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Sport: Das asiatische Woodstock

Die Bierbrauer von Grolsch sind zufrieden. Seit WM-Beginn haben die Verkäufer des holländischen Tropfens in Korea 19 000 Kisten à 20 Flaschen losgeschlagen, das ist eine Steigerung von rund 200 Prozent.

Die Bierbrauer von Grolsch sind zufrieden. Seit WM-Beginn haben die Verkäufer des holländischen Tropfens in Korea 19 000 Kisten à 20 Flaschen losgeschlagen, das ist eine Steigerung von rund 200 Prozent. Alles wegen Guus Hiddink, dem holländischen Trainer der Koreaner. Die Kollegen von Heineken waren noch besser, die haben 24 000 Kisten à 24 Flaschen über Korea ausgeschüttet. Vielleicht hatte ja der zuständige Seouler Polizeisprecher davon ein, zwei zuviel, als er vermeldete, allein in Seoul würden zum Halbfinalspiel gegen Deutschland acht Millionen Menschen auf den Straßen vor den Leinwänden zu erwarten sein. Am Tag des Spiels korrigierte sich die Zahl, acht Millionen versammelten sich im ganzen Land auf den Freiflächen, etwa vier davon in der Hauptstadt. Das macht es nicht weniger gigantisch.

In Seoul war das in der Früh losgegangen, im Minutentakt spuckten die Vorortzüge die Träger roter T-Shirts aus. Grobes Ziel der meisten: die Gegend rund um das Rathaus und den Dukdudung Palast herum. Angestrebte Position: die Halbdistanz zur Leinwand, weil weiter vorne die Spieler vor lauter übermenschlicher Größe nicht mehr zu erkennen sind und weiter hinten das Ereignis unangemessen klein ist. Gegen Mittag, sieben Stunden vor Anpfiff, ging schon nichts mehr auf dem großen Platz zwischen Palast und City Hall. Und das war so bis in den späten Abend.

Gott, was macht man, wenn man acht Stunden auf Fußball auf der Leinwand wartet? Man sitzt auf der Straße, man trinkt, man isst. Gesänge sind selten vor der Zeit, sie bedürfen ohrenbetäubender Vorgaben aus den Lautsprechern, die an jeder Ecke aufgestellt, aber nicht vernetzt sind. Ein Kanon könnte das theoretisch werden, aber es wird nur Höllenlärm.

Und in all dem Lärm wird eingekauft. Händlergassen haben sich auf den Hauptstraßen gebildet, und es gibt unter anderem: Rote T-Shirts (9000 Won = 9 Euro), Korea-Fahnen, klein (5000 Won), Korea-Fahnen, groß (15 000 Won), Gesichtsbemalung, vorgenommen von reizenden, jungen Frauen (1000 Won) und geröstete Seidenraupen (soll essen, wer will). Der Einkaufspreis der 9000 Won teuren T-Shirts soll bei 3000 Won liegen. Was für ein Boom.

Es sind überwiegend junge Menschen, die sich versammelt haben, und wenn man an ihnen vorbei durch die Straßen drängelt, kann einem die Idee kommen, dass sich hier eine Art asiatisches Woodstock abspielt. Über den Nachwuchs Koreas hatten in jüngster Zeit Intellektuelle geklagt, dass er sich davonstehle aus der koreanischen Gemeinschaft, sich der Amerikanisierung und dem Internet hingebe. Die Befürchtung wurde auch am Dienstag in den Straßen Seouls eindrucksvoll widerlegt. Und auch wenn sie nun nicht zum Finale nach Yokohama fahren dürfen, so schnell dürfte sich diese Befürchtung nicht wieder ergeben. Woodstock währte drei Tage und strahlte Jahrzehnte. Nur hatte Woodstock schönere Lieder. Helmut Schümann

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