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Sport: Das Déjà-vu beim Berliner Sechstagefinale

BERLIN .Man sollte es nicht ausschließen, daß sich eines (fernen?

BERLIN .Man sollte es nicht ausschließen, daß sich eines (fernen?) Tages auch einmal die Sechstagerenn-Besucher im Velodrom fragen werden, "hast du das nicht schon einmal gesehen?" Vier Mannschaften gleichauf in der abschließenden Jagd, der Rest darf nur hinterherfahren, bringt den zum Spannungs-Höhepunkt kulminierenden Ablauf der Finalnacht natürlich nicht in Gefahr.Der 34jährige Berliner Lokalmatador Carsten Wolf gewinnt den vorletzten Wertungsspurt gegen den Bremer Andreas Kappes (33) um Reifenstärke.Wolf ist mit dem Dänen Jimmi Madsen (30) zwei Minuten vor dem Ende virtueller Gesamtsieger, denn er liegt um die Winzigkeit von zwei Punkten vor Kappes an der Seite des Belgiers Etienne de Wilde, mit 40 Jahren Veteran des Feldes.Die Arena brodelt, die 10 000 Besucher springen von den Sitzen.Hallensprecher Herbert Watterott variiert seinen allabendlich wiederkehrenden Satz "Hitchcock hätte das nicht besser inszenieren können" zum semantisch ebenso anspruchsvollen "wahren Herzschlagfinale".Und Madsen schickt Wolf, de Wilde Kappes auf die letzte Reise zum entscheidenden Spurt.Kappes gewinnt gegen Wolf.Mit Zentimetervorsprung, versteht sich.Um 23 Uhr 32 sind Kappes/de Wilde mit 296 Punkten Gesamtsieger des 88.Berliner Sechstagerennens vor Madsen/Wolf (293); rundengleich folgen die Italiener Baffi/Colinelli (264) als Dritte vor den Schweizern Risi/Betschart (249).

"Was lernt uns das", fragt sich da sicher mancher Berliner.Im selben Idiom fällt die Antwort schwer.Vielleicht ist sie auch in diesen Worten verständlich: Man nehme die Favoriten und lasse sie bis zum letzten Moment (vermeintlich hoffnungslos) zittern, gleichzeitig den Lokalmatador am Siegeslorbeer bis zuletzt schnuppern, um ihm dann mit blumigen Worten als "tragischer Verlierer" andere Girlanden zu winden.Wobei Tragik nun wahrlich etwas ganz anderes ist.Jedenfalls ist für Gesprächsstoff an den Stammtischen gesorgt, und im nächsten Jahr wird Carsten Wolf dann als der Mann angekündigt, der "mit aller Macht" auf "Revanche brennt".Die Wette gilt.

Aber im Sportpalast (bis 1972) und in der Detschlandhalle (bis 1990) war es ja nicht anders.Déjà-vu eben.Deshalb also keine Aufregung über Regie bei Sechstagerennen.Denn wenn die nicht stimmt, also sagen wir mal, wenn die Herren Teutenberg und Beikirch womöglich eine Keckheit geplant hätten, wäre die gesamte Inszenierung in Gefahr geraten.So etwas hat es in den vergangenen Jahrzehnten durchaus gegeben, aber selten genug.Die Rennfahrer müssen sich in diesem Geschäft mit viel Gespür hochdienen, nicht zuletzt auch, um nicht ihre nächsten Verträge zu gefährden.Aufmüpfige Fahrer werden wie auf einer "watch list" von Veranstalter zu Veranstalter weitergereicht.Dies droht nun nicht gerade Wolfgang Schulze, aber wohlgelitten war der letzte Berliner Sechstagesieger in Berlin (1973) bei manch einem aus dem Veranstalter-Team des Velodroms an den beiden letzten Tagen nicht mehr, nachdem sich der frühere Rennfahrer über das Arbeitsprogramm und Können der heutigen Sechstageprofis im "Tagesspiegel" mokiert hatte ("Fahrer wie Bugdahl und Renz hätten den Großteil des Feldes im Velodrom doch in Grund und Boden gefahren").Dieter Stein, einst DDR-Radsportidol in der Seelenbinder-Halle, im Velodrom für die Fahrerbetreuung verantwortlich, bezeichnete Schulze als "Nestbeschmutzer", verstieg sich sogar zur Forderung, ihm die Ehrenkarte zu entziehen.Eine höchst seltsame Reaktion.Mag Schulze auch 58 Jahre alt sein, steht doch gerade ihm als letztem Berlin-Sieger jedes Recht zur Meinungsäußerung frei.

Aber Heinz Seesing und Otto Ziege standen doch eher über den Dingen.Sie freuten sich über den neuen Zuschauerrekord mit 68 000 Zuschauern an sechs Tagen und die "einmalige Akzeptanz dieses Rennens bei den Berlinern".Also, wer soll da mäkeln?

THOMAS ZELLMER

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