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Damals bei Hertha: Einfach mal nach vorn

Ein Stadion ohne Dach, ein Team ohne Traum: Robert Ide erinnert sich an andere Zeiten mit Hertha.

Was für ein lausiger Tag! Ein paar Grad minus krochen unter meine ausgewaschene Jeans, der Wind trieb über die weite Fläche am Rand der Stadt. Irgendwas musste Ingo aufgehalten haben. Komisch, dachte ich, hier in der Gegend ist doch nichts los. Erste Schneeflocken fielen auf meine Turnschuhe. Zum Glück hatte ich den Schal dabei, den blau-weißen. Er gab ein wenig Wärme.

„Wollen wir?“, fragte Ingo, als er endlich eintraf. „Wir müssen wohl“, antwortete ich, und damit waren wir beide daran erinnert, um was es hier eigentlich ging: Zweite Fußball-Bundesliga, Abstiegskampf. Ich sah auf meine Quarzuhr, nur noch wenige Minuten bis zum Anpfiff im Olympiastadion, das noch kein Dach hatte und noch keine Mannschaft, mit der die Stadt ihre Träume teilen wollte. Wir gingen zu unseren Stammplätzen, begrüßten die Umstehenden, die auch wieder gekommen waren mit ihren wärmenden Schals. Gemeinsam riefen wir: „Jetzt geht’s lohos!“ 4000 andere hatten ebenfalls nichts Besseres zu tun.

Nach 85 Spielminuten war immer noch nichts losgegangen. Ich hatte schon drei zu dünne Kaffee aus drei zu dünnen Pappbechern getrunken. Es stand 0:0, beide Mannschaften waren bisher nicht einmal in die Nähe der Tore gekommen. Da überkletterte ein Fan alle Absperrungen und rannte auf den Rasen. Er eroberte den Ball und schoss ihn nach vorn, einfach mal nach vorn. Es war Herthas erster Angriff.

Jetzt ging’s los. Ein Dutzend Ordner stürmte auf das Spielfeld. Der Fan, den alle bejubelten, rannte zurück zu den Tribünen und dann quer über die verwaisten, schneegraupelbedeckten Zuschauerblöcke. Er war schnell, wir feuerten ihn an, und als er auf der anderen Stadionseite vorbeistürmte, winkte er uns zu. Er lachte, und wir auch.

Nach dem 0 : 0 verabschiedete sich Ingo: „Bis übernächste Woche.“

Wie viele Jahre das wohl her ist?

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