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Spiele im Sand. Strand und Fußball gehören in Brasilien einfach zusammen. Etliche Stars haben hier das Kicken gelernt.

© dpa

Copacabana: Die Liebe in den Zeiten des Confed-Cups

Rio de Janeiro ist zerrissen, ebenso Brasilien: In den Straßen der brasilianischen Stadt rumort es weiter, doch am Strand regiert immer noch die Zuneigung zum Fußball. Ein Ortsbesuch.

Neymar hat den Ball, als an der Copacabana das Flutlicht angeht. Noch 25 Minuten. „Muito quente!“, stöhnt der Kommentator in sein Mikrofon, verdammt heiß!, und das bezieht sich nicht nur auf das Wetter. Brasilien spielt gegen Mexiko, weit weg, in Fortaleza, aber das eigentliche Spiel wird hier gespielt. Wo Brasilien so brasilianisch ist wie nirgendwo sonst. Am Strand, wo der Fußball zu Hause ist in der größten Fußballnation der Welt, wo Pelé zuerst gegen den Ball getreten hat und Romario und Ronaldo. Wer den Strand gewinnt, gewinnt Brasilien, und der berühmteste Strand Brasiliens liegt im Süden von Rio de Janeiro. Copacabana.

Es geht beim Confed-Cup, dieser Generalprobe vor der Weltmeisterschaft im kommenden Jahr, gar nicht so sehr um diesen Confed-Cup, von dem nicht mal die Brasilianer so genau wissen, wie er überhaupt aussieht, dabei haben sie ihn doch schon dreimal gewonnen, zuletzt vor vier Jahren in Südafrika. Das Turnier der Erdteilmeister ist eine aus sportlicher Sicht entbehrliche Veranstaltung. Der Titelverteidiger ist, ja ist, ähm ja ... genau! Aber für Brasilien ist der Confed-Cup von beinahe schon fußballexistenzieller Bedeutung. Es geht darum, ob die einst konkurrenzlos beste Mannschaft der Welt überhaupt noch wettbewerbsfähig ist auf höchstem Niveau. Nicht wenige haben daran in den vergangenen Wochen gezweifelt, und die meisten von ihnen kommen aus Brasilien.

Am berühmtesten Strand der Welt gibt es kein Public Viewing mit kinoleinwandgroßen Bildschirmen, wie es noch bei der Weltmeisterschaft 2010 der Fall war. Die ganze Copacabana ist ein einziges Public Viewing, wenn Brasilien spielt. Keine Strandbar, kein Hotel, kein Imbiss, wo nicht Fußball läuft. Der größte Bildschirm liegt ziemlich weit in Richtung Ipanema, wo die Avenida Atlantica auf die Rua Miguel Lemos trifft. Zwei mal drei Meter, davor Frauen und Männer und Kinder und Greise. Das Meer ist blau, die Wellen rauschen und Neymar hat den Ball am Fuß.

Copacabana ist ein Stadtteil von Rio, bekannt durch seinen Strand, vier Kilometer Sand in der Form eines Halbmondes. Der Mythos Copacabana steht für Eleganz, Inspiration, Verspieltheit, also: für Brasilien. Aber in Wirklichkeit war die Copacabana noch vor ein paar Jahren ein Ort, an dem man sich nach der Dämmerung besser nicht aufgehalten hat. Mord und Raub und Überfälle. Bis die Besucherzahlen so dramatisch zurückgingen, dass es Zeit war für radikale Maßnahmen. Es kam ein großes Aufräumkommando, die Polizei zeigte verstärkt Präsenz und die Stadt stellte Überwachungskameras auf und die Flutlichtmasten. Alle paar Meter steht einer, und jetzt geht an der Copacabana im brasilianischen Winter abends um halb sechs noch mal die Sonne auf.

Brasilien: Reicht Fußball allein nicht mehr aus?

Für die seleção brasileira geht es an diesem Nachmittag gegen Mexiko. Eine Mannschaft, die im Erwachsenenbereich international noch nie etwas gewonnen hat, mal abgesehen von sechs der letzten sieben Pflichtspiele gegen Brasilien. Was kann es für einen Brasilianer Erniedrigenderes geben? Jetzt aber hat Neymar den Ball, der berühmteste und teuerste Fußballspieler des Landes. „Sempre ele!“, immer er, brüllt der Kommentator, und so unrecht hat er nicht. Neymar ist gut, sehr gut. Er kommt wie der große Pelé vom FC Santos, er trägt die Hoffnungen der ganzen Fußballnation, und passend dazu schießt er auch das erste Tor. Die Prozession an der Avenida Atlantica springt auf, junge Frauen werden in die Luft geworfen und von bunt tätowierten Männerarmen wieder aufgefangen. Vom Band kommt Musik: „Brasil!!!“

Rios Bürgermeister hat vorsorglich eine Freistellung aller Bediensteten für die Spiele der Nationalmannschaft beim Confed-Cup genehmigt. Fußball ist an der Copacabana wichtiger als Arbeit, da bestätigt sich mal wieder das Vorurteil der paulistas, der Einwohner von São Paulo, die ja ohnehin der Meinung sind, dass die Jesus-Statue oben auf dem Corcovado mit ihren ausgestreckten Armen nur eines symbolisiert: Ach, mögen sie in Rio doch endlich einmal mit der Arbeit anfangen!

