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Im Fohlengalopp. Gladbach (links Rainer Bonhof) schlug Kiew im Europapokal der Landesmeister 1977 2:0 und zog ins Finale ein.

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Champions League: Gladbachs Rückkehr in die Vergangenheit

In den 70er Jahren prägte Mönchengladbach den Europapokal – beim ersten internationalen Spiel seit fast zwei Jahrzehnten ist die Borussia gegen Dynamo Kiew heute nur Außenseiter.

Der ZDF-Reporter Rolf Kramer ist nicht durch besonders feurige Livekommentare in Erinnerung geblieben. Aber dem Zauber des Augenblicks hat auch er sich am späten Abend des 20. April 1977 nicht entziehen können. „Welche Dramatik in diesen 30 Sekunden“, sagt er, als Jürgen Wittkamp gerade sein Tor zum 2:0 für Borussia Mönchengladbach gegen Dynamo Kiew bejubelt. „Erregend, diese Szene.“ Mehr als 35 Jahre liegt sie nun schon zurück, und doch ist sie gerade in diesen Tagen überraschend präsent.

Am heutigen Dienstag (20.45 Uhr, live im ZDF) treffen die Gladbacher wieder auf Dynamo Kiew, es geht um den Einzug in die Champions League. Gleicher Gegner, gleicher Pokal – sonst aber ist nichts mehr, wie es war, nicht mal mehr der Name des Wettbewerbs. Vor 35 Jahren standen sich beide Mannschaften im Halbfinale des Landesmeistercups gegenüber. 1:0 hatte Dynamo in Kiew gewonnen, im Rückspiel gingen die Gladbacher durch einen Elfmeter von Rainer Bonhof zwar schon früh in Führung, aber das entscheidende Tor zum Einzug ins Finale wollte und wollte nicht fallen.

Acht Minuten waren es noch bis zur Verlängerung, als Bonhof einen Freistoß in den Kiewer Strafraum lupfte. Wittkamp stand völlig frei, er konnte sich die Ecke aussuchen – und genau in diesem Moment kamen ihm die Zweifel: „Ach du Scheiße“, schoss es ihm durch den Kopf, „jetzt versemmel den nicht!“ Natürlich tat er genau das.

Wittkamps Schuss traf einen sowjetischen Verteidiger auf der Linie. Aber Borussias Libero bekam eine zweite Chance: Als er noch, ein wenig halbherzig, auf Handspiel reklamierte, flankte Herbert Wimmer von der rechten Seite, Wittkamp hechtete sich in die Flugbahn und traf mit einem Flugkopfball zum 2:0-Endstand.

Video: Gladbach zahlt Lehrgeld gegen Kiew

Wenn die Gladbacher heute ihre erste Europacup-Begegnung seit knapp 16 Jahren bestreiten, spielt auch die Geschichte mit. Für die Fans ist die Begegnung mit Dynamo Kiew wie eine Heimkehr. Gladbach und Europacup, das gehörte einmal untrennbar zusammen. Zwischen 1970 und 1980 war der Verein ununterbrochen international vertreten, fünfmal erreichte er das Finale, zweimal gewann er den Uefa-Cup, und von 1973 bis 1980 standen die Gladbacher achtmal hintereinander in einem der damals noch drei Wettbewerbe immer unter den letzten acht. Erst 2003 hat Manchester United diesen Rekord eingestellt; gebrochen wurde er bis heute nicht.

Video: Schicksalsspiele gegen Kiew

Die Zeiten haben sich geändert – die Sehnsucht nach Europa aber ist in Mönchengladbach geblieben. „Es ist extrem, was sich bei uns abspielt“, sagt Borussias Sportdirektor Max Eberl. Die Bedeutung, wieder international dabei zu sein, sei unglaublich groß: „Die Leute haben immer gedacht: ,Da muss der Klub doch hin.‘ Das haben wir jetzt geschafft.“ Selbst nach Jahrzehnten, die eher durch Misserfolge denn durch Erfolge geprägt waren, empfinden die Fans noch so etwas wie ein natürliches Recht auf Europapokal. Und nicht nur die Fans. Als die Gladbacher 2004 ihr neues Stadion bezogen, gab Borussias Präsident Rolf Königs den Plan aus, drei Jahre später wieder international zu spielen. Doch statt im Europapokal landeten die Borussen 2007 in der Zweiten Liga.

Mit dem Spiel gegen Kiew scheint sich für den Verein jetzt ein Kreis zu schließen. Max Eberl weiß, dass das nicht stimmt. 1977 zählten die Gladbacher zu den Topklubs in Europa. „Wir waren schon ganz gut“, sagt Jürgen Wittkamp, der den Borussen mit seinem Tor am 20. April 1977 einen der magischen Momente der Vereinsgeschichte bescherte. Nach drei vergeblichen Versuchen erreichten sie erstmals das Finale im Landesmeistercup. So weit und so hoch wie an jenem Abend im Düsseldorfer Rheinstadion sind die Gladbacher nie wieder gekommen. Einen Monat später unterlagen sie dem FC Liverpool im Olympiastadion von Rom recht deutlich mit 1:3.

Heute Abend fangen die Gladbacher wieder bei null an. In Europa sind sie blutige Anfänger, anders als ihr Gegner Dynamo Kiew, der zudem in diesem Sommer 40 Millionen Euro in neue Spieler investiert hat. Borussias Erfolge von früher sind zwar immer noch präsent, „aber die moderne Europapokalgeschichte haben nicht wir gestaltet“, sagt Eberl, „auch in Deutschland nicht“. Da gab und gibt es andere Klubs, die Bayern natürlich, Dortmund, Bremen, Leverkusen, Stuttgart, selbst Hertha BSC. Gladbachs Sportdirektor sieht die Rückkehr nach Europa daher vor allem als „großes Abenteuer“. Mehr nicht. Max Eberl sagt: „Ich bin immer noch Realist.“

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