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Auf dem Trafalgar, dem größten öffentlichen Platz in London, ist ein kleines Kunstrasenspielfeld aufgebaut.

© dpa

Champions-League-Finale: Deutschland in London beliebt wie nie

Vor dem Champions-League-Finale in London zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern München erfreut sich Deutschland auf der Insel dieser Tage einer ungeahnten Beliebtheit: "Ihr habt alles, was wir einmal hatten!"

Noch ein letzter Schluck Bier. Was soll’s? Aus den Boxen dröhnt ein Song der Pogues. Später am Abend schießt Müller das entscheidende Tor. Im Champions-League-Finale. Die Jungs in den schwarz-gelben Hemden bekommen es nicht mit, ist zu laut im Pub, im Fernsehen wird er auch nicht gezeigt, dieser verwandelte Elfmeter kurz vor Schluss, und wenn schon: War ja nicht Thomas Müller vom Dortmunder Finalgegner FC Bayern, sondern Martina Müller vom VfL Wolfsburg im Frauen-Endspiel.

Wolfsburg und Frauen-Fußball, beides zählt nicht für die Jungs in Schwarz-Gelb. Schlimm genug, dass vorn auf der Leinwand Hoffenheim gegen Kaiserslautern führt und jetzt auch noch ein drittes Tor erzielt, darauf singen sie alle noch mal ganz laut: „Scheiß egal! Borussia Dortmund international! Europapokal! Europapokal!“

Das Zeitgeist ist ein deutscher Pub in London. Zuflucht für Fans aus Dortmund und München, die vor dem Champions-League-Finale am Samstag nicht so recht wissen, wo sie denn ihresgleichen finden in dieser riesigen und verregneten Stadt. Wehmütig mag das Publikum aus Westfalen und Bayern zurückdenken an die Halbfinalreisen ins warme Spanien, als die Puerta del Sol schwarz-gelb leuchtete und die Ramblas fest in Münchner Hand waren.

London macht es den deutschen Fußballtouristen nicht so leicht. Die Stadt ist fünfzehnmal so groß wie Barcelona. Hier können bequem drei Londoner Erstligisten zur selben Zeit spielen, ohne dass sich die Fans jeweils über den Weg laufen. Und das mit dem englischen Regen mag ein Klischee sein, aber das blöde an Klischees ist ja, dass sie neben ein bisschen Dichtung auch sehr viel Wahrheit enthalten.

Ein Deutscher Pub in London: Im "Zeitgeist" wird die Bundesliga übertragen

Fünf Dortmunder haben sich zum Vorglühen auf den Weg gemacht ins Zeitgeist. Der Pub liegt in Lambeth am südliche Ufer der Themse, gegenüber der City of Westminster. Auf der Leinwand läuft Bundesliga-Relegation, besser als nichts und für die Dortmunder eine Angelegenheit des Grundsätzlichen. Bayern München ist ein Gegner, Hoffenheim ein Feind. Hochgezüchtet aus dem Nichts mit den Millionen des Software-Unternehmers Dietmar Hopp, dessen Konterfei sie in Dortmund schon mal im Fadenkreuz auf einer Fahne im Stadion schwenken. Es hat die Dortmunder Fans schon geschmerzt, dass ihre Borussia vor einer Woche gegen die Hoffenheimer verloren und damit deren direkten Abstieg verhindert haben. Dafür sollen sie jetzt büßen, hier und heute Abend im Zeitgeist.

Zeitgeist ist eines der wenigen Lehnwörter der englischen Sprache. „Rucksack oder Kindergarten waren nicht so geeignet als Name für einen Pub“, sagt Jürgen. Er ist der Besitzer und kommt aus Köln, das verheißt neutrales Territorium vor dem großen Finale. Über der Glocke, mit der die berühmten „last orders, Ladies and Gentlemen!“ eingeläutet werden, hängen rote und schwarz-gelbe Fanschals.

Das passt ganz gut zum allgemeinen Erscheinungsbild der Stadt. London empfängt seine deutschen Gäste in Münchner Rot und Dortmunder Schwarz-Gelb. Rot glänzen die Telefonzellen und die Busse, die sich zu jeder Tages- und Nachtzeit durch den dichten Verkehr drängeln. Streng beobachtet von den schwarz-gelb uniformierten Verkehrspolizisten, die auch ein Auge haben auf die vielen Baustellen dieser Stadt, in der alle paar Meter abgerissen oder neu aufgebaut wird.

Auch am Wembleystadion rollen die Bagger und drehen sich die Kräne für ein neues Parkhaus. Könnte schwierig werden mit der Fertigstellung bis zum Finale. Egal, die Bagger rattern im Wettstreit mit der Stadionregie, die drinnen die leeren Tribünen zur Probe mit Scheußlichkeiten der Kategorie „We Are The Champions“ beschallt. Das ist aber neben den alle paar Meter an Bauzäunen gepflasterten Plakaten so ziemlich der einzige Hinweis darauf, dass hier in Kürze Europas wichtigstes Fußballspiel des Jahres stattfindet.