Am Montag demonstrierten im Stadtzentrum von Rio mindestens 100 000 Menschen. Der Strand gehört aber dem Fußball, auch in diesen Tagen.

Auf dem Bildschirm vor den Wellen des Südatlantiks arbeiten die Nationalspieler so hingebungsvoll wie lange nicht mehr. Beflügelt vom 3:0-Sieg im ersten Spiel gegen Japan spielt Brasilien groß auf. Der frühere Weltstar Ronaldo ist als Co-Kommentator zugeschaltet und ruft beseelt: „Da sieht man, welches Selbstbewusstsein unsere Mannschaft wieder hat!“

Hinter der Leinwand patrouilliert auf dem Atlantik ein Kriegsschiff, oben rattert ein Helikopter. Das lenkt die Gedanken in Richtung der manifestacoes, der Brasilien zuletzt erschütternden Demonstrationen, auch und gerade in Rio, wo am Montag mindestens 100 000 Menschen aufbegehrten. Doch der Protest hat seinen festen Platz im Stadtzentrum, an der gewaltigen Avenida Rio Branco. Der Strand gehört dem Fußball, auch in diesen Tagen.

Das heißt nicht, dass der Fußball unpolitisch ist. Er bietet den manifestantes die Bühne, er fordert Solidaritätsbekunden ein der berühmten Nationalspieler und ermöglicht damit noch mehr Öffentlichkeit. Aber wie der Strand dem Fußball gehört, gehört auch der Fußball dem Strand. Und nicht den Hochglanz-Stadien mit ihren Vip-Tribünen und Tiefgaragen. Brasiliens Fußball will sich nicht domestizieren lassen und mit ihm nicht sein Publikum. Das Publikum bei den teuren Länderspielen ist nicht das Publikum des Fußballalltags. Im zum Confed-Cup wiedereröffneten Maracana, früher eine monumentale Arena für 200 000 torcedores, ist jetzt noch Platz für knapp 80 000 schicke Schalensitze. Was soll eigentlich passieren, wenn in ein paar Wochen Flamengo hier spielt und die Fans aus den Favelas kommen, aus Rocinha im Süden oder Vila Cruzeiro im Norden? In den Favelas können sie nichts anfangen mit diesem anderen, diesem weich- und aus Europa herübergespülten Fußball.

Der kleine Stürmer Oscar, der heimliche Held des Strandes

Dann doch lieber an den Strand. Neymar, der schmale Superstar, richtet auf dem Riesenbildschirm den Kragen. Fliegende Händler huschen vorbei, sie verkaufen Trikots und Fahnen und Bier, es ist billiger als das in den Strandbars ausgeschenkte und findet allerlei Abnehmer.

Der Mond geht auf über der Copacabana und der Strand bekommt es mit der Angst zu tun. Mexiko drückt, Mexiko drängt, aber Mexiko schießt kein Tor. David Luiz, der Verteidiger mit der in Brasilien schwer angesagten Starkstromfrisur, grätscht den Mexikanern die beste Chance weg. Da jubelt die Copacabana, obwohl sie von grätschenden Verteidigern sonst nicht besonders viel hält.

Der kleine Stürmer Oscar, er ist der heimliche Held des Strandes, wird ausgewechselt und vom Strand mit stürmischem Beifall verabschiedet. Das Spiel ist fast vorbei, fast. Vier Minuten Nachspielzeit, und über den Bildschirm flimmert vorsichtshalber noch mal Neymars Tor und noch mal und noch mal. Muss gleich vorbei sein. Dann aber hat Neymar in Echtzeit den Ball am Fuß. Er windet sich um zwei Mexikaner und schnipst den Ball in die Mitte, auf den Fuß des Kollegen Jo und dann ist er auch schon im Tor. 2:0, Schluss, Brasilien steht im Halbfinale, vom Band kommt Musik: „Brasil!!!“

Das Meer ist schwarz, der Strand leer und für heute gewonnen. Und wer den Strand gewinnt, gewinnt Brasilien.

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