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Sport: Das Ende der Brechstange

Die Zeit, in der brachiale Gewalt im Frauentennis zum Sieg reichte, könnte auch in Wimbledon vorbei sein

Auf dem Gelände des All England Clubs gingen am Samstagmorgen bedächtig die letzten Aufbauarbeiten vonstatten, fleißige Helfer putzten hingebungsvoll und detailverliebt jeden Winkel der traditionsreichsten Tennisanlage der Welt heraus. Die Spieler, die sich im angrenzenden Aorangi Park zum Training einfanden, bekamen davon jedoch wenig mit. Um den empfindlichen Rasen zu schonen, sind die Wettkampfplätze des Clubs für sie noch tabu, und so müssen sie sich um die wenigen Courts auf der Nachbaranlage balgen. Vorrang haben dabei die Topspieler, besonders dann, wenn der Wetterbericht Schauer für den Tagesverlauf ankündigt. Die Hackordnung funktioniert an diesem Ort noch strikter als anderswo.

So trainierten am Vormittag gleich mehrere Spielerinnen parallel, die sich Hoffnung auf die berühmte silberne „Rosewater Dish“ machen. Serena Williams, die die Trophäe im vergangenen Jahr zum dritten Mal in Händen halten durfte, spielte wie gewöhnlich neben ihrer Schwester Venus, der sie damals ihren sechsten Wimbledon-Triumph vermiest hatte. Beide Amerikanerinnen, derzeit wieder die besten der Weltrangliste, schlugen mit männlichen Sparringspartnern die Bälle übers Netz, stets beobachtet von ihren Eltern Oracene und Richard. Niemals hatten die Williams-Schwestern andere Trainer als diese selbst ernannten gekannt, und nie würden sie mit anderen Spielerinnen oder gar einer direkten Konkurrentin trainieren. Kritiker sehen darin eine der größten Schwächen der beiden, die es gemeinsam auf 19 Grand-Slam-Titel bringen. Über eine saubere Technik verfügen sie ebenso wenig wie über fundiertes, taktisches Spielverständnis, das ihnen ihre Eltern nicht beibringen konnten. Wenn Richard Williams in Shorts mit hochgezogenen weißen Kniestrümpfen und einer schwarzen Teddy-Jacke, die einer seiner Töchter gehören könnte, wie ein gebrechlicher, alter Mann über den Platz schlurft und seine geschiedene Frau Oracene derweil in wenig sporttauglicher Kleidung ihren Töchtern Verbesserungen vormacht, wirkt das kurios und unprofessionell. Dennoch haben sie Erfolg. „Meine Töchter sind wie Pitbulls mit Schläger“, hat Richard Williams einmal gesagt und damit eben den bedingungslosen Willen seiner Töchter gemeint, mit dem sie auf jeden Ball einprügeln, als hänge ihr Leben davon ab.

Das schlichte Rezept der brachialen, körperlichen Gewalt gepaart mit energischem Kampfgeist funktioniert im Frauentennis bis zu einem gewissen Grad, besonders auf Rasen, wo die Ballwechsel schnell und kurz sind. Doch zuletzt bei den French Open wurden den Schwestern auf der roten Asche wieder die Grenzen aufgezeigt. Von Spielerinnen, die wie die Belgierinnen Kim Clijsters und Justine Henin über Spielwitz und körperliche Fitness verfügen. In Paris war es Francesca Schiavone, die so zur Überraschungssiegerin wurde. Und obwohl ihr erst im Alter von 29 Jahren ihr größter Erfolg gelang, schien Schiavone eine neue Zeit im Frauentennis einzuläuten. Denn sie untermauerte, dass es eben doch anders geht als mit der Brechstange von der Grundlinie.

Auch in Wimbledon rechnet sich Schiavone daher mehr aus als das Viertelfinale vom Vorjahr: „Ich habe jetzt sehr viel Selbstvertrauen und bin mir meiner Qualitäten bewusster. Aber nichts kommt von selbst auf Rasen.“ Im Moment arbeitet Schiavone jedoch mehr daran, die Glücksgefühle und den öffentlichen Rummel nach ihrem ersten Grand-Slam-Sieg zu verkraften. Fast alle 1000 Einwohner ihres Wohnortes in Passirano bei Mailand waren vor zwei Wochen gekommen, um den Paris-Triumph mit ihr zu feiern. „Sie waren vor unserem Haus, im Garten, überall. Unglaublich“, sagt Schiavone, „in meinem Leben hat sich jetzt sehr viel geändert.“ Ein Stück weit hat sie das Frauentennis bereits verändert. Vielleicht bricht nun auch in Wimbledon eine neue Zeit an.

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