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Ein einziger Alptraum. Die Spielmanipulationen bringen wohl auch den türkischen Nationaltrainer Guus Hiddink, hier mit Mittelfeldspieler Arda Turan, um den Schlaf. Foto: Reuters

© REUTERS

Sport: Chaos im Kopf

Der Korruptionsskandal in der Heimat belastet auch das türkische Nationalteam

Die Menge im Stadion jubelte und ließ die Heimmannschaft hochleben. Tausende waren in Trikots ihres Teams erschienen, einige brachten ihre Kinder mit, andere selbst gebastelte Transparente. Sie feuerten ihr Team an und stießen Flüche gegen den Hauptrivalen aus. Ein ganz normaler Fußballabend im Stadion Sükrü Saracoglu in der türkischen Metropole Istanbul? Nein. Alle Zuschauer auf den Rängen waren Frauen und Kinder. Für Männer war das Stadion gesperrt.

So etwas hat es in der Türkei und wohl im ganzen Weltfußball noch nicht gegeben. Der in eine Bestechungsaffäre verstrickte Türkische Meister Fenerbahce musste als Strafe für Ausschreitungen in einem Spiel alle erwachsenen männlichen Anhänger bei der jüngsten Heimbegegnung gegen den westtürkischen Club Manisaspor vor der Tür lassen. Und so füllten 41 000 Frauen und Kinder unter zwölf Jahren die Sitze – und verliehen dem Spiel eine ganz ungewohnte und gewaltfreie Karnevalsatmosphäre, obwohl es für Fenerbahce nur zu einem 1:1-Unentschieden reichte.

Inspiriert von dieser positiven Erfahrung erließ der türkische Fußballverband am Freitag eine neue Vorschrift: Frauen und Jugendliche unter 16 Jahren sollen künftig gratis die Spiele der ersten Liga besuchen dürfen. Die Verantwortlichen versprechen sich von der verstärkten weiblichen Präsenz eine Zügelung der mitunter recht aggressiven männlichen Fans.

Lichtpunkte wie diese sind derzeit selten im türkischen Fußball. Kurz vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland im neuen Galatasaray-Stadion in Istanbul am kommenden Freitag lastet der Schatten des größten Betrugsskandals in der Geschichte des Landes schwer auf dem Sport, und auch die Nationalmannschaft kann sich davon nicht freimachen.

Seit Juli sitzen Fenerbahce-Chef Aziz Yildirim und rund 30 andere Verdächtige in Untersuchungshaft. Sie alle sollen Schmiergelder gezahlt oder angenommen haben, bei einer Verurteilung drohen ihnen lange Haftstrafen. Die Staatsanwaltschaft hält Yildirim, einen der mächtigsten Männer im türkischen Fußball, für die Spinne im Bestechungsnetz: Das Geld des reichen Bauunternehmers soll Fenerbahce im der vorigen Saison den Titel gesichert haben. Yildirim spricht von einer Verschwörung. In der neuen Saison, die wegen des Skandals mit einem Monat Verspätung begann, gehört Fenerbahce wieder zu den Spitzenmannschaften.

Theoretisch hat der Liga-Skandal nichts mit der Nationalmannschaft zu tun, doch in der Praxis dringt die Unruhe bis die A-Mannschaft vor. Beim EM-Qualifikationsspiel gegen Österreich in Wien verpasste das Team durch einen verschossenen Elfmeter in der letzten Spielminute einen wichtigen Auswärtssieg und musste sich mit einem 0:0 begnügen. Seitdem monieren Kritiker, die Auswahl der A-Elf müsse neu organisiert werden, die Mannschaft müsse für neue Talente geöffnet werden. „Eigentlich müsste sich der Verband darum kümmern“, sagte der frühere Fenerbahce-Profi und Sportkommentator Engin Verel der Zeitung „Habertürk“ in einem Interview. „Aber die Verbandsleute haben im Moment andere Dinge im Kopf“, fügte er mit Blick auf die Bestechungsaffäre hinzu: „Im türkischen Fußball regiert das Chaos.“

Gegen Deutschland muss auf jeden Fall ein gutes Ergebnis her, wenn die Türkei als Zweitplatzierte in der Gruppe A die Chance auf die Relegation wahren will. Ob der niederländische Nationaltrainer Guus Hiddink den Türken dieses Ergebnis bescheren kann, ist vor dem Spiel umstritten. Hiddink hatte sich nach dem Match gegen Österreich bei vielen Beobachtern dadurch unbeliebt gemacht, dass er den verschossenen Elfmeter als typisch türkisch bezeichnete: „Wir machen uns selbst das Leben schwer.“

Und so wird mitten in der entscheidenden Phase der EM-Qualifikation die Frage diskutiert, ob Hiddink die beste Wahl für das türkische Team ist. Schon bei seiner Berufung im vergangenen Jahr gab es grundsätzliche Einwände von Nationalisten gegen den Ausländer. Nun wird seine bisherige Leistung kritisiert: Unter Hiddink habe es bisher nur ein einziges Spiel gegeben, in dem die Nationalmannschaft wirklich gut gewesen sei, sagte der Vereinstrainer Hikmet Karaman. Bei allen anderen Begegnungen habe es sehr durchwachsen ausgesehen. Selbst gegen Kasachstan gewannen die Türken nur durch einen Treffer in der Nachspielzeit. Wie andere Kritiker vermutet Karaman, dass Hiddink derzeit nicht ganz bei der Sache ist. Ein Angebot vom britischen Spitzenklub Chelsea habe den Niederländer abgelenkt, bei den letzten Spielen der Nationalmannschaft habe der Trainer jedenfalls auffällig teilnahmslos gewirkt.

Immerhin einen kleinen Erfolg konnte Hiddink vor dem Spiel gegen Deutschland aber doch feiern. Ihm selbst und Unterhändlern des türkischen Verbandes gelang es, den Leverkusener Verteidiger Ömer Toprak für die türkische Nationalmannschaft zu gewinnen, obwohl er auch für Joachim Löw in Frage gekommen wäre. Toprak wird schon am Freitag gegen Deutschland im Aufgebot stehen.

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