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Sport: Champions League: Die späte Weihe des neuen Fußball-Tempels

Hamburgs neuer Fußball-Tempel drohte unter den Wellen der Begeisterung zu platzen. Immer wieder fielen Worte wie "Wahnsinn", "denkwürdig" und "unglaublich".

Hamburgs neuer Fußball-Tempel drohte unter den Wellen der Begeisterung zu platzen. Immer wieder fielen Worte wie "Wahnsinn", "denkwürdig" und "unglaublich". Mit dem 4:4 am Mittwochabend in seinem denkwürdigen ersten Spiel der Fußball-Champions-League gegen den Gruppenfavoriten Juventus Turin bastelte der Hamburger SV 17 Jahre nach dem Europacupgewinn an einer neuen Legende. "Wir haben heute gezeigt, dass wir nicht die Lehrlinge sind. Wir sind kurz vor dem Gesellenstück", meinte Hans-Jörg Butt, der Torhüter, der wieder einmal zugleich Torschütze war. Er verwandelte einen Elfmeter zum 3:3. "Ich kann gar nicht aufhören, mich zu freuen", sagte Marcel Ketelaer, "wir haben ein schon fast verlorenes Spiel noch herumgerissen - darauf können wir doch richtig stolz sein." Er selbst hatte mit einem Sturmlauf über die linke Seite den 2:3-Anschlusstreffer durch Mehdi Mahdavikia vorbereitet und damit den Anstoß zur Wende gegeben.

Die atemberaubende Aufholjagd vom deprimierenden 1:3 zum gefeierten 4:3 binnen 30 Minuten und schließlich das Turiner Ausgleichstor per Elfmeter zwei Minuten vor Ultimo war für 48 500 Fans im Volksparkstadion (Berti Vogts: "Das Kultstadion überhaupt") und für bis zu 9,13 Millionen Zuschauer an den Bildschirmen wie eine Achterbahnfahrt der Emotionen. "Der HSV ist wieder da", skandierten die Zuschauer und feierten die gelungene Neuauflage des Landesmeister-Endspiels von 1983. "Sensationell", sagte Teammanager Bernd Wehmeyer, "das Spiel wird in die Geschichte eingehen wie unser 1:0 damals."

In die Jubelgesänge über einen großartigen Fußballabend wollte nur einer nicht einstimmen. "Bis früh um fünf Uhr werde ich mich ärgern, ab sechs beginnt die Vorbereitung auf das nächste Bundesligaspiel gegen Dortmund", verriet Trainer Frank Pagelsdorf und deutete auf eine Videokassette in seiner Hand. "Ich bin stolz und verärgert zugleich. Zunächst ist es eine Riesenleistung, wenn man ein 1:3 gegen Juventus aufholt. Ich bin aber total verärgert darüber, dass man in einer solchen Situation solch einen dummen Elfmeter verursacht. Ich hatte auch nach dem 1:3 noch Hoffnung, denn meine Mannschaft hat sehr gut gespielt."

Der 42-Jährige, der anscheinend in jeder Minute seines Lebens Fußball arbeitet, grollte über den Blackout von Sergej Barbarez. Dessen Zupfer am Trikot des dreifachen Torschützen Filippo Inzaghi hatte zwei Minuten vor Spielende zum Elfmeter und dem 4:4-Endstand geführt. "Völlig unnötig", schimpfte Pagelsdorf, verteilte dann aber doch noch Streicheleinheiten. "Die Mannschaft hat ein Riesenspiel abgeliefert, das man so schnell nicht vergisst. Eins plus!"

Der 25-fache Italienische Meister mit seinen Topstars Zinedine Zidane, Edgar Davids und Alessandro del Piero schlich unzufrieden aus dem Stadion. "Zwei Punkte verloren, einen Punkt gewonnen", lautete das salomonische Fazit von Trainer Carlo Ancelotti. "Beim Stand von 3:1 hätten wir gewinnen müssen", ärgerte sich der 41-Jährige, dessen Team bei den wenigen Chancen aber eine frappierende Kaltschnäuzigkeit bewies. Währenddessen dozierte Mittelfeldmotor Davids vor versammelter italienischer Journaille: "Das war ein typisches Beispiel, wie man gegen die Deutschen nicht spielen darf. Wenn die einmal Blut geleckt haben, ist alles vorbei."

Mit dem Remis hat sich der HSV die ersten 300 000 Mark Erfolgsprämie aus dem prall gefüllten Uefa-Topf erarbeitet. Klubchef Werner Hackmann glaubt, dass die Kasse häufiger klingeln wird: "Ich wage die Hoffnung, dass wir sogar Zweiter in der Gruppe werden." Sein Ziel vor dem Start der europäischen Königsklasse war Platz drei, um noch zumindest eine Runde im Uefa-Cup spielen zu können. Dabei hatte Hackmann bei der zwischenzeitlichen 3:1-Führung der Italiener das Schlimmste befürchtet. "Normalerweise gibst du in dieser Situation keinen Pfifferling mehr auf eine Wende", gestand er freimütig.

Die Vorrundegruppe E ist nach Ansicht von Turins Torjäger Inzaghi eine der schwersten in der Champions League. "Jeder kann jeden schlagen", meinte der 25-fache Nationalspieler. Das sieht auch HSV-Mittelfeldregisseur Rodolfo Cardoso so, der jeglichen Respekt vor der namhaften Konkurrenz verloren hat: "Ich habe heute nichts von Juve gelernt. Die haben nur gute Einzelspieler." Vereinsvorsitzender Hackmann ist sich ziemlich sicher, dass sein HSV mit einer ebenso starken Leistung am nächsten Dienstag bei Deportivo La Coruna gewinnen kann. Das 1:1 des Spanischen Meisters bei Panathinaikos Athen passte Pagelsdorf ins Konzept: "Alle haben wieder die gleiche Ausgangsposition."

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