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Der Kuss der verfeindeten Brüder. Lionel Messi (rechts) herzt Edinson Cavani.

© AFP

Copa America: Argentinien schlägt den Erzrivalen Uruguay mit 1:0

Wenn Argentinien auf Uruguay trifft, reduziert sich das selten auf Fußball. Bei der Copa aber erlebten die wenigen Zuschauer einen seltsamen Clasico.

Die letzte Herausforderung überstand Lionel Messi überraschend unbeschadet. Normalerweise geht es nach dem Schlusspfiff noch mal richtig zur Sache, wenn die versammelte Gegnerschaft darum streitet, wer denn nun sein Trikot bekommt, und damit es keinen Ärger gibt, hat Messi meist zwei, drei Leibchen im Gepäck. Diesmal war alles anders. Bei diesem exterritorialen Clasico del Rio de la Plata, dem Duell zwischen den Nachbarn Argentinien und Uruguay bei der Vorrunde der Copa America in Chile. Fernando Muslera klopfte Messi kurz auf de Schulter, Edinson Cavani reichte ihm die Hand. Aber kein einziger der schwer angeschlagenen Uruguayer mochte seinen Stolz überwinden und den argentinischen Kapitän auf einen Textiltausch ansprechen, und das lag keineswegs an der eisigen Kälte im Estadio La Portada von La Serena.

Verbrüderung mit dem Feind - so weit kommt's noch nach dieser bitteren 0:1 (0:1)-Niederlage, sie lässt den mit drei Punkten aus zwei Spielen notierten Titelverteidiger Uruguay vor dem letzten Vorrundenspiel um den Verbleib im Turnier bangen. Im letzten Vorrundenspiel am Samstag gegen Paraguay muss zur sicheren Qualifikation für das Viertelfinale schon ein Sieg her. Die Argentinier sind dagegen so gut wie durch, mit vier Punkten und einem noch ausstehenden Spiel gegen das Leichtgewicht Jamaika. "Unser Ziel war der Gruppensieg", sprach Messi, "jetzt haben wir wieder alles in der Hand." Es war da schon leise Kritik aufgekommen nach dem 2:2 zum Auftakt gegen Paraguay, als der WM-Zweite in der zweiten Halbzeit fahrlässig eine 2:0-Führung verspielt hatte. "Das war ärgerlich", sagte Messi, und umso wichtiger sei dieser Prestigeerfolg, der 86. im 182. Aufeinandertreffen mit dem Nachbarn auf der anderen Seite der La-Plata-Bucht (bei der es sich nur dem Namen nach um einen Fluss handelt).

Fern der Heimat war es ein seltsamer Clasico, auf einem holprigen Rasen in einem Stadion, dessen jährlicher Höhepunkt das Zweitliga-Derby zwischen Union La Serena und Coquimbo Unido ist. Vor 17.000 Zuschauern spielt Lionel Messi im Alltag eher selten, noch dazu mit der Nationalmannschaft und dann auch noch gegen Uruguay. Das Publikum rekrutierte sich ausschließlich aus den reiselustigen Fans beider Nationen, sie schufen im kleinen Kreis mit ihren Fahnen, Gesängen und Sprechchören immerhin den Anflug einer Atmosphäre, wie sie sonst im Centenario von Montevideo oder im Monumental von Buenos Aires herrscht. Die argentinischen Hinchas empfanden jeden Befreiungsschlag des Gegners als ästhetische Beleidigung und bedachten ihn mit entsprechenden Pfiffen. Uruguays Fußball aber war noch nie auf Schönheit ausgerichtet, er definiert sich über "garra charrua", so lautet das Copyright auf den ganz speziellen Kampfgeist auf der nordöstlchen Seite des Rio de la Plata. Gerardo Martino wütete draußen so heftig, dass er vom Schiedsrichter schon einer halben Stunde auf die Tribüne geschickt wurde, als erster Trainer in der Geschichte der argentinischen Nationalmannschaft.

Wenn Argentinien gegen Uruguay spielt, reduziert sich das selten auf Fußball. Es geht immer auch um das Selbstverständnis des riesigen Argentinien und den Behauptungswillen des winzigen Uruguay. Beide standen sie sich im Finale der ersten Weltmeisterschaft 1930 in Montevideo gegenüber - vor dem 4:2-Sieg der Uruguayer ließ der Schiedsrichter im Publikum 1600 Revolver beschlagnahmen. Im Juli 2011 verloren die Argentinier als Ausrichter der Copa America ihr Viertelfinale im Elfmeterschießen gegen den Nachbarn, der auch das bislang letzte Duell für sich entschieden hatte. Das war vor zwei Jahren in der Qualifikation für die WM in Brasilien, damals allerdings noch mit der Unterstützung der Strategen Diego Forlan und Luis Suarez. Der eine ist mittlerweile aus der Nationalmannschaft zurückgetreten, der andere nach seiner bekannten Auseinandersetzung mit dem Italiener Giorgio Chiellini immer noch für Länderspiele gesperrt.

Ohne Forlans Phantasie und Suarez' Tore fehlt Uruguay das gewisse Etwas, das zuletzt im Vergleich mit vermeintlich übermächtigen Gegnern oft den Unterschied gemacht hatte. Bei aller Leidenschaft kam der Fußball ein wenig zu kurz in einer durchaus unterhaltsamen, aber keineswegs hochklassigen Nachbarschaftsfehde. "So richtig Fußball spielen wollten sie nicht", sagte Messi, aber auch er hat schon glanzvollere Abende erlebt. Am Tor des eisigen Abends war er nur als Zuschauer beteiligt, mit bester Sicht auf Pablo Zabaletas schöne Flanke und Sergio Agüeros spektakulären Flugkopfball zu Beginn der zweiten Halbzeit.

Danach aber wurde es noch einmal eng. Zum einen, weil die Argentinier wie schon gegen Paraguay in der Defensive schluderten. Zum anderen, weil Uruguay zwar auch auch dem Rückstand nicht schön spielte, aber durchaus effizient. Diego Rolan löffelte den Ball in Rücklage weit über das leere Tor, Alvaro Gonzalez schoss aus der Linie knapp über das Lattenkreuz, die letzte Chance vergab Abel Hernandez, der Argentiniens Torhüter Sergio Romero aus bester Position nicht zu überwinden vermochte. "Wir haben einen unglaublich hohen Aufwand betrieben", sagte Uruguays Kapitän Diego Godin. "Ich bin stolz auf meine Mannschaft. Wir verlassen den Platz mit erhobenen Kopf." Das argentinische Fachblatt "El Grafico" goss die Quintessenz der Nacht von La Serena in die Formulierung: "Argentinien siegt mit ein bisschen Fußball, viel Herz und zu viel Leiden."

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