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Sport: Da haben wir uns ja einen schönen Vanilla Ice eingefangen

Auch in Sachen Mode hat das Sportjahr 2008 Trends gesetzt. Ein Rückblick auf Schuhe, Textilien und Frisuren

JOGI-LÖW-HEMD (1)

Spanien hat die Fußball-EM gewonnen, na gut, ganz von der Hand weisen kann man die Richtigkeit dieser Aussage nicht, aber der wahre Sieger kommt aus Nördlingen. Dort hat die Modefirma Strenesse ihren Hauptsitz, und von ihr stammen die Hemden, die Jogi Löw zur EM trug. Das Hemd ist für den Mann das, was für die Frauen einst die Hosen waren, es ist die Stoff gewordene Gleichberechtigung. Endlich darf auch der Mann einmal Taille zeigen, kann ab jetzt körperbetont fluchen und trinken und all die anderen männlichen Dinge tun, Abnäher sei Dank. Auf den großen Bedarf war das Modehaus gar nicht eingestellt, doch mit einem Mal standen all diese Männer in den Läden, in der Hand ein aus der Sportzeitung ausgerissenes Bild von Jogi Löw und sagten: „Bitte, kann ich auch so aussehen?“ 77 Prozent Baumwolle, 18 Prozent Polyamid und 5 Prozent Elastan, das sind die Eckdaten des Hemdes, kurz 77, 18, 5 – und das klingt doch noch besser als 90-70-90.

ROSA SCHUHE (2)

Seitdem Franck Ribéry in rosa Schuhen antrat, fällt das Wort „Schuhe“ mit großer Häufig- und Heftigkeit in Unterhaltungen unter Fußballern, ungefähr mit ebenso viel Emphase wie das Wort „Nasenring“ in Familien, deren pubertierendes Kind sich einen solchen gerade hat stechen lassen. Bringt es dennoch weiter gute Noten in Mathe nach Hause, kann man noch nicht einmal die Kausalkette herstellen, zu der es einen drängt. Aha, er macht das ja immer noch sehr ordentlich, trotz Nasenring, nanu. Ähnlich geht es der Fußballfamilie, sie sind schon stolz auf ihren Ribéry, und gerade beim ersten Spiel im rosa Schuh hat er so gut gespielt, verwandelte ganz prächtig diesen Freistoß gegen Cottbus, aber, unter uns, wäre das nicht auch in Weiß gegangen, bitte? 

ALTERNATIVROCKER (3)

Wenn man Silvio Heinevetter sieht, hat man das Gefühl, zurück in Grunge-Zeiten versetzt zu werden und morgens aus dem Zelt in Glastonbury zu kriechen. Auf dem Musikfestival in England sahen in den 90ern nämlich alle so aus wie der neue Füchse-Torwart. Auf dem Kopf hat der Handballspieler etwas, was man bestenfalls als „so Haare“ bezeichnen könnte, eine Frisur ist es jedenfalls nicht. Wenn es dann mal etwas zu sehen gibt, was die Haare nicht verdecken sollten, zum Beispiel den Ball, knotet sich Heinevetter etwas um den Kopf, was wie ein Schnürsenkel aussieht, was anderes war gerade nicht zur Hand. Man kann sich Heinevetter bestens vorstellen, wie er irgendwo sitzt und Gitarre klampft und eine Selbstgedrehte raucht. Irritierend nur, wo Heinevetter sich aufhielt, als man ihn über seinen Einsatz als Nationalspieler informierte. Er war gerade in einer mallorquinischen Bar, heißt es, als der Anruf kam – das passt nun wirklich nicht in das Bild des Alternativrockers.

OLYMPISCHE RASUR (4)

In puncto äußeres Erscheinungsbild orientierte sich Dirk Nowitzki in diesem Jahr an Vanilla Ice. Vielleicht weil auch der Rapper ein Weißer unter vielen Schwarzen ist, schaute sich der Basketballer die Kreativrasur von Vanilla Ice ab. Ice wurde, man erinnert sich mit Schaudern, berühmt für zweierlei – sein Lied „Ice Ice Baby“ und seine auf so entstellende Art und Weise ausrasierten Augenbrauen, dass Friseure bei Augenbrauenproblemen ihrer Kunden immer noch murmeln: „Na, da haben wir uns ja einen schönen Vanilla Ice eingefangen …“ Auch der Nowitzki könnte bald ein Terminus Technicus der Friseurbranche werden, der Basketballer hat sich vor Peking die olympischen Ringe in den Schädel rasieren lassen. Steffen Hamann, ebenfalls im Nationalteam, beschreibt den Vorgang in seinem Blog so: „Nachdem die letzten E-mails und Skype-Telefonate erledigt waren und wir ins Zimmer zurück kamen, traute ich meinen Ohren nicht: Dirks Vorschlag war es, sich die Olympiaringe in die eh schon als Mannschaft kurz geschorenen Haare zu rasieren. Aus Papptellern wurden die Ringe geschnitten und außen herum rasiert.“ Für 2009 plant das Nationalteam, ein Hardcover mit Basteltipps herauszugeben.

