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Sport: Das Auslaufmodell

Nie sah es vor einer WM um die deutsche Leichtathletik so düster aus wie jetzt – Gold wäre eine Sensation

Berlin. Es sind die neunten Leichtathletik-Weltmeisterschaften, die am nächsten Sonnabend in Paris beginnen. Und manches spricht dafür, dass es die ersten sein werden, bei denen die deutschen Athleten keine Goldmedaille gewinnen können.

Ein deutscher Weltmeister wäre gemessen an den Ergebnissen dieser Saison eine Überraschung. Kein einziger Starter des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) führt in einer der 46 WM-Disziplinen die Jahresweltbestenliste an. So schlecht stand es vor einer WM noch nie.

Es bleibt die Hoffnung: Dass vielleicht der Ungar Roman Fazekus, der dominierende Diskuswerfer dieser Saison, einen schlechten Tag erwischt und dadurch Lars Riedel eine Chance hat auf sein sechstes WM-Gold. Oder, dass vielleicht der Speerwerferin Steffi Nerius der Wurf ihres Lebens gelingt. Nach diesen beiden werden die Hoffnungen sehr vage: Der Berliner Geher Andreas Erm hat sich über 50 km zu einem der besten der Welt entwickelt. Doch nach langer Wettkampfpause wäre eine Medaille eine Sensation. „Einer-plus-X-Weltmeister in Paris, das wäre sehr gut. Damit könnte man etwas anfangen“, sagt Armin Baumert, Leistungssportchef des Deutschen Sportbundes (DSB). Dringend bräuchte die deutsche Leichtathletik, die im Konkurrenzkampf steckt mit anderen Sportarten um Sponsoren und Medienpräsenz, ein Erfolgserlebnis. Längst verflogen ist der vermeintliche Aufwind durch die Europameisterschaften von München 2002. Doch auch dort wurde das Manko offensichtlich: Die olympische Kernsportart hat in Deutschland zurzeit keine Siegertypen. 18 Medaillen waren ein schöner Erfolg. Doch es gab nur zwei Titel – einen davon gewann die 4-x-400-m-Frauenstaffel. Der einzige Einzel-Europameister hieß Ingo Schultz. Ob er in Paris überhaupt den 400-m-Endlauf erreicht, ist fraglich. Fünf bis acht Medaillen erhofft sich DLV-Cheftrainer Bernd Schubert. Das ist sehr optimistisch. Wenn es schlecht läuft, gibt es vielleicht nur zwei.

Die Gründe dafür sind vielschichtig. Beim DSB beobachtet man seit Jahren, dass auch andere Sportarten darunter leiden, dass vielen Kindern heute jegliche sportliche Grundlage fehlt. Manche Grundschüler können noch nicht einmal rückwärts laufen, so schlecht ist ihre Bewegungskoordination. Viele der übrig bleibenden Talente werden zudem von den Fun-Sportarten angelockt. Manchmal fehlt einfach auch nur Glück. Wären Danny Ecker, Tanja Damaske und Martin Buß in der Form, die ohne Verletzungen erreichbar gewesen wäre – die deutsche Leichtathletik hätte drei Gold-Kandidaten in Paris. Stabhochspringer Ecker galt vor seiner Verletzungsserie als potenzieller Nachfolger Bubkas, so groß ist sein Vermögen. Hochspringer Buß wurde Weltmeister, bevor ihn eine Kette von Verletzungen stoppte. Und Speerwerferin Damaske hatte sich in der Weltspitze etabliert, bevor ihr die Achillessehne zweimal riss und sie die Karriere schließlich beendete. Die Verletzungsmisere ist ungewöhnlich groß. So fehlen die Olympiasieger Nils Schumann (800 m) und Heike Drechsler (Weitsprung) sowie ein halbes Dutzend weitere Leistungsträger. Wären sie alle in Bestform, würde keiner von einer Krise sprechen.

Doch so kommt eines zum anderen. Von den Talenten des DDR-Sportsystems kann der DLV heute nicht mehr profitieren. Zudem wird die internationale Konkurrenz immer größer. Das gilt besonders für die attraktiven Lauf-Disziplinen. Laufen ist ein einfach zu betreibender Sport. Für viele Athleten aus Staaten der Dritten Welt bietet dieser Sport eine echte Chance für einen sozialen Aufstieg. Die Motivation für hartes Training und einer dem Hochleistungssport angepassten Lebensweise ist offensichtlich – und immer mehr deutschen Läufern fehlt sie.

Wenn sich deutsche Athleten der internationalen Konkurrenz entziehen, wird die Kluft noch größer. „Unsere Athleten bleiben im eigenen Land. Sie müssen aber raus und sich in internationalen Wettbewerben messen. Sonst kommen bei der WM im Kampf gegen starke internationale Konkurrenz die Selbstzweifel – und schon ist man draußen“, sagt Boris Henry. Der Speerwerfer ist einer der wenigen, die sich der internationalen Konkurrenz stellten, und er ist einer der wenigen Medaillenkandidaten in Paris.

Wenn schon nicht deutsche Weltmeister in diesem Jahr, dann wenigstens die Weltmeisterschaften in Deutschland 2009. Berlin bewirbt sich zum zweiten Mal um die Titelkämpfe, die im nächsten Jahr vergeben werden. Von einer WM im eigenen Land, so ist eine Hoffnung, würde auch die Sportart profitieren.

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