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Sport: Das bessere Brasilien

Die Nationalmannschaft bezwingt dank überlegener Taktik den Rekordweltmeister – in Wirklichkeit aber dient das Spiel nur als Einstimmung auf einen noch größeren Gegner: auf Spanien

Der an sich erfreuliche Abend hielt zum Schluss noch eine ernüchternde Erkenntnis bereit. Bei Mario Götze handelt es sich anderslautenden Berichten zum Trotz doch nicht um einen Brasilianer. Er ist nicht als Götzinho zur Welt gekommen, es handelt sich nicht einmal um seinen offiziellen Spitznamen, wie zuletzt häufiger kolportiert wurde. „Der Spitzname existiert eigentlich nicht“, berichtete der Mittelfeldspieler von Borussia Dortmund, der vor 19 Jahren in Memmingen im Allgäu geboren wurde. Götze verfügt definitiv über keinen brasilianischen Migrationshintergrund – auch wenn es im Länderspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen die Südamerikaner erneut den Anschein hatte.

Überhaupt erreichte die Verbrasilianisierung der Nationalmannschaft am Mittwoch in Stuttgart eine neue Qualitätsstufe. Mano Menezes, der Trainer des Rekordweltmeisters, sprach nach der 2:3- Niederlage Sätze, die man vor gar nicht langer Zeit noch von seinem Kollegen Joachim Löw gehört hat. Seine Mannschaft sei nie in der Lage gewesen, mit dem Gegner mitzuhalten, aber genau deswegen machten sie solche Testspiele gegen Spitzenteams, „um wieder auf dieses Level zu kommen“. Die Deutschen, so sagte Menezes, verfügten über eine ganz große Mannschaftsstärke, „so weit sind wir leider noch nicht“. Brasilien, der Sehnsuchtsort aller Fußballästheten, war gerade auf dem Niveau von Österreich oder Belgien angekommen.

Joachim Löw saß an der Seite auf einem Barhocker und lauschte den Ausführungen seines Kollegen. Der Bundestrainer hatte sein Sakko ausgezogen – und wirkte sowieso ziemlich entspannt. Während des Spiels schien es in ihm ein wenig anders ausgesehen zu haben. Wenn der Eindruck nicht täuschte, hatte Löw gegen die Brasilianer mit aller Macht gewinnen wollen. Dem Stuttgarter Lokalhelden und gebürtigen Brasilianer Cacau gönnte er erst drei Minuten vor Schluss, beim Stand von 3:1, einen Gnadeneinsatz; die beiden Neulinge Ilkay Gündogan und Marco Reus kamen überhaupt nicht zum Zuge. Dazu war Löw die Angelegenheit dann wohl doch zu wichtig.

„Auch wenn es nur ein Test war, Brasilien schlägt man immer gern“, sagte Toni Kroos. Allzu oft ist das den Deutschen schließlich noch nicht gelungen. Gegen keine der großen Fußballnationen fällt ihre Bilanz dürftiger aus als gegen Brasilien. Im 21. Aufeinandertreffen seit 1963 war es erst der vierte Sieg überhaupt.

Meistens endete das Duell so wie vor sechs Jahren im Halbfinale des Confed- Cups. Auch da hieß es 3:2 – nur andersrum. Damals waren die Brasilianer noch die großen Jungs, welche die kleinen Deutschen nur phasenweise ein bisschen mitspielen ließen. In Stuttgart lief es genau umgekehrt. „Das Spiel war flüssig, das Spiel war fußballerisch gut von uns“, sagte Löw, der überraschend von seiner gewohnten taktischen Grundordnung abgewichen war. Toni Kroos spielte nicht neben Bastian Schweinsteiger im defensiven Mittelfeld, sondern an der Seite von Mario Götze als zweiter Zehner – und es waren die beiden offensiven Spielmacher, die den Deutschen das Spiel gewannen.

„Viel Lust, viel Freude“ bescheinigte Löw seiner Mannschaft. Mit Götze, 19, und Kroos, 21, dazu Mesut Özil, 22, der in Stuttgart geschont wurde, verfügt Löw über ein kreatives Potenzial wie schon lange kein Bundestrainer mehr. So viele so junge und so gute Mittelfeldspieler gab es in Deutschland zuletzt vor knapp 50 Jahren, als Franz Beckenbauer, Wolfgang Overath und Günter Netzer mit Anfang 20 auf der großen Bühne auftauchten. „Brasilien hat hervorragende Fußballer, aber wir eben auch“, sagte Kroos. „Wir haben ihnen unser Spiel aufgedrückt.“

Die Deutschen verteidigten hoch, sie attackierten früh, dominierten den Ball und den Gegner – und spielten damit genau das Spiel, das auch die Brasilianer am besten beherrschen. „Brasilien liebt es eigentlich, selbst viel Ballbesitz zu haben“, sagte Kroos, „den aber hatten wir.“ Der Schlüssel zum Erfolg war es, die beiden Sechser des Gegners aus dem Spiel zu nehmen, die Garanten des permanenten Ballbesitzes und damit das Kraftzentrum der Seleçao.

Die Deutschen schlugen Brasilien, weil sie die Idee des Bundestrainers nahezu perfekt umgesetzt hatten. Der Sieg war Löw wichtig, auch zur Selbstvergewisserung und als Beleg für die Entwicklung seiner Mannschaft – in Wirklichkeit jedoch dienten die Brasilianer nur als Sparringspartner. Gemeint war jemand ganz anderes. Ewiger Ballbesitz, gesteuert aus der Tiefe des Mittelfeldes: Genau so sind die Spanier zur besten Mannschaft der Welt aufgestiegen. Dem Welt- und Europameister beizukommen, an dem die Deutschen zuletzt zweimal deutlich gescheitert sind – das ist Löws eigentliche Obsession. „Wir wollen die Spanier attackieren“, sagte Löw an diesem Abend, an dem er mit seiner Mannschaft Brasilien bezwungen hatte. „Daran arbeiten wir. Ob wir sie erreichen, das weiß ich nicht.“

Es ist derzeit so etwas wie das größte Rätsel des Fußballs, wie man die Spanier (oder den FC Barcelona als ihr Alter Ego) knacken kann. Mit massiver Defensive? Mit übertriebener Härte wie Holland im WM-Finale? Oder doch so wie die Deutschen gegen Brasilien: mit Mut, mit Risiko auch, aber eben auch mit einem gewissen Charme und Witz? „Unsere Entwicklung seit 2009 ist gut“, sagte Joachim Löw, „doch das heißt nicht, dass wir schon mit dem Weltmeister mithalten können.“ Es scheint zumindest, als wären sie ihm wieder ein Stück nähergekommen.

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