SPRUNG-CHICKS (5)

Es ist Teamarbeit, eindeutig. Die eine trägt Sonnenbrille, selbst wenn sie springt, die andere hat ein Bauchnabelpiercing. Die eine setzt sich zwischendurch große silberne Kopfhörer auf, so als lege sie Platten auf, die andere reißt den Mund auf wie ein Brüllaffe, wenn ihr ein Sprung gelungen ist. Ariane Friedrich aus Deutschland, die sich selbst mit dem Adjektiv „flippig“ beschreibt, und Blanka Vlasic aus Kroatien, im Falle deren Sieges der Sponsor schon einmal Freibier für alle Zuschauer versprach, sind die Drama Queens und Diven unter den Hochspringerinnen. In Peking gewann dann weder Friedrich noch Vlasic, Weltmeisterin wurde Tia Hellebaut aus Belgien. Und sie trägt ihre unglamouröse Brille nicht aus Gründen des Styles, sondern weil sie stark kurzsichtig ist.

OFFENE SCHNÜRSENKEL (6)

Ruckediegu, auf ist der Schuh – beinahe hätte Usain Bolt bei seinem 100-Meter-Olympia-Rekord in bester Aschenputtel-Manier den goldenen Schuh vom Fuß verloren. Der Schnürsenkel war offen, glücklicherweise brauchte Bolt nicht sonderlich lang ins Ziel und konnte den Schuh dort in aller Ruhe schnüren. Auch die Andeutungen eines Tanzes vor dem Start waren wohl eine Hommage an Aschenputtel, die vor dem Schuhverlust so schön mit dem Prinzen tanzte. Bolt hat wahrscheinlich einen anderen Musikgeschmack als Aschenputtel, er hört Reggae. Und das heißt inzwischen nicht mehr Bob Marley und Freddy McGregor, Kiffen und ein bisschen mit den Dreadlocks zotteln, sondern Dancehall, der in die Beine pumpt. Passend dazu nannte auch Shelley-Ann Fraser, schnellste Sprinterin in Peking und ebenfalls Jamaikanerin, das Geheimnis ihrer Landsleute „Reggae-Power“.

KLATSCHPAPPE (7)

Dieser Gegenstand ist in direkter Verwandtschaft eines anderen Gegenstandes anzusiedeln, der im Supermarkt vorkommt, nämlich dem Stab, den man hinter seine Einkäufe aufs Band legt. Was beide gemeinsam haben: Sie widersetzen sich jeder Bezeichnung, probieren Sie es selbst aus: „Geben Sie mir mal das quaderförmige Ding, mit dem ich anzeigen kann, dass die Bananen noch meine sind/das kartonförmige Etwas, mit dem ich anzeigen kann, wie sehr ich mich freue über das Tor.“ Nun scheint der durchschnittliche Fan kreativer als der Supermarkteinkäufer zu sein, er hat sich einen Namen für seinen Gebrauchsgegenstand ausgedacht, um genau zu sein, sogar drei: Pappklatsche, Klatschpappe oder Klatschfächer, Letzterer eignet sich für die Vornehmen unter den Fußball- und Eishockeyfans: „Mein Lieber, seien Sie bitte so gut und reichen mir Riechsalz und Klatschfächer?“

SCHWIMMANZÜGE (8)

Es fehlten noch die passenden Ohren, und Michael Phelps hätte in seinem Speedo-Anzug wie Mr. Spock aus „Raumschiff Enterprise“ ausgesehen, der armfreie Mode und elektronische Musik für sich entdeckt hat und nun einmal richtig feiern gehen will. Diesen Spaß würde man ihm gern lassen, doch begründete sein Anzug einen neuen Trend, der da heißt: „Philosophisch-historische Weltbetrachtungen am Rande des Schwimmbeckens“. Der deutsche Schwimmer Lars Conrad im Adidas-Anzug offenbarte Erkenntnisse, die er von archäologischen Ausgrabungen gewonnen hatte („Wir wollen Weltklasse sein, aber wir leben bei der Qualität der Anzüge in der Steinzeit“), Britta Steffen, ebenfalls Adidas, äußerte Überlegungen zum Thema Schein und Sein („Bei allen Diskussionen sollte man nicht vergessen, dass in jedem Anzug Menschen stecken“), und der damalige DSV-Präsident Örjan Madsen bemühte sich schwer um einen Konsens im Diskurs: „Wir haben kein Anzug-Problem, wir haben eine Anzug-Lösung“.

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