Keine Fanshops, keine Imbissstände, keine Schwarzhändler. Und: keine Fans. Rund um den Wembley Hill herrscht geschäftiger Alltag, und der hat wenig zu tun mit Fußball. Lagerhäuser, Möbeldiscounter und Glas-Beton-Kästen verteilen sich um das Stadion, alle paar Sekunden rumpeln LKWs vorbei. Für Touristen ist Wembley eher ungünstig gelegen, ein Stück weiter außerhalb im Nordwesten Londons. Wer aus der City kommt, ist mit U-Bahn und zu Fuß eine knappe Stunde unterwegs.

Der Besuch aus Deutschland huscht zwischen den wenigen Regenpause lieber zwischen Piccadilly Circus, Regent Street und Trafalgar Square umher, wo vor Lord Nelsons Statue ein Stück Kunstrasen ausgerollt ist, für den sich neben den Fans in Rot und Schwarz-Gelb bevorzugt japanische Kinder interessieren.

Schutz gegen den Regen bieten die Pubs. Sie sind vor dem Finale gut gefüllt, aber das sind sie ab spätem Nachmittag immer, da fallen die deutschen Fußball-Touristen nicht weiter ins Gewicht. Angeblich haben 50.000 von ihnen eine Reise nach London geplant. Im Stadtbild lässt sich das schwerlich verifizieren, vielleicht reist ein Großteil erst kurzfristig an. Und den Rest schluckt diese riesige Stadt, wie sie auch die Hunderttausende an Gästen aus der ganzen Welt verschluckt oder die Aufregung um den Terrorübergriff in Woolwich, darüber hat hier schon am Tag danach keiner mehr geredet.

Auch die schwarz-gelbe Abordnung im Zeitgeist verliert sich ein wenig im überfüllten Saal, aber sie ergattert einen Tisch ganz vorn an der Leinwand. Weiter hinten stehen die, die immer da stehen. Geschäftsleute und Anwohner und Freunde guten deutschen Bieres. Dazu werden Spezialitäten des Hauses gereicht. Bratwürste, Sauerkraut und Kartoffelpüree, gern auch Getränke mit den schönen Namen „Jäger Bomb“ oder „Vodka Brause“.

"Wir Engländer bewundern die Bundesliga"

Das Geschäft geht gut. Der Pub ist voll, obwohl doch die wenigsten Londoner je etwas von Hoffenheim und Kaiserslautern gehört haben dürften. „Da irren Sie sich“, sagt Mark Perryman. „Wir Engländer bewundern die Bundesliga“, und die Bundesliga sei nun mal mehr als Bayern und Dortmund.

Der Hochschuldozent Perryman hat seinen Schädel so kahl geschoren, als wolle er Bayerns Manager Matthias Sammer nacheifern. Seine Wochenenden verbringt er bevorzugt an der White Hart Lane bei seinem Herzensklub Tottenham Hotspur. Perryman ist Autor des Standardwerks „Ingerland: Travels with a Football Nation“ und führt die „London England Fans“ an. Es hat schon ein wenig Gewicht, wenn dieser Mann sagt: „Ihr Deutschen könnt glücklich sein mit eurem Fußball! Ihr habt alles, was wir einmal hatten! Ihr dürft bei euch im Stadion stehen und Bier trinken, ihr habt bezahlbare Tickets. Und jetzt habt ihr auch noch Erfolg!“

Deutschland erfreut sich in diesen Tagen auf der Insel einer ungeahnten Beliebtheit

Gerade erst war im renommierten „Guardian“ zu lesen: „Deutschland macht schon seit einiger Zeit viele wichtige Sachen richtig, so wie Großbritannien sie falsch macht.“ Da stimme es in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Gesellschaft drifte nicht so weit auseinander, „und dann gibt es da auch noch zwei Fußballmannschaften, die in London im Finale der Champions League spielen. Aufgebaut auf den eigenen Nachwuchs, geführt im Sinne der Fans mit einer langfristigen Planung.“ Und nicht, wie in Großbritannien, nur auf kurzfristigen Erfolg ausgerichtet, finanziert von ausländische Investoren.

Mittlerweile hat so ziemlich jeder Bundesligist einen Fanklub in England, sogar die sportlich eher bescheiden ambitionierten Berliner Vereine Hertha BSC und 1. FC Union.

