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Sport: Cognac, Strychnin und Mitleid

Die kuriosen Geschichten des Olympia-Marathons

Als Vanderlei Lima in das Panathinaikon-Stadion von Athen einlief, jubelte er. Der Brasilianer freute sich über die Bronzemedaille, die er gerade beim olympischen Marathon gewonnen hatte. Er hätte vielleicht sogar über die Goldmedaille jubeln können, denn lange Zeit hatte Lima das Rennen angeführt – bis ihn bei Kilometer 36 ein verkleideter Mann von der Straße rempelte. Keine olympische Disziplin ist so reich an Kuriositäten wie der Marathon. Besonders die ersten vier Läufe waren kurios.

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1896 in Athen: Spiridon Louis war der erste Olympiasieger. Als noch zehn Kilometer zu laufen waren, reichte ihm sein Schwiegervater ein Glas Cognac. Danach war der Grieche nicht mehr einzuholen.

1900 in Paris: In seinem Werk „Die Geschichte der Olympischen Leichtathletik“ zitiert Ekkehard zur Megede einen Zeitzeugen: „Das Rennen war eine Farce, wer konnte schon mit jenen Pariser Läufern konkurrieren, die die Stadt wie ihre Westentasche kannten? Sie schnitten die Kurven ab und fanden auch sonst allerlei Schliche.“ Der fünftplatzierte Amerikaner Arthur Newton übernahm auf halber Strecke die Führung und wähnte sich als Sieger, weil ihn niemand mehr überholte. Der hinter ihm platzierte Landsmann Dick Grant wurde von einem Fahrradfahrer umgefahren. Es gewann der Pariser Michel Théato.

1904 in St. Louis: Der Amerikaner Fred Lorz rannte mit etwa einer Viertelstunde Vorsprung ins Ziel und ließ sich feiern. Doch dieser Olympiasieger sah nach dem Marathon verdächtig frisch aus. Der Schwindel flog auf, der US-Amerikaner Thomas Hicks war mit einer Zeit von 3:28:53 Stunden der wirkliche Gewinner. Lorz hatte nach fünf Kilometern einen Krampf, wurde von einem Lastwagen mitgenommen und machte sich später einen Spaß daraus, wieder ins Rennen einzusteigen. In St. Louis war es übrigens auch, wo der Unfall zweier Autos die Straße blockierte und die Läufer behinderte. Und obendrein hatte der zwischenzeitlich zweimal kurz vor einem Zusammenbruch stehende Thomas Hicks das Ziel nur erreicht, weil er neben Eiern und Brandy von seinen Betreuern mit einer Kleinstportion Strychnin aufgeputscht worden war.

1908 in London: Der Italiener Dorando Pietri torkelte völlig ausgelaugt, in Führung liegend, ins Stadion. Dort fiel er um, stand wieder auf, taumelte aber erneut. Als der erste Verfolger, der Amerikaner John Hayes, das Stadion erreichte, konnten es einige Offizielle nicht mehr mit ansehen. Sie hatten Mitleid mit Dorando Pietri, stützten ihn und führten ihn über die Ziellinie – „der Erste, der die Spannung nicht mehr aushielt und dem Italiener half, war der Sherlock-Holmes-Kriminalschriftsteller Sir Arthur Conan Doyle. Doch der Italiener musste deswegen am Ende disqualifiziert werden.

2004 in Athen: Bei Kilometer 36 rennt ein bunt angezogener Mann auf die Straße, drängt den in Führung liegenden Vanderlei Lima an den Straßenrand und hält ihn einige Sekunden fest, bevor Zuschauer dem Läufer helfen. Der Brasilianer verliert rund zehn Sekunden, was aber zum Glück nicht der Grund dafür war, dass er am Ende als Dritter ins Ziel kam. Der italienische Sieger Stefano Baldini und Mebrahtom Keflezighi (USA) liefen so schnell, dass sie Lima auch ohne die Zwangspause noch überholt hätten.

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