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Christoph Metzelder: „Zum ersten Mal stand das Land zusammen“

Nationalspieler Christoph Metzelder über den Patriotismus während der WM und seinen bevorstehenden Wechsel ins Ausland.

Herr Metzelder, besitzen Sie eigentlich eine Deutschlandfahne?

Ja, das ist eine lustige Geschichte. Vor einem Jahr bin ich schon einen Tag vor dem Rest der Mannschaft nach Berlin gereist. Abends war ich dann mit meinem Berater in einem italienischen Restaurant essen, das mit allerhand Fahnen geschmückt war. Als wir gingen, hat mir der Inhaber eine Deutschlandfahne geschenkt. Die klebte während der WM an meinem Badezimmerfenster, direkt über dem Eingang zu unserem Hotel. Auf einigen Fernsehbildern müsste man die eigentlich sehen.

Wo ist die Fahne jetzt?

Seit der WM habe ich sie in meinem Nationalmannschaftsrucksack. Sie wird gar nicht mehr ausgepackt und ist bei jedem Länderspiel dabei.

Vor einem Jahr haben Sie in einer Pressekonferenz gesagt: „Wir brauchen ein großes Maß an Patriotismus.“ Was hat Sie zu diesem Appell verleitet?

Das war relativ spontan. Vor unserem ersten WM-Spiel …

… dem 4:2 gegen Costa Rica …

… haben wir uns bei der Nationalhymne umarmt. Ich wusste natürlich, dass die Frage kommen würde: warum? Zum einen wollten wir in der Mannschaft symbolisieren, dass wir während der WM zusammenstehen. Zum anderen sollte das auch eine Aufforderung an das Land und die Fußballfans sein, genauso eng zusammenzustehen. Als dann die Frage in der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Polen kam, habe ich das genutzt, um die Leute aufzufordern, es uns gleichzutun.

Was war Ihre Intention?

Mir war klar, dass es für uns von der reinen sportlichen Qualität schwer wird, mit den ganz großen Nationen mitzuhalten. Also muss man noch andere Dinge in die Waagschale werfen. Was nach dem Polenspiel abgelaufen ist, hat auch bei den anderen Fußballnationen unglaublichen Eindruck erweckt. Wenn die Engländer vor ihrem letzten Gruppenspiel sagen, wir wollen im Achtelfinale lieber nicht gegen die Deutschen spielen, zeigt das doch, welche Eigendynamik in unserem Land entstanden ist. Das war nur im Verbund Mannschaft und Fans möglich.

Aber ist der Ausbruch des kollektiven Deutschlandgefühls nicht eher auf das Tor von Oliver Neuville zum 1:0 gegen Polen in letzter Minute zurückzuführen?

Ich maße mir nicht an, zu sagen: Ich bin das gewesen. Ich habe eine gewisse Debatte losgetreten, aber ich war nicht der Auslöser. Es war die gesamte Konstellation: Wir haben in Dortmund gespielt, im Ruhrgebiet, dem Fußballherzen Deutschlands, mit seiner unglaublichen Begeisterung. Eine Atmosphäre wie in den gesamten 90 Minuten gegen Polen habe ich noch nie erlebt. Als dann in der Schlussminute das entscheidende Tor fiel, ist die Stimmung in Deutschland explodiert.

War das wirklich Patriotismus oder doch nur die ganz normale Leidenschaft für eine Fußballmannschaft?

Es war schon eine Leidenschaft, die sehr eng mit diesem sportlichen Ereignis verbunden war, das hat man auch bei der Hockey- und der Handball-WM gesehen. In vier Wochen ändert sich nun mal nicht, was 60 Jahre lang ganz normal war. Es wird wahrscheinlich noch sehr lange dauern, bis wir ein normales Verhältnis zu unserer Nation haben.

Ist es nicht paradox, wenn man zu einer Gefühlsregung aufrufen muss? Patriotismus hat man, oder man hat ihn nicht.

Ich glaube, dass jeder grundsätzlich eine besondere Beziehung zu dem Land hat, in dem er geboren ist. Wir Deutsche aber haben einfach Probleme, das nach außen zu zeigen – weil wir zu Recht immer an das denken, was vor 60 Jahren passiert ist. Die WM hat dazu geführt, dass wir sehr viel unverkrampfter mit unseren Symbolen umgehen. Es ist eine unpolitische Eigendynamik entstanden, die plötzlich auf den Fanmeilen losgebrochen ist. Junge Menschen haben sich angemalt, haben sich Trikots angezogen, Fahnen geschnappt, mit Stolz die deutschen Farben gezeigt und friedlich Fußballfeste gefeiert. Gerade die Jugend hat das Land in diesen vier Wochen unheimlich mitgerissen. Das war wirklich eine unpolitische Bewegung. Ich glaube nicht, dass irgendwelche Fans aus dem Ausland das schlimm fanden.

Welchen Vorteil hat es, patriotisch zu sein?

Patriotismus kann so etwas wie der Kitt für eine Gesellschaft sein. Wie wir als Sportler ein gemeinsames Ziel ausgeben, das uns zusammenschweißt und den Egoismus jedes Einzelnen überwindet, kann ein gewisser Stolz auf sein Land dazu führen, dass man mit gewissen Dingen anders umgeht, gerade in einer Phase wie jetzt, die voller gesellschaftlicher Umbrüche und Schwierigkeiten steckt. Die Politik hat Entscheidungen getroffen, die wehtun. Eine Nation, die an sich glaubt, kann eine solche Situation besser ertragen als eine zerrissene Nation.

Sie sagen: Kitt. Man könnte auch sagen: Patriotismus übertüncht die Probleme, die wir haben. Die Entsolidarisierung der Gesellschaft wird wenigstens noch schwarz- rot-gold angestrichen.

Ich sehe dieses Problem durchaus. Aber bei der WM hatte ich, 17 Jahre nach der Wiedervereinigung, zum ersten Mal das Gefühl, dass ein einiges Land zusammensteht – wenn auch nur, um die Fußball-Nationalmannschaft anzufeuern. Natürlich gibt es immer noch große Probleme in unserem Land. Aber vielleicht trägt der Patriotismus ja dazu bei, dass einige dieser Probleme schneller gelöst werden.

Sie wechseln zur neuen Saison zu einem Verein ins Ausland. Können Sie sich vorstellen, Ihre Deutschlandfahne dort öffentlich zu zeigen?

Im Ausland gibt es keinen Grund, die Fahne zu hissen. Wir haben in Deutschland ja auch keinen Nationalfeiertag, den wir so zelebrieren, wie es die Amerikaner am 4. Juli tun. Außerdem tun wir Deutsche ganz gut daran, uns im Ausland etwas zurückzuhalten. Das gebietet schon der Respekt vor dem jeweiligen Land.

Aber Patriotismus heißt ja, dass man sein eigenes Land liebt, ohne die anderen herabzuwürdigen.

Ich finde auch nicht, dass ein Amerikaner in einem deutschen Vorgarten seine Fahne hissen sollte. Natürlich ist es wichtig, sein Land und dessen Ideale zu verteidigen. Als Sportler bist du im Ausland automatisch Botschafter deines Landes. Aber das heißt für mich nicht, dass ich mit der Fahne durch die Stadt laufe.

Wie fühlen Sie sich bei dem Gedanken, Deutschland zu verlassen?

Ich glaube, dass wir Deutsche nicht gerade eine Auswanderermentalität haben. Es gibt andere Länder, in denen man als junger Mensch darauf hinarbeitet, seine Heimat irgendwann zu verlassen, weil damit ein sozialer Aufstieg verbunden ist. In Deutschland ist das nicht der Fall.

2005 sollen 250 000 Deutsche ausgewandert sein. Das ist eine Massenbewegung.

Ich sehe mich nicht als Teil dieser Massenbewegung. Man muss auch unterscheiden zwischen Leuten, die für immer gehen, und denen, die wie ich im Ausland Erfahrungen sammeln und diese Erfahrungen später wieder in ihr Land einfließen lassen. Meine Zelte abzubrechen, um für immer ins Ausland zu gehen – dieses Fernweh fehlt mir völlig. Ich werde irgendwann nach Deutschland zurückkehren. Ich bin Westfale, und denen sagt man nach, dass sie heimatverbunden sind.

Wofür ist der Wechsel ins Ausland wichtiger: für Ihre Karriere als Fußballer oder für Ihre Entwicklung als Persönlichkeit?

Beides. Alle großen Fußballer haben diesen Schritt gemacht. Er ist mit einem gewissen Risiko verbunden: Ich verlasse einen sicheren Ort, breche meine Zelte ab und baue sie an einem Ort wieder auf, den ich nicht kenne; in einem Land, dessen Sprache ich nicht beherrsche; bei einem Verein, der vielleicht noch viel größer ist als alles, was ich bisher kennengelernt habe. Trotzdem habe ich nicht lange überlegt.

Was hoffen Sie im Ausland zu finden, was es in Deutschland nicht gibt?

Schauen Sie sich Südeuropa an: Das gibt es eine andere Mentalität, eine andere Art zu leben. Schon wegen der klimatischen Bedingungen ist der Tagesablauf ganz anders, die Leute sind vielleicht fröhlicher, weil den ganzen Tag die Sonne scheint. Das hat Deutschland einfach nicht. Dafür besitzt Deutschland andere Vorzüge.

Wovor haben Sie Bammel?

Vor gar nichts eigentlich. Ich werde mich optimal vorbereiten. Ich werde die Sprache lernen. Ich werde zeitig dort runtergehen, um mich körperlich vernünftig vorzubereiten. Vor allem anderen habe ich sehr großen Respekt, aber mit Sicherheit keine Angst. Alle Spieler, mit denen ich gesprochen habe, sagen, man muss den Schritt einfach mal machen: damit man eine andere Art zu leben und auch eine andere Art, Fußball zu spielen, kennenlernt. Gerade bei Vereinen, die im Weltfußball ein Riesenrenommee haben. Wir sollten froh sein über jeden Spieler, der ins Ausland geht – weil er dort Dinge aufschnappen kann, die er dann hier wieder einbringt.

Erleben wir gerade den Beginn einer neuen Bewegung deutscher Fußballer, die ins Ausland wechseln?

Es wäre positiv – weil diese Zyklen immer mit großen Erfolgen der Nationalmannschaft verbunden waren. In Jahren, in denen viele deutsche Spieler im Ausland gespielt haben, war auch die deutsche Nationalmannschaft sehr erfolgreich. Mein Eindruck ist, dass die Nachfrage nach deutschen Spielern gerade wieder steigt.

Deutschen Fußballern ist häufig unterstellt worden, sie seien zu bequem, ins Ausland zu gehen. Vielleicht waren sie auch einfach nicht gut genug.

Beides. Wir hatten Phasen, in denen der deutsche Fußball international nicht konkurrenzfähig war. Aber ein Wechsel ins Ausland muss auch gut überlegt sein. Wenn ein Spieler sagt, dass er von seinem Naturell her lieber in Deutschland bleiben möchte, sollte man das nicht kritisieren.

Das Gespräch führte Stefan Hermanns

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