Die fünf Dortmunder im Zeitgeist sind zu jung, als dass sie 1996 hätten dabei gewesen sein können. Beim Halbfinale um die Europameisterschaft, damals noch im alten Wembley mit den Zwillingstürmen und der Windhundrennbahn. Das Spiel ging ins Elfmeterschießen, wie immer gewannen die Deutschen und das entscheidende Tor schoss ... ein Dortmunder. Andreas Möller zelebrierte seinen Triumph in der Pose eines eitlen Toreros. Auf den Tribünen wüteten die Fans und rund um den Trafalgar Square wurden allerlei Autos der Fabrikate BMW, Mercedes und VW demoliert.

Vergangene Zeiten. Vor dem deutschen Finale fehlt die in den Boulevardzeitungen früher unvermeidliche Blitzkrieg-und-Panzer-Folklore. Und nur wenige Hardcore-Fans haben Spaß am Provozieren mit dem Song „10 German Bombers“, bei dem sich die Zahl deutscher Flugzeuge in jeder Zeile um eines verringert, bis am Ende gar keins mehr da ist. Beim englischen Fußballverband FA sorgen sie sich viel mehr um das Länderspiel am Mittwoch in Wembley gegen Irland. Trainer Roy Hodgson hat schon mal vorsorglich an alle registrierten Kartenbesitzer eine e-Mail versendet mit der Bitte, im Stadion auf keinen Fall den Anti-IRA-Song „No surrender“ anzustimmen, wie das zuletzt häufiger in englischen Stadien zu hören gewesen sei. Offensichtlich haben die Iren die Deutschen abgelöst als Lieblingsfeind der Engländer.

Einer von den fünf Dortmunder Jungs im Zeitgeist trägt ein gelbes Trikot mit der Nummer 6 und dem Namen Bender, und er sieht er dem Nationalspieler tatsächlich ähnlich. Bisschen schmaler, bisschen kleiner, aber es hat schon schlechtere Doubles gegeben. Ein andere trägt ein Shirt mit der Aufschrift „Ich Felipe aus“. Anspielung auf das späte Viertelfinaltor des Dortmunders Felipe Santana gegen Malaga. Das war Anfang April und das Zeitgeist vollbesetzt. Beim Halbfinale gegen Real Madrid standen sie schon draußen vor den großen Fenstern und schauten von dort auf die Leinwand. Und was ist mit dem Endspiel? Gibt es da vielleicht noch ein Plätzchen, gern auch etwas weiter hinten? Mitleidiges Lächeln an der Theke. „Sorry, we are fully booked“, und zwar schon seit ein paar Wochen. Die ersten Reservierungen kamen ein paar Stunden nach dem Halbfinale.

Wenn denn die Londoner eine Mannschaft adoptiert haben vor der „Saturday’s all-German Affair“ („Evening Standard“), dann ist es Borussia Dortmund. Da waren die mitreißenden Spiele gegen Malaga und Madrid – der Münchner Finaleinzug war ja eher von extraterrestrisch anmutender Überlegenheit geprägt. „Und die Leute hier sind der Meinung, dass Bayern das deutsche Manchester United ist und Dortmund die Mannschaft des Volkes“, sagt der Hochschuldozent Mark Perryman.

Das fügt sich ganz gut in die Dortmunder Klassenkampftheorie, aufgestellt von Trainer Jürgen Klopp, den sie in England lieben wie früher Matt Busby und schätzen wie heute Arsene Wenger. Es heißt, der Anhang des FC Arsenal wünscht sich nichts sehnlicher, als dass Klopp in nicht allzu ferner Zukunft die Nachfolge Wengers in Highbury antreten möge.

Der Klassenkampf eine Nummer kleiner geht im Zeitgeist langsam seinem Ende entgegen. Nach dem dritten Hoffenheimer Tor bestellen die Dortmunder Jungs ein paar letzte Biere, interessanterweise erfreuen sich die bayerischen aus dem Hause Weihenstephan großer Beliebtheit. Da kommt endlich die ersten Fans mit Münchner Schals herein.

„Ganz schlechte Farbe!“, rufen sie vom Dortmunder Tisch. Und: „Wo sind eigentlich die Hoffenheim-Fans?“ Gelächter, auch bei den Münchnern. Hoffenheimer Fans, guter Witz! Weiß doch jeder dass es so etwas nicht gibt.

Zeit zu gehen. Die Kamera blendet auf den glücklichen Hoffenheimer Mäzen Dietmar Hopp und auf eine Fahne mit der Aufschrift „Hoffe ist der geilste Klub der Welt“. Aus den Lautsprechern dröhnt „Dirty Old Town“ von den Pogues. Die Dortmunder wenden sich ab. Noch ein letzter Schluck Bier, was soll’s. Wichtiger ist der Samstag und dass der Siegtorschütze dann nicht Müller heißt oder sonst irgendwie aus München kommt.

Keine Fanshops, Imbissstände, Schwarzhändler. Und: keine Fans rund um den Wembley Hill

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