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© dpa

Champions League: Werders Wunderglaube

Werder brauchte ein kleines Wunder. Nun schreibt Bremen die Geschichte der großen Europapokalnächte fort.

Die Anhänger des SV Werder Bremen stehen nicht im Verdacht, eine tiefe Abneigung gegen schönen Fußball zu hegen. Aber übertreiben sollte man es mit der Kunst auch nicht. Mitte der ersten Halbzeit nutzte Robinho das Weserstadion als Kleinkunstbühne. Geschätzte 27 Übersteiger zauberte der brasilianische Offensivspieler von Real Madrid in acht Sekunden auf den Rasen. Den Ball berührte er dabei ebenso wenig wie seinen Bremer Gegenspieler. Jurica Vranjes tat, was man in solchen Situationen tun sollte: nichts. Nur die Zuschauer pfiffen wütend, weil sie den Straftatbestand der versuchten Demütigung witterten.

Am Ende demütigte Robinho vor allem sich selbst. Zehn Minuten nach der Pause wurde er für einen falschen Einwurf sanktioniert, und im Nachhinein konnte man in diesem läppischen Vergehen ein Symptom für den ebenso überraschenden wie verdienten 3:2-Sieg der Bremer gegen den spanischen Rekordmeister erkennen. Große Mannschaften machen die einfachen Dinge besonders gut, das hatte Real gegen Werder wieder einmal nachdrücklich versäumt. Eine Minute nach Robinhos falschem Einwurf jagte der sonst so kaltblütige Stürmer Ruud van Nistelrooy den Ball freistehend vor dem Tor Richtung Eckfahne, wiederum zwei Minuten später traf Aaron Hunt zum vorentscheidenden 3:1 für Bremen. „Mit dem 3:1 war der richtige Glaube da, sich behaupten zu können“, sagte Werders Trainer Thomas Schaaf, der diese Überzeugung vor der Pause bei seiner Mannschaft noch vermisst hatte.

Die Zweifel der Spieler korrespondierten mit dem Zweifel des Publikums, das diesen – ja – historischen Erfolg anfangs erstaunlich passiv begleitete. Es war fast so, als wollten die Zuschauer nicht allzu viel Hoffnung in eine hoffnungslose Mannschaft investieren. „Uns haben nicht viele zugetraut, dass wir mit so vielen Verletzten gewinnen können“, sagte Daniel Jensen, der im Mittelfeld ein überragendes Spiel abgeliefert hatte. Die Ausfälle der Bremer sind inzwischen allenfalls noch mit Sarkasmus zu ertragen. Gegen Real fehlten Diego, Frings, Almeida, Klasnic, Owomoyela, Andreasen, Womé, Wiese und Borowski. „Wir waren immer weniger im Training“, berichtete Per Mertesacker, und dieser Trend wird sich erst einmal fortsetzen. Fünf Minuten nach dem Anpfiff musste auch Clemens Fritz wegen einer Muskelverletzung aufgeben.

Trotzdem: „Wir haben an unser eigenes Spiel geglaubt“, sagte Jensen, der den Auftritt angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen als „eines der besten Spiele von Werder“ adelte. Die Vereinsgeschichte der Bremer verzeichnet inzwischen vermutlich mehr Wunder als die katholische Kirche, doch unter all den wunderbaren Europapokalnächten ordnete Trainer Schaaf den Sieg gegen Real „ganz oben“ ein – „weil man einfach sehen muss, mit welchen Spielern wir das erreicht haben“. Schaaf, gewöhnlich nüchtern wie ein Calvinist, wirkte beseelt, als habe er gerade einen Marienerscheinung gehabt. Die Leistung könne man gar nicht hoch genug einschätzen. „Das ist grandios“, sagte er. „Das ist etwas Außergewöhnliches.“

Niemand personifizierte Werders Willensleistung besser als Aaron Hunt. Der 21-Jährige hatte seit Mai kein Spiel mehr bestritten, erst seit einer Woche trainiert er wieder mit der Mannschaft – gegen Real stand er in der Startelf. „Er hat ein tolles Spiel geleistet“, sagte Schaaf. „Am Anfang hatte er noch das eine oder andere Missverständnis.“ Ehrlicherweise hätte Schaaf zugeben müssen, dass bei Hunt zuerst gar nichts funktionierte, ihm fehlte alles: das Gefühl für den Zweikampf, die Übersicht, das Timing; seine Zuspiele hatten weder die nötige Schärfe noch die richtige Länge. Nach zehn Minuten wurde Hunt für ein Foul an der Mittellinie verwarnt, als einziger Bremer überhaupt, nach einer Viertelstunde resultierte aus seinem Ballverlust der Ausgleich zum 1:1. „Aber er hat nie aufgehört, seinen Weg zu gehen“, sagte Schaaf. Das war durchaus wörtlich zu nehmen. Hunt lief wie ein Besessener, und er wurde belohnt: mit seinem ersten Tor in der Champions League.

Lange Zeit, bevor die Nationalmannschaft immer mehr in diese Rolle hineingewachsen ist, stand vor allem Werder für das Gute und Schöne im deutschen Fußball. In den besten Momenten konnte sich die Mannschaft in einen Rausch spielen. Gegen Real kämpfte sie sich am Ende in einen Rausch. „Wir wussten, wir können nur bestehen, wenn einer für den anderen kämpft“, sagte Aaron Hunt. Seinen Lustgewinn beeinträchtigte das nicht: „War ein schöner Abend heute.“    

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