Das wäre eine saudumme Frage. Das muss jetzt wirklich jeder wissen. Aber ich habe mich auch daran gewöhnt, dass alle immer dieselben Fragen stellen.

Nämlich?

Ist die WM in Deutschland Lust oder Last? Wie gehen Sie mit dem Druck um? Was wäre denn, wenn man nicht gewinnt?

Was würden Sie denn gern gefragt werden?

Ich mag natürlich eher Fragen, die ins Taktische gehen. Eine Viererkette, wie soll die Ihrer Meinung nach agieren? Soll die ganz durchschieben oder soll die Überzahl in der Mitte schaffen? Aber das interessiert doch Ihre Leser nicht, oder?

Man kann nie wissen. Aber wenn wir schon dabei sind: Erklären Sie doch unseren Lesern mal, warum das 4-2-3-1-System, mit dem die Männer in Südafrika erfolgreich waren, von Ihnen und der früheren Nationaltrainerin Tina Theune-Meyer schon 2001 erfunden wurde.

Erfunden haben wir es, glaube ich, nicht, aber wir spielen es schon sehr, sehr lange. Ich kann Ihnen genau sagen, wie es zustande kam. 1996 hat Tina die Nationalmannschaft übernommen, und ich wurde Co-Trainerin. Kurz darauf haben wir uns überlegt, wie wir ballorientierter arbeiten können, wir haben damals noch mit Libero gespielt, wie das eben früher war. Da haben wir die Viererkette mit Raute eingeführt, also mit nur einer Spielerin davor. Im Laufe der Zeit haben wir dann festgestellt, dass für eine Spielerin allein der Weg zu weit ist, weil sie es nicht immer schnell genug auf die andere Seite schaffen kann. Also haben wir noch eine hingestellt. So wurde daraus 4-2. Das 3-1 war dann einfach. Entweder man hat eine Stoßstürmerin und eine Zehn oder man hat zwei parallel vorne. Das ist auch immer ein bisschen typabhängig.

Haben die Spielerinnen es gleich umsetzen können?

Nein, es hat lange gedauert. In der Sportschule Ruit in Württemberg haben wir es tagelang einstudiert. Wir haben dann gegen England gespielt und 6:4 gewonnen, es ist also noch nicht so gut gelaufen. Nach und nach wurde es besser. Ich finde, es ist ein gutes System, weil man darin variabel agieren und verschiedene Spielertypen einsetzen kann.

In einem Monat beginnt die WM in Deutschland. Werden Sie da auch mit dem 4-2-3-1-System spielen?

Es wäre gewiss eine große Überraschung für die Konkurrenz, wenn wir kurzfristig unser System ändern würden. Aber das würde überhaupt keinen Sinn machen. Wir sind absolut überzeugt von diesem System, es passt einfach zu uns und unseren Spielerinnen.

Und wann hat Joachim Löw bei Ihnen angerufen, um das System zu kopieren?

Gar nicht. Das hat er nicht nötig. Er ist ein absoluter Fachmann, ich bin ein großer Fan von ihm.

Tauschen Sie sich gelegentlich aus?

Es gibt keine Regelmäßigkeit, keine verabredeten Treffen. Wenn wir uns über den Weg laufen, fragt man schon mal, wie macht ihr dies, wie trainiert ihr jenes. Alles völlig zwanglos.

Er ist eher ein ruhiger, sachlicher Typ, ganz anders als zum Beispiel Felix Magath. Über den haben Sie mal gesagt, dass seine Aussagen Ihnen gefallen. Was denn zum Beispiel?

Es gibt jetzt keine Zitate, die ich wortgetreu wiedergeben könnte. Es ist eher ein allgemeiner Eindruck. Wenn ich ein Interview von Felix Magath höre, nicke ich häufig innerlich und denke: Da hat er Recht, so sehe ich das auch.

Sind Sie denn auch so streng wie Magath?

Streng, das hat so etwas Böses, das will ich nicht sein. Als Trainerin ist es mein Ziel, die Spielerinnen und die Mannschaft zu stärken, sie weiterzuentwickeln, ihnen zu helfen. Da sehe ich es als meine Pflicht an, den Spielerinnen ein Feedback zu geben. Das mache ich sehr offen, es kann schon als direkt empfunden werden, soll aber auf keinen Fall verletzend sein. Ich will die Spielerinnen ja erreichen und ihnen einen Weg zu noch besseren Leistungen zeigen. Das kann ich am besten, wenn ich sie überzeuge und nicht, wenn sie das Gefühl haben, dass ich ihnen etwas aufzwinge.

Also doch eher der Kumpeltyp?

Alles zu seiner Zeit. Ich verlange Professionalität, Disziplin und Leidenschaft im Training und im Spiel. Schließlich verrichten wir dort unsere Arbeit. Aber die soll natürlich auch Spaß machen. Das ist doch die beste Motivation. Ich lache sehr gerne. Und ich lege auch Wert darauf, dass die Spielerinnen wissen, dass sie jederzeit mit mir reden können. Wir verbringen gerade jetzt vor der WM so viel Zeit miteinander, da ist es einfach elementar, dass sie sich in der Nationalmannschaft wohl fühlen.

Haben Sie einen Vorteil als Frau? Verstehen Frauen Frauen besser?

Gibt es dazu wissenschaftliche Erkenntnisse? Ich weiß es nicht. Es ist meiner Ansicht nach kein Muss, dass die Nationalmannschaft von einer Frau trainiert wird. Ich finde, das ist eine Frage der Kompetenz und nicht des Geschlechts.

Eine Ihrer besonderen Kompetenzen soll die Videoanalyse sein. Man sagt, Sie seien regelrecht süchtig danach.

Das stimmt nicht, ich kann ganz gut ohne leben. Aber es stimmt, dass wir uns bei Turnieren intensiv mit Videoanalysen beschäftigen. Das machen wir aber nicht erst, seitdem ich Trainerin bin. Wir haben ganz einfach gute Erfahrungen gemacht. Wir analysieren unser Spiel und das des kommenden Gegners. Dabei kann man in aller Ruhe und Intensität nach Feinheiten schauen – was lief gut, was lief schlecht?

Wie gut vorbereitet kommen die Spielerinnen denn jetzt bei Ihnen an? 2007 haben Sie gesagt: „Wenn ich scharfe Pässe fordere und die spielen diese Pässe dann in ihren Klubs, können ihre Mitspielerinnen nichts damit anfangen.“ Hat sich da etwas getan in den vergangenen vier Jahren?

In den Nationalmannschaften spielen die Besten der Besten. Von daher wird da ein anderes Tempo gespielt als in den Vereinen. Das ist gar nicht abwertend gemeint. Die Bundesliga-Vereine sind ja keine Profi-Klubs. Nur wenige Spielerinnen können sich derzeit voll auf den Fußball konzentrieren. Das sind die Nationalspielerinnen. Insofern können sie ein anderes Trainingspensum absolvieren und haben einen Vorsprung vor denen, die den ganzen Tag arbeiten mussten oder in der Uni saßen, bevor sie ins Training hetzen.

Wird sich daran nach diesem Sommer grundsätzlich etwas ändern?

Natürlich wird der Frauenfußball jetzt erstmal hochgepusht, und jeder spricht davon. Bei einigen wird es sicher hängen bleiben. Und ich glaube auch, dass sich wieder mehr Mädchen in den Vereinen anmelden werden. In der Nationalmannschaft, muss ich sagen, haben wir seit vier Jahren die Stadien voll. Ich wünsche mir natürlich, dass die Bundesliga auch was davon hat.

Ist diese WM da besonders wichtig, damit die Entwicklung nicht wieder abflaut?

Das glaube ich nicht. Unabhängig davon, ob wir Weltmeister werden oder nicht, wird es eine Nachhaltigkeit geben. Ich weiß eben nur nicht, wie lange. Trotzdem: Frauenfußball ist die Sportart Nummer eins und zwar schon über Jahre hinweg. Das, was früher Tennis war mit Steffi Graf, ist jetzt im Moment Frauenfußball.

Von der WM erwarten die Leute ein zweites Sommermärchen. So richtig vorstellen kann sich aber niemand, dass der Frauenfußball so einen Hype auslösen kann. Was raten Sie einem Kneipenwirt: Public Viewing oder nicht?

Die Leute werden kommen. Vielleicht werden die Spiele am Anfang ein bisschen ignoriert beim Bier. Aber ich wette, wenn es spannend wird, dann sitzen alle davor. Auf jeden Fall muss es jede Kneipe anbieten, sonst wird sie sich ärgern!

Das Gespräch führte Anke Myrrhe